Micha’s Musiktipp: Acht Rundlinge für gute Stimmung bei langen Fahrten

Sommer, Sonne, Autofahrt. Ans Meer oder sonstwohin. Hauptsache weit weg. Da ist es wichtig, bei Laune zu bleiben. Und da Musik immer noch die beste Triebkraft für ein gutes Feeling ist, sollte man die passenden Rundlinge mit dabei haben. Hier einige Tipps für die Fahrt in den Süden, Norden, Osten, Westen.

Gregory Porter: Take me to the Alley

Da darf der unvergleichliche Gregory Porter mit seinem neuen Album „Take me to the Alley“ (Universal) natürlich nicht fehlen. Der alte Brummbär ist mit seiner tiefen, warmen Stimme und der komischen Fellmütze auf dem Kopf (wahrscheinlich nimmt er die nicht mal beim Duschen ab) genau der richtige Begleiter. Zeitlose Songs, die der beeindruckende Jazzsänger da hinbekommen hat. Wahrscheinlich laufen die in 30 Jahren noch. Man muss nur den Opener „Holding on“ anspielen und schon ist man verzaubert und ruft aus: „mehr davon“. Zwölf Songs des amerikanischen Jazzromantikers reichen zumindest, um die erste Stunde der Reise zu überbrücken.

Beth Hart: Better than home

Hart Beth
Beth Hart

Solls danach etwas heftiger werden, sei die aktuelle Scheibe der Rockröhre Beth Hart „Better than home“ (Provogue) empfohlen. Souliger Bluesrock in elf Stücken, mal balladesk, mal intensiv, aber immer berührend. Die Amerikanerin, deren Stimme sehr an Janis Joplin erinnert, räumt mit diesem Album mit ihrer verkorksten Vergangenheit auf und lässt daran teilhaben. Der Kracher „Trouble“ bringt die Autoboxen zum Vibrieren. Nicht anders bei „The Mood that I‘m in“. Ansonsten dominiert die Zurückhaltung, was der Scheibe aber keinesfalls den Reiz nimmt.

Manu Katchè: Unstatic

Manu Katchè
Manu Katchè

Manu Katchè ist ein Star unter den Schlagzeugern dieser Welt. Mit seiner aktuellen CD „Unstatic“ (Anteprima) bringt einen nichts aus der Fassung, auch der Idiot nicht, der einem auf der Stoßstange klebt und die Lichthupe bearbeitet. Gibt man sich diesem herrlichen Soloalbum hin, regt einen nichts mehr auf und die innere Balance stellt sich von selber ein. Der Franzose verarbeitet Jazz, Latin und Funk zu einem herrlich groovenden und perlenden Sound. Nicht von ungefähr ist ein Perfektionist wie Nils Landgren, der Mann mit der roten Posaune, ganz erpicht drauf, bei diesem Schlagzeugperfektionisten mitmachen zu dürfen. Er darf. Und zwar sich ins kollektive Spiel einordnen. Und der Chefrhythmiker lässt allen herrlich lange Leine, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Hat man bei Chefs ja nicht so oft.

Eric Clapton: I still do

Eric Clapton
Eric Clapton

Eric Clapton – ja richtig, da war doch wieder was. 70 ist er geworden, der Gitarrengott und kein bisschen faul. Auf seinem neuen Album „I still do“ (EPC) zupft der Altmeister wie gewohnt lässig seine Fender und huldigt dem Blues. Es ist sein 23. Studioalbum und er muss niemandem mehr etwas beweisen. Dementsprechend entspannt geht er es an. Übrigens: der Produzent Glyn Johns war schon mit an Bord, als das Kultalbum „Slowhand“ entstand. Und das war 1977. Es ist gut, wenn man jemanden hat, auf den man sich verlassen kann. Auch bei diesen elf Songs, die mit dem „Alabama Woman Blues“ keinen besseren Einstieg hätten finden können. Clapton bietet abwechslungsreiches Material, aber ein großer Kracher ist nicht darunter. Das ist auch nicht nötig, denn der Meister hat gezeigt, dass man auch mit 70 noch Topleistung bringen kann. Und für die Urlaubsfahrt ist so eine Scheibe die reinste Nervennahrung.

