Der Wahlausgang bei der Dresdner Oberbürgermeister-Wahl ist spannend wie nie. Dabei geht es im ersten Wahlgang nicht so sehr darum, wer gewinnt, sondern wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird und wie viele Stimmen Tatjana Festerling erhält. Beide Fragen hängen mit dem Pegida-Phänomen zusammen. Aus Kreisen der Montagsdemonstrierer war die Hoffnung zu hören, dass die seit acht Monaten andauernde Aktivierung der Menschen die Wahlbeteiligung um bis zu zehn Prozent anheben werde. Bei der letzten OB-Wahl im Juni 2008 waren 42 Prozent im ersten Wahlgang dabei. Ein Indiz für die höhere Wahlbeteiligung könnte die doppelt so hohe Zahl der Briefwahlanträge im Vergleich zu 2008 sein. „Von den derzeit 436.482 Wahlberechtigten haben bis Montag, 1. Juni 2015, bereits 53.585 Briefwahl beantragt. Das sind 26.318 mehr als zum vergleichbaren Zeitpunkt bei der Oberbürgermeisterwahl 2008. 6.078 Wahlberechtigte haben bereits per Sofortbriefwahl im Briefwahlbüro gewählt“, heißt es in einer Pressemitteilung des Rathauses.
Kann Festerling alle Pegida-Anhänger mobilisieren?
Die beiden Politikwissenschaftler Steven Schäller und Maik Herold bestätigen im Gespräch zumindest, dass Pegida die Stadtgesellschaft insgesamt politisiert, aber auch polarisiert hat. Ein Anstieg der Wahlbeteiligung, so Herold, „hängt auch davon ab, wie es der CDU gelingt, ihre Anhänger zu mobilisieren“. Auch der offen ausgetragene Streit in der AfD-Spitze könne potenzielle Wähler abschrecken, gerade auch im Lager der Pegida-Anhänger. Zwar hätten in der Studie des Lehrstuhls für Politische Theorie und Ideengeschichte unter Leitung von Hans Vorländer 62 Prozent der Pegida-Anhänger geäußert, dass sie sich mit keiner Partei verbunden fühlen. Dennoch würde ein Drittel die AfD wählen.
Auf der Grundlage mehrerer Studien seien inzwischen ziemlich genaue Aussagen über die Pegida-Anhänger möglich. Offen, so Herold, „bleibt jedoch, ob es der Pegida-Kandidatin Tatjana Festerling schafft, dieses Klientel auch anzusprechen“. Ein Indiz dafür, dass das nicht ohne Umstände gelingt, ist für Schäller der Rückgang der Demoteilnehmer nach der Flutrinne-Kundgebung mit dem Holländer Geert Wilders und der Bekanntgabe der OB-Kandidatur von Tatjana Festerling. Seitdem sei es nicht gelungen, deutlich mehr als 3.000 Teilnehmer zu mobilisieren, eher weniger.
Für die Politikwissenschaftler ist eine Prognose ohnehin schwierig. Die jüngste Wahlgeschichte bietet nicht viele Anhaltspunkte. Vergleichbar wäre der Wahltag vielleicht noch mit den ersten Wahlauftritten der AfD. Da lagen die Prognosen der Wahlforscher deutlich unter den tatsächlichen Ergebnissen. Aber Pegida ist keine Partei, die Kandidatin ist nicht in einem demokratischen Verfahren nominiert worden, sondern eine Einzelbewerberin.
Deutliche Unterschiede zwischen Wahlbörse und SZ-Leserumfrage
Eine repräsentative Wahlumfrage mit der klassischen Sonntagsfrage gibt es für die Dresdner OB-Wahl nicht. Einen Anhaltspunkt für das Abschneiden der Pegida-Kandidatin und das Ergebnis im ersten Wahlgang bietet der Blick in eine der Wahlbörsen. Bei der PESM-Wahlbörse von Prognosys gibt es ein ständiges Auf und Ab an der 10-Prozent-Marke für Tatjana Festerling. Ein „gut zweistelliges Ergebnis“ als Überraschung, wie es Festerling im Interview hoffte, scheint demnach nicht in Sicht.
Der Ansatz bei Wahlbörsen unterscheidet sich grundsätzlich von Wahlumfragen. Die Prognosys-Macher beschreiben ihr Vorgehen so: Gefragt werden nicht einzelne Personen danach, welche Partei sie wählen würden. Wir fragen „Was glauben Sie, wie die gesamte Wählerschaft entscheiden wird? oder Wie werden die einzelnen Parteien abschneiden?“, heißt es auf der Plattform. Die kollektive Intelligenz der Teilnehmer, deren Bewertung der Chancen aller Parteien führe so am Ende zu einer Prognose.
Bei der Wahl der Bremer Bürgerschaft vor vier Wochen, aber auch bei der Landtagswahl in Sachsen im August 2014 verzeichnete die PSEM Wahlbörse die geringste Abweichung vom tatsächlichen Wahlausgang – im Vergleich zu Wahlforschungsinstituten wie Forschungsgruppe Wahlen oder Infratest Dimap. Erstaunlich dabei ist der Umstand, dass nur wenige Mitspieler ausreichen, um ein derartiges Ergebnis zu erzielen. Bei der Bremen-Wahl etwa 60, bei der Landtagswahl knapp 90. Wie gut knapp 40 Mitspieler für die OB-Wahl sind, wird der Sonntag zeigen.
Ulbig doppelt so gut wie bei Zeitungslesern
Auch für die Wahlbörse ist eines sicher. Bei der OB-Wahl in Dresden wird es am 5. Juli einen zweiten Wahlgang geben. Für den Sonntag vermitteln die PESM-Parteiaktienhändler folgendes Bild. Eva-Maria Stange liegt mit 36 Prozent vor Dirk Hilbert mit 26 und Markus Ulbig mit 18 Prozent. AfD-Kandidat Stefan Vogel liegt mit 6 Prozent hinter Festerling. Lara Liqueur wird unter Sonstige gehandelt.
Deutlich zeigt sich hier ein Unterschied zur Umfrage der Sächsischen Zeitung unter ihren eigenen Lesern. Dort erzielten Stange 41,6 Prozent, Hilbert 37,8 Prozent und Ulbig weit abgeschlagen nur 9 Prozent. Die Wahlbörse-Teilnehmer sehen den CDU-Kandidaten doppelt so gut wie die SZ-Leser. Das Wahlbörse-Ergebnis für Festerling ist mit 10 Prozent mehr als dreimal hoch wie bei den SZ-Lesern. Einzige Gemeinsamkeit beider Prognosen für den Sonntag ist die, dass es einen zweiten Wahlgang geben muss.
Diese Zahlen lassen vermuten, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem politischen Meinungsbild der Dresdner Bürgerschaft und dem der Leser der Sächsischen Zeitung.