Jörg Stübing ist Buchhändler in der Dresdner Neustadt.Bücher im Sommer zu lesen ist häufig besonders: oft unter freiem Himmel, vor fremden Hintergründen, in anderen Strukturen. Sommerbücher können uns, die dann aus den Gleisen der Gewohnheit Gerissenen, prägen und auch der ganzen Jahresmitte eine sehr eigene und unverwechselbare Färbung geben.
Donna Tartt: Der Diestelfink
„Der Distelfink“ von Donna Tartt ist so ein Buch das tief lotet und uns verwandelt und erstaunt zurücklässt. Eine hochreflexive Parabel für die nachdenklich Gesinnten unter uns, über die Kraft der Kunst, die Schwere unverursachter Schuld und die Schwierigkeiten den eigenen Kurs zu halten. 10 Jahre Schreibzeit, 1000 Seiten, Pulitzerpreis 2014 – ein ganzes Zentralmassiv, gespickt mit Joseph von Eichendorff, Fjodor Dostojewski, Walter Benjamin…, das hier mit beträchtlichem ästhetischen und intellektuellen Gewinn durchstiegen werden kann. Ein bisschen Bergerfahrung ist dabei mit Sicherheit von Vorteil.
Dan Simmons: Der Berg
Ein echtes Gebirge mitsamt seinen unheimlichen Inhalten steht im Mittelpunkt meines diesjährigen Lieblingsbuches. „Der Berg“ – eine authentisch beginnende Expeditionsgeschichte über den Versuch von George Mallory und Andrew Irwin im Jahre 1924 als erste den Mount Everest zu bezwingen. Beide verschwanden damals spurlos und hinterließen ein dunkles Basislager an Gerüchten und verschwörerischen Theorien. Wie schon im Vorgänger „Terror“ verknüpft Autor Dan Simmons hier meisterhaft die erzählerischen Fäden von Fakten und Fiktion und präsentiert dann seine eigene, fantastische Lösung. Es war nicht schlechtes Wetter, noch mangelhafte Ausrüstung, die den Männern zum Verhängnis wurde. Noch etwas war mit ihnen auf dem Berg, ein Etwas das nicht sie fanden, sondern von dem sie gefunden wurden, ein tödliches Etwas, das einem auch bei der Lektüre am Strand noch eine Gänsehaut bereiten kann.
Silvain Tesson: In den Wäldern Sibiriens
Wem dann zumute ist in die Wälder laufen zu wollen, wie es Kafka von großer Literatur verlangte, der ist mit Silvain Tessons Tagebuch „In den Wäldern Sibiriens“ gut bedient. Eine Fremd-und Selbsterkundung über die Weite und die Einsamkeit – die der Landschaft und die der Seele. Das spannende Logbuch eines neugierige Eremiten auf Zeit (6 Monate), Nachrichten aus einer kleinen Hütte am Baikalsee ohne Zufahrtsstraße und 120 km vom nächsten Dorf entfernt. Ein russischer Henry David Thoreau, der uns lehrt, dass die wesentlichen Dinge des Lebens unveränderlich die Gleichen waren, sind und bleiben werden, allen elektrischen Netzpropheten zum Trotz.
Alessandro d’Avenia: Die Welt ist eine Muschel
Für die kleinen und großen Mädchen noch das klassische Selbstentfaltungsbuch der Saison: Alessandro d’Avenia und „Die Welt ist eine Muschel“ – eine Coming-of-Age-Geschichte um die vierzehnjährige Margharita mit den grünen Augen, die einen letzten Sommer mit dem Vater über das Meer segelt. Sturm kommt auf, der einen und der anderen Art, verstörende Begegnungen und der Blitzstrahl der Liebe, der Geruch des Meeres und ein folgenreicher Sprung ins Ungewisse. Ein Sommer-, Sonne- Strandbuch voll Perlmuttglanz und Meeresrauschen, treuer Begleiter für Fahrten an jedwede Küste.
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