Matt Andersen: Honest Man

Matt Anderson
Matt Anderson

Nicht anders ist es bei Matt Andersen. Der Kanadier, passender Weise mit Holzfällerfigur und Holzfällerbart, hat aber so gar nichts Holzschnittartiges an sich. Im Gegenteil. Der erste Songs „Break away“ seines aktuellen Silberlings „Honest Man“ (True North Records) kommt so angenehm daher, dass man Lust auf mehr von diesem herrlichen Barden bekommt. Der Bursche mit der warmen und runden Stimme ist hierzulande bislang eher weniger bekannt. Aber spätestens mit dieser CD wird sich das ändern. Die zehn Songs bieten ausnahmslos ein angenehmes Feeling. Der Titelsong stampft so eingängig durch den Player, dass man da nur zu gern die Repeat-Taste drückt. Bei dem herrlichen „Quiet Company“ zirpen die Grillen, bei „Let‘s get back“ pumpen Bass und Schlagzeug und der und Sänger schafft es mit seinem Gesang, dass sich Gänsehaut einstellt. Da denkt man zuweilen, der alte Joe Cocker sei wieder auferstanden. Erst recht bei „Last Surrender“. Unglaublich, diese Ähnlichkeit. Toller Song. Tolle Scheibe.

Klaus Doldinger: Doldinger

Klaus Doldinger
Klaus Doldinger

Klaus Doldinger – noch so ein sensationelles Reptil. 80 ist er im Mai geworden. Deswegen denkt er aber überhaupt nicht daran, sich in die Südkurve der Couch zu legen und nichts zu tun. Im Gegenteil. Der Münchner ist ein Stehaufmännchen. Und wer‘s nicht glaubt, der lege einfach das Album zum 80. mit dem einfachen Titel „Doldinger“ (Warner Music) in den Dreher. Schon wenn man liest, wer da mitgemacht hat – Helge Schneider, Sasha, Max Mutzke, Nils Landgren, Dominic Miller – , weiß man, da ist mal wieder so ein Meilenstein entstanden. Und mit zwei Bands. Den alten Weggefährten Doldingers und mit der Formation, die vornehmlich mit Newcomers der Jazzszene besetzt ist. 14 Stücke haben Platz gefunden. Und der letzte kommt von einem, der bei Doldinger erst das Laufen lernte – Udo Lindenberg. Der saß bei Doldingers Band Passport einst am Schlagzeug. Und hier, hier singt er seinem Meister zum Kehraus auf der CD zum Geburtstag den unverschämt rotzigen Song „Der Greis ist heiß“. Und was macht der damit Angesprochene? Er macht einfach mit und hat Spaß dabei. Doldinger eben.

Brad Mehldau: Blues and Ballads

mehldau brad
mehldau brad

Brad Mehldau, den kann man sich einlegen, wenn man es geschafft hat und mit einem Glas Rosè am Meer sitzt und die Seele baumeln lässt. Dann perlt sein Klavierspiel des neuen Albums „Blues and Ballads“ (Nonesuch) und alle Last fällt von einem ab. Mehldau am Klavier, am Elektrobass Larry Grenadier, am Schlagzeug Jeff Ballard, ein paar wunderbare Arrangements – mehr braucht man nicht für ein gutes Werk und den Seelenfrieden. Hohes Niveau, klare Linien, das Trio harmoniert unglaublich. Ein herrlicher Ausklang eines schönen Abends, diese Scheibe. Urlaub braucht man dazu aber nicht unbedingt.

Micha’s Musiktipp: Frühjahrsputz mit „Openness“ vom Henrik Freischlader-Trio

Alles neu macht der Mai. Einen rockig-bluesigen Frühjahrsputz inklusive. Den absolviert Henrik Freischlader, der Mann mit der Schiebermütze, im klassischen Trio auf seinem neuen Album „Openness“ (Cable Car Records). Der Kölner besetzt die Gitarre und den Gesang, mit ihm im Bunde bei der Reinigungsaktion sind Carl-Michael Grabinger (Drums) und Alex Grube am Bass.

Nachbarn vorwarnen, CD in den Dreher und den Lautstärkeregler hoch. Man wird sehen: der Winterstaub rieselt kräftig aus den Boxen. Die Dreierkombo lässt von Anfang an keine Fragen offen. Hier geht‘s zur Sache, mit einem fetten Blues-Rock-Gemisch in klassischer Manier, dass die Heide wackelt. Kraftvoll und kompromisslos wird die Stilistik von Anfang an bedient.

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Openess ist im April bei Cable Car Records erschienen.

Mit dem Titelsong gibt es sofort Druck auf die Kalotten, zur Selbstreinigung gewissermaßen. Mein lieber Alter, das haut richtig rein. Die Putzaktion geht bis Titel Nr. 6 („Never really left you“), bei dem das balladeske Fach zum Luftholen bedient wird, um danach mit Kraft und Feuer weiterzurocken. Und alles technisch wunderbar abgemischt.

Die schöpferische Pause Freischladers hat bei ihm hörbar neue Energie freigelegt und mit „Openness“ einen weiteren schöpferischen Höhepunkt erreicht. 12 unbedingt anhörenswerte Songs sind ihm nach der Auszeit aus der Feder geflossen. Spaß gemacht hat es ihm und seinen beiden Kollegen offenbar auch, wie man bei allen Stücken hören kann. Schön auch, dass diese Stilrichtung nicht dem flachen Massengeschmack zum Opfer gefallen ist. Man sollte unbedingt zusehen, dass man ein Ticket für eines der Live-Konzerte bekommt (z.B. am 22. Oktober in Erfurt), wenn die Band auf Tour geht. Da gibt‘s übrigens gratis die Schippe Blues-Dreck dazu, die den Bluespuristen auf Studioalben immer mal fehlt. Bei Freischladers Boxen-Putzkolonne aber kein Makel.

Micha’s Musiktipp: Kenny Barron und sein Trio – eine Klasse für sich

Der klassische Dreier im Jazz – Piano, Bass und Schlagzeug – er ist ein Garant für das Wesentliche. Ohne Schnickschnack drumherum, ohne Gimmicks, ohne Trickserei. Entkleidet bis aufs Hemd steht er da und präsentiert sich in seiner ganzen schönen Einfachheit und Klarheit. Da gibt es kein Verstecken, da verlässt sich jeder der Mitspieler blind auf den anderen. Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig. Dafür übt er und übt und übt. Und seine beiden Partner nicht minder. Denn der kleinste Fehler wird zum Desaster und lässt sich auch mit einer Improvisation nicht kaschieren.

Insofern haben wir es beim Kenny Barron-Trio mit wahren Meistern und Intimkennern des jahrelangen Übens zu tun. Wovon das jüngste Album „Book of Intuition“ (Universal) Zeugnis ablegt. Da greift ein Zahnrädchen ins andere. Es flutscht, könnte man volkstümlich bemerken.

michael keller
Mein Hobby ist die Musik. Ich liebe Rock, Pop, Soul, Jazz, Dance. Hauptsache gut und keine One-Hit-Wonder oder flachen Dudelsongs.

Dabei, volkstümlich geht es bei Kenny Barron (Piano), Kiyoshi Kitagawa (Doppelbass) und Jonathan Blake (Drums) nun ganz und gar nicht zu. Da wird nicht gepoltert oder übertönt, da wird nicht drauflos musiziert. Da ist alles fein austariert, wie mit einer Briefwaage ins Gleichgewicht gebracht. Heraus kommt eine geradezu schwebende Leichtigkeit in den zehn Stücken, die in ihrer Unterschiedlichkeit den ganzen Klangkosmos dieser drei Spitzenjazzer ausloten.

Rasante Piano-Soli konkurrieren mit rasenden Schlagzeugpassagen, Der Bass pumpt dazu einen Soundteppich, auf dem sich die beiden Kollegen trefflich auszutoben – oder zu entspannen – wissen. Es ist ein steter Wechsel zwischen treibenden Passagen und balladeskem Innehalten. Muss man erstmal können.

Wie die drei zueinander gefunden haben, lässt sich in der langen Karriere von Kenny Barron nur erahnen. Einen Riecher für geniale Mitspieler hatte der 72-Jährige schon immer. Dieses Trio aber ist ein Sonderfall. Die drei kennen sich seit zehn Jahren. Genug Zeit, selbst die verborgensten Seiten aus einem Partner herauszukitzeln. Geht manchmal nur in der Musik. Ganz besonders bei sensiblen Jazzern. Die neue Platte ist der Ton gewordene Beweis.

Heidelberger Band DePhazz erfindet sich auf „Private“ noch einmal selbst

Ach ja, Heidelberg. Da gibt es 64 Jahre alte Schlagerschnulzen, die diese mittelalterliche Perle deutschtümelnd emotional überhöhen, dass es einem graust. Dabei, Heidelberg hat etwas zu bieten, von dem man nicht unbedingt annehmen kann, dass es tatsächlich Heidelberg als Ausgangspunkt hat.

Die Rede ist von der Band DePhazz, die man unter entspanntem Jazz-Rock oder Lounge-Jazz – einer Melange aus Drum‘n‘Bass, Trip Hop und Easy Listening – noch am ehesten einordnen kann. Was die 1997 tatsächlich in Heidelberg gegründete Band in den 19 Jahren ihrer Existenz so produziert hat, gehört zur Rubrik Ohrwurm. Gern genommen in Radiosendern, die mit Dudelfunk nicht so viel am Hut haben und lieber auf Qualität setzen.

Die hat DePhazz zweifelsohne. Was sich da mischt zu einem herrlichen Clubsound, bei dem man jeden Tag nach Feierabend ’ne Party anstiften möchte, ist auch auf dem neuen Album „Private“ (Edel) hörbar. Wer die Titelliste studiert, wird merken, dass da viele alte Bekannte hervorlugen.

Es ist quasi die Neuerfindung, die man auch gern als alter Wein in neuen Schläuchen beschreiben könnte. Was am Wesen der Scheibe natürlich vollkommen vorbeigeht. Denn DePhazz hat analog die alten Songs als Akustikversion neu belebt. Und wer sorgt für die Farbe in allen Versionen? Klar, Sängerin Pat Appleton mit ihrer lasziven Stimme.

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Private von De Phazz aus Heidelberg.

Was da aus den Boxen tönt, ist ein Feinschliff dessen, was die Band unter Mastermind Pit Baumgartner schon einmal unters Volk geworfen hat. Da findet sich „My Society“, „Something Special“, „Astrud Astronette“ oder „Our Relationship“. Kennt man vielleicht nicht, wenn man es liest. Aber wenn man es hört, allemal. Das war doch … Genau, das war mal eine neue Stilmixtur, die da so entspannt und lacy aus den Boxen schwappte und die Sommer an deutschen Badeseen zum Top-Event mutieren ließ. Rubrik Ohrwurm eben.

DePhazz-Songs sind ein – ach was, das – Sinnbild für Entspannung, Fingerschnippen, Party, Loslassen. Wohl dem, der einen Jazzklub oder eine Lounge – demnächst auch wieder einen Badesee, zur Not auch ein Cabrio  – in der Nähe weiß. Ästhetischer kann man kaum Feierabend oder Wochenende oder Urlaub genießen. Da sage noch einer was gegen Heidelberg.

Musiktipp von Micha: 17 Hippies feiern mit „Anatomy“ und „Metamorphosis“

2002 war‘s. Da hat Andreas Dresen diesen herrlich kruden Film „Halbe Treppe“ gedreht. An Axel Prahl, diesen kleinen gehörnten Dicken im trostlosen Plattenbauambiente, erinnert sich fast jeder. Aber auch an die 17 Hippies? Die haben damals den grandiosen Soundtrack geliefert.

Und spätestens von da an kannten sie viele. Obwohl, es gibt die 17 Hippies schon seit 1995. Grund genug, mal zurückzuschauen, was man da in zwei produktiven Dekaden so fabriziert hat. Es war viel – Gutes und sehr Gutes. Das ist ein prinzipielles Qualitätsversprechen, was die 17 Hippies, die meist gar keine 17