Die Sicht des Buchhändlers ist zuerst die aus dem Inneren der Maschine. Wissen wollend tritt er zwischen die Räder, misst die Frequenzen und fragt nach den Zahlen. Schnurrt ein Aggregat melodisch gut, ist er gleich interessiert und will verhandeln. Seine Spur säumen verteilte Visitenkarten, abgehakte Termine und geschriebene Aufträge.
Eine andere Messe ist dies, als die die in der Zeitung steht – ein tragendes Kellergeschoss unter der bunten Benutzeroberfläche der Publikumserregungen, der unzähligen Lesungen und prominenten Gesichter. Souterrain und Beletage treffen sich jedoch, auf halber Treppe, im Saal der Preisträger. Nach diesen wird gefragt werden. Hier heißt es: sich kundig machen, wägen und werten. Wird dem geduldigen Leser wieder ein Hype angedient? Siegten vielleicht doch Erwägungen der political correctness über literarische Qualität ? Oder ist dies hier etwa wirklich große Literatur?
Fragen eines lesenden Arbeiters… An dieser Stelle erschallen dann auch die Fanfaren der Freude – Leipzig war ein großer Wurf. Die siebenköpfige Jury unter Leitung des Literaturkritikers Hubert Winkels hat ganze Arbeit geleistet – denn soviel Qualität war selten. Saša Stanišić und sein umpflügendes Uckermark-Epos „Vor dem Fest“ – eine Mischung aus Feldforschung im mehrfachen Sinne und Gottfried Keller 2.0 erzählt melancholisch bis grotesk von ostdeutschen Dorfbewohnern als Zeigerpflanzen deutscher Befindlichkeit. Lebenslinien prallen, in einer Nacht, an einem Ort, schicksalsträchtig aufeinander, verknoten und verheddern sich und ja, so manche endet jäh. Nach dieser einen Nacht in diesem Dorf ist alles anders und nicht zuletzt der Leser ist verwandelt.
Helmuth Lethen, Benn-Biograph und Gewinner in der Kategorie Sachbuch, ehrt den großen Roland Barthes und seine „helle Kammer“ durch „Der Schatten des Fotografen“ – eine sublime Meditation über die Vergänglichkeit im Gewande der Lichtbildnerei. Es ist eine berührende Studie über die Sehnsucht nach Evidenz, selbst noch in der Geste ihrer Ablehnung, und den, durch die Apparate verstellten, scheinbaren Weg zur Wirklichkeit.
Und dann der Übersetzerpreis: ihn bekam, zu Recht, Robin Detje für seine vielstimmige Fassung des Überwerkes „Europe Central“ des Amerikaners William T. Vollmann, einer, leider immer noch unterschätzten, grandiosen historischen Echokammer des 20. Jahrhunderts in deutsch-russicher Perspektive, voll mit Stimmen, Fakten und Legenden die uns bis heute umtreiben.
Das private Fundstück des Buchhändlers: Bulgakow und Ian Fleming im Cafe „Les deux Magots“. Das Buch, das beide geschrieben hätten heißt „Babajaga“ von Toby Barlow und verknüpft eine Agentenstory im Paris des Kalten Krieges mit zauberkräftigen russischen Hexen, die das tun, was sie am besten können.
Die eindrücklichste Messesituation: zwei Autoren eines Ebook-Verlages bei der Lesung – vor beiden, ganz klassisch, die Papiermanuskripte. Da hat das erste Buch der Welt wohl doch recht: Fürchtet Euch nicht !
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>> mehr über Helmut Lethen: Der Schatten des Fotografen
>> mehr über William T. Vollmann: Europe Central
>> mehr über Toby Barlow: Baba Jaga