Johannes Burkhardt: Der Rhein ist die Elbe

Der Rhein ist die Elbe[Posaunen! Tuben ! Und Trompeten !] Soviel Wagner war nimmer. Anlässlich des 200. Geburtstags des Gesamtkunstwerkers erprobten sich auch im Gedruckten am Hügel von Bayreuth eine Vielzahl kleinerer und größerer Seilschaften in alpiner Interpretationsartistik. Allein: die Mehrzahl tat es auf bekannten Routen und in bequemer Mittellage.

Zwei Titel aber stoßen dann aus dieser doch noch weiter nach oben vor und öffnen neue Perspektiven. Bei Kerstin Deckert ist es die kynologische: „Richard Wagner. Mit den Augen seiner Hunde betrachtet.“. Deckert gelingt durch diesen erzählerischen Kunstgriff eine unverwechselbare, sehr lesenswerte biographische Mischung aus Distanz und emotionaler Einfühlung, die uns den kantigen Sachsen in vielen Fällen doch näher bringt, als wir es vielleicht vermuteten.

Das sächsische Leitmotiv in Gänze nimmt dann aber Johannes Burkhardt auf. Der gebürtige Dresdner, ehemaliger Chorknabe der Kreuzkirche und langjähriger Professor für die frühe Neuzeit in Augsburg, hat sich einen Herzenswunsch erfüllt und auftragslos das aufgeschrieben, was ihm schon seit Jugendjahren auf den Nägeln brannte. „Der Rhein ist die Elbe. Richard Wagners wahre Welten“ ist keine Übung in alternativer Geographie sondern eine akribisch recherchierte und methodische vorbildlich durchgeführte Studie über Wagners sächsische Wurzeln und deren Auswirkungen auf seine Kunst.

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Jörg Stübing ist Buchhändler in der Dresdner Neustadt.

Burkhardt erarbeitet hier geradezu detektivisch Parallelen zwischen mindscape und landscape, zwischen Wagnerscher Seelenlandschaft (Werk) und der sie prägenden Kulturlandschaft, die auch eine archäologisch abgesunkene, aber wirksame Tiefenschicht der Erinnerung sein kann. Das überraschend Einsichtige ist: wesentliche Teile des Ringes lassen sich bestens unter Bezug auf Einflüsse aus der sächsisch-böhmischen Elblandschaft, ihrer Sagenwelt, aber auch ihrer industriellen und lebensweltlichen Strukturen verständlich machen.

Wagner hatte den Rhein nie gesehen als er Rheingold schrieb und er hat, so Burkhardt, viele seiner sächsisch geprägten Entwürfe später marktförmig und marketinggerecht, wohl auch unter dem freundlichen Schatten Ludwig II, den rheinischen Verhältnissen angepasst. Das bezwingende Es-Dur-Grummeln der kosmischen Mechanik, mit dem Wagners Ring anhebt, verortet der pragmatische Professor im gleich gestimmten Arbeitsgeräusch der Dampfmaschinen auf den Schiffen der sächsischen Raddampfer, das Rheingold ist Elbsilber und stammt aus dem Erzgebirge, die Rheintöchter Wellgunde, Floßhilde und Woglinde sind eigentlich Elbschwestern aus einem Dresdner Märchen von E.T.A. Hoffmann und so geht es munter fort.

Man möchte an Derrida und die différance denken, so frisch und neu liest sich das alles, aber anders als bei diesem ist es bei Burkhardt mit klassischer historischer Methode erschlossen: an dinglichen Quellen in der Elblandschaft, Ort, Flur und Flussnamen, aus Selbstdokumenten Wagners und aus Wagners Lektüre der Dresdner Zeit. Dennoch kann Burkhardt natürlich nur auf Spuren zeigen. Schlüsse über Wagners Weg zu ziehen, bleibt jedem selber überlassen und die selige Gemeinde des Meisters hält natürlich weiterhin treu die Wacht am Rhein. So ist auch dieses Buch vom Tristanakkord durchklungen, unauflösbar changierend zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Doch dazu gibt es ja die Kunst – damit wir an der Wahrheit nicht zugrunde gehen.

Johannes Burkhardt
Der Rhein ist die Elbe
Richard Wagners wahre Welten

232 S., geb., 148 x 210 mm
ISBN 978-3-89812-996-1 

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