Eines vorab: Wer hungrig ist, sollte sich dieses Stück nicht ansehen. Im übersättigten Zustand ist es sicher auch nicht angenehm. Empfohlen wird eine ausgeglichene Mahlzeit etwa zwei Stunden vor Beginn. Denn Die Panne, eine Komödie von Friedrich Dürrenmatt in der Inszenierung des Staatsschauspiels Dresden, ist eine hausgemachte Fress-Orgie, ein ästhetischer Angriff auf die Geschmacksnerven.
Was war? Ein Richter, ein Staatsanwalt, ein Verteidiger und ein Henker blühten einst in ihren Berufen. Was ist? Weil die inzwischen pensionierten Männer ihr Verwelken etwas hinauszögern möchten, treffen sie sich ab und an, um ihre Vergangenheit zu spielen. In diese illustre Altherrenrunde gerät ein Mittvierziger, den eine Autopanne zum Anhalten zwingt. Was wird sein? Alfredo Traps, der verhinderte Autofahrer, spielt mit – und zwar den Angeklagten, der sein Leben ganz schnell zum Spielball dieser Tafelrunde werden sieht. Die Sache läuft aus dem Ruder, oder, um im Bild zu bleiben: Sie kippt vom Tisch.
„Der Weg von der Schuld zur Unschuld ist zwar schwierig, aber nicht unmöglich“, erklärt der gastgebende Richter, solide gespielt von Albrecht Goette. „Aber: Die eigene Unschuld bewahren wollen? Hoffnungslos!“ Und so wird aus dem vermeintlich unschuldig Reisendem ein „Ehrenmann“, der „ehebrüchelt, schwindelt und sich durchs Leben gaunert“. Während dieser das Ganze zunächst noch als einen amüsanten Zeitvertreib sieht und das gute Essen und den sehr guten Wein genießt, irritiert ihn zunehmend das Spiel der Alten.
Die Grenzen von Spiel und Wirklichkeit verwischen mit steigender Satt- und Trunkenheit. Am Ende wird Alfredo Traps sagen: „Ich bin ein Mörder. Ich wusste es nicht, bevor ich dieses Haus betrat.“
Unappetitlich, aber sehenswert
Dieses Hin- und Hergeworfensein seines Traps bringt Ben Daniel Jöhnk glaubhaft rüber, seine Begeisterung, seine Unsicherheit, seine Verzweiflung. Der herausragende Schauspieler des Abends ist jedoch Ahmad Mesgarha als Staatsanwalt. Er spielt nicht nur mit dem vermeintlichen Angeklagten, sondern auch mit dessen Vertrauen, welches er tätschelt, um sich im unbeachteten Moment in sein Fleisch schlagen zu können. Wenig markant ist Holger Hübner in der Rolle des Verteidigers, allerdings mit großartiger Maske. „Die Panne“ ist eine Dürrenmattsche Meisterleistung der Antwort auf die Frage nach der Schuld, nach der Verantwortung fürs eigene Tun und nach dessen Bewertung.
In der Inszenierung im Kleinen Haus des Staatsschauspiels greift Regisseur Roger Vontobel allerdings mitunter zu sehr in die Vollen, also in die Völlerei, und es ist schade, dass der von Dürrenmatt so angelegte bissig-böse Humor an einigen Stellen im brachialem Fressen untergeht. Auch das irgendwie logische und dennoch schockierende Ende bleibt blass inmitten dieser großangelegten Materialschlacht, nach der vermutlich eine Reinigungskolonne ein paar Stunden zu tun hatte.
Wie gesagt: nicht zu hungrig, nicht zu satt ansehen. Und wer aus seiner Kindheit noch den Satz „Mit Essen spielt man nicht“ im Kopf hat, sollte diesen für knappe zwei Stunden vergessen machen. Fazit des Stückes: Unappetitlich, aber sehenswert.
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