Das Leben als Falle – John Williams melancholisches Meisterwerk

Wenn ein lange vergessener Roman aus den 60er Jahren, das Buch eines unbekannten amerikanischen Autors, in unseren Zeiten eine hymnisch umjubelte Wiederentdeckung feiern und einen um fast 50 Jahre verspäteten Siegeszug durch die Bestsellerlisten und Feuilletons antreten kann, dann ist dies auch im vielgestaltigen großen Buchmarkt ein seltenes und bemerkenswertes Phänomen. Noch dazu, wenn man weiß, dass von diesem Roman, der heute bei uns lange die Bestsellerlisten anführte, zum Zeitpunkt seines Erscheinens gerade einmal 2000 Stück verkauft wurden.

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Jörg Stübing ist Buchhändler in der Dresdner Neustadt.

Der späte Erfolg von „Stoner“, einem Campus-, Liebes- und Bildungsroman um den Literaturdozenten William Stoner, einem Artisten des Scheiterns, an einer Provinzuniversität im mittleren Westen ist außergewöhnlich, die Wiederentdeckung des Romans ein literarischer Glücks- aber dennoch kein Zufall. „Was gut ist kommt wieder.“ „Dunkle Zeiten brauchen dunkle Bücher.“ Beides stimmt hier wohl zu gleichen Teilen und macht uns durchaus deutlich, dass der vitale Optimismus des Westens am Schwinden zu sein scheint und unsere zergrübelten Zeiten, anders als die lauten 60er, einen besseren Resonanzraum für die leisen Stimmen von melancholischen Nebenfiguren abgeben.

John Williams: Stoner

John Williams: Stoner. Quelle: dtv


Eine ebensolche war der Autor des Buches John Williams (1922-1994) Dieser, mit seinem Protagonisten oft in eins zu setzende, Dozent für Englische Literatur an der University of Denver blieb, nach äußeren Maßstäben, mit seinen nur vier Romanen, darunter ein Western und ein historischer Roman aus dem alten Rom, zeitlebens erfolglos – nach den Kriterien des Marktes betrachtet. In der Binnenperspektive des eigenen Tuns, der Treue zu sich selbst und in der bedingungslosen Hingabe an die Literatur jedoch ganz und gar nicht.

Der schmale Goldrand des Alltäglichen, die Fähigkeit das Leben in Gänze hinzunehmen, die Bejahung des gewöhnlichen Daseins mit all seinen menschlichen und schicksalsträchtigen Zumutungen und die individuelle Errettung durch die Kraft der Kunst, speziell der Literatur, das sind die großen Themen, die sich wie lichtdurchwirkte Fäden durch die oft dunklen Lebenslandschaften des Autors wie seines Alter Ego William Stoner ziehen.

In einer atemberaubend schönen Sprache folgt der Roman einem nach außen hin lebenslangem Hinnehmen und Aushalten, das von kurzen Spannen schmerzhaft schönen Glücks jäh unterbrochen wird. Ein ganz normales Leben eben. Ein genügsames, folgenloses und dennoch sinnreiches Leben, das sich nicht selbst verrät, dessen Protagonisten man allerdings nur allzu oft aus seiner stoischen Duldungsstarre aufrütteln möchte. Die Ästhetik des Fallens und Getriebenseins, der Glanz des Vergänglichen, feinnervige Meditationen über die Vergeblichkeit allen menschlichen Tuns haben ihre eigenen Verehrer. Gerne lässt man sich, auch literarisch, versichern dass die widrigen Verhältnisse nun einmal so sind wie sie sind. Das ist tröstend. Ermutigend ist es nicht. Doch am Strand steht ein alter Grieche und winkt.

John Williams, Stoner
Roman, 352 Seiten
Erschienen im September 2013
ISBN 978-3-423-28015-0
Verlag: dtv

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