Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt hat heute gemeinsam mit Co-Herausgeber Joachim Klose das Buch „Pegida. Warnsignale aus Dresden“ vorgestellt. Pegida ist „bloß die Spitze eines Eisberges und war ostdeutscher Vorbote jener politischen Kräfteverschiebung, die mit den jüngsten Wahlerfolgen der AfD auch in Westdeutschland unübersehbar wurde“, begründete Patzelt die Notwendigkeit, sich mit dem Pegida-AfD-Komplex weiterhin wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Das Buch soll zeigen, auf welche Weise Pegida und AfD Formen desselben Phänomens sind.
Neben den in der Vergangenheit bereits vorgestellten Ergebnissen der eigenen Befragungen von Pegida-Anhängern schließt das Buch nach Aussage von Patzelt Lücken in der bisherigen Forschung zum Pegida-AfD-Komplex. So würden erstmals alle Pegida-Reden einer systematischen Inhaltsanalyse unterzogen sowie Sprache und Stil der Redner und die Reaktionen der Demonstranten unter die Lupe genommen. (Zur Analyse der Pegida-Reden hat sich bei menschen-in-dresden.de bereits der Politikwissenschaftler Steven Schäller geäußert) Ausführlich erforscht und dargestellt werden die Pegida-Programmatik und Pegida als Netzphänomen. Autoren der Kapitel zu Kundgebungen und Reden und zur Entwicklung von Pegida auf der Straße und im Netz sind sechs Studenten des politikwissenschaftlichen Master-Studienganges.
Mit der Darstellung aller bisher zugänglichen wissenschaftlichen Befunde zu Pegida und dem abschließenden Kapitel unter dem Namen „Was tun?“ mit Ratschlägen an Pegida, Politik und Journalisten liege nun ein Buch vor „das alles enthält, was man derzeit gesichert über Pegida sagen kann“, erklärte Patzelt im Festsaal des Dresdner Stadtmuseums.
Für Patzelt selbst, so fügte er in einer persönlichen Anmerkung hinzu, sei das Buch auch darum wichtig, um sich mit all jenen „ahnungslosen Unterstellungen“ auseinanderzusetzen, nach denen er sich zu Pegida nicht wie ein „Wissenschaftler, sondern wie ein politischer Akteur“ verhalten hätte. Anfang 2015 hatten sich Mitarbeiter des Instituts für Politikwissenschaften der TU Dresden offen gegen die aus ihrer Sicht ungerechtfertigte und einseitige Wertung der „Pegida-kritischen Demonstrationen in Dresden“ durch Patzelt ausgesprochen. Das hatte ihm in vielen Medien den Ruf eines Pegida-Verstehers eingebracht. Es wäre schon gut, so Patzelt heute, wenn künftig die Debatten über unerwünschte politische Phänomene „an sorgfältig erhobenen Tatsachen ausgerichtet würden“.
Für Mitautor Joachim Klose, studierter Philosoph und seit 2007 Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung, liegt ein wesentlicher Grund für die Entstehung von Pegida in dem Auseinanderdriften der Gesellschaft in Extremismen. Zudem sei bis heute in Deutschland unklar, wie eine mehrheitsgetragene Vision von jener Gesellschaft und entstehenden Kultur aussehe, in die die Einwanderer integriert werden sollen. Klose plädierte dafür, auf der Bildungsebene mit den Pegida-Anhänger ins Gespräch zu kommen. Auf politischer Ebene gehe mehr um die Macht, meinte er. Matthias Rößler (CDU), Präsident des Sächsischen Landtages, gestand ein, dass „die Landespolitik bei Eurokrise und Flüchtlingskrise mit ihrem Latein am Ende gewesen ist“. In vielen Dialogveranstaltungen sei er mit Fragen zur inneren Sicherheit und den Ängsten vor dem Verlust der angesparten Vermögen konfrontiert worden. Auch das Verhältnis zu Russland sei immer wieder Thema gewesen.
In seinen Ratschlägen zum Ende der 600 Seiten starken Abhandlung stellt Patzelt der Pegida-Führung schlechte Noten aus. Die Organisatoren von Pegida seien der ihnen von den Anhängern zugedachten Rolle nicht gewachsen. „Mehr als gemeinschaftsstiftende Empörungsveranstaltungen durchzuführen, vermögen sie noch nicht“, schreibt der Politikwissenschaftler. Die von den Pegida-Anführern genährte Vorstellung, „unser Staat sei so etwas wie die DDR vor der friedlichen Revolution“ sei falsch und führe in eine Sackgasse. Im Gegensatz zur DDR basiere unser System auf periodisch freien Wahlen, die die Regierenden „auch wider ihren Willen an die Zustimmungsbereitschaft der Bevölkerung binden“, so Patzelt. Es gäbe wenig Grund zu der Vermutung, dass die Pegida-Organisatoren in der Lage wären, konkrete Politikziele zu formulieren und nachzuweisen, dass diese durch Tausende Anhänger unterstützt würden. Pegida könnte auch den Weg einer normalen Bürgerbewegung gehen und die Willensbildung nach den Grundsätzen der innerverbandlichen Demokratie vollziehen. Außerdem sei eine klare und überzeugendere Abgrenzung der Pegida-Spitze vom Rechtsextremismus und Rassismus erforderlich. Den Ton, den Tatjana Festerling in Reden und vor allem im Internet pflegt, bezeichnet Patzelt als rechtsradikal.
Den Politikern rät der Politikforscher, „jene vielen nicht auf der Straße befindlichen Nicht-Linken und Nicht-Mittigen kommunikativ zu erreichen, die ähnlich wie die Pegida-Demonstranten denken“. Es gehe hier um einen wachsenden Teil in der Bevölkerung. Auch für die Journalisten hat Patzelt einen Rat. Sie sollten selbst kristisch klären, was in ihren eigenen Reihen beim Umgang mit Pegida nicht gut gewesen sei und Schlüsse ziehen, wie man künftig „mit gesellschaftlich unerwünschten politischen Gruppierungen“ umgehe.
Im 60 Seiten dicken Anhang finden sich Daten zu den Teilnehmerzahlen, eine Auflistung aller bekannten Redner auf den Pegida-Demos seit November 2014. Bei den ersten drei Veranstaltungen stehen hier Fragezeichen. Außerdem dokumentieren die Autoren verschiedene Pegida-Programm-Papiere und liefern Begriffserklärungen, zum Beispiel zu Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus oder Rassismus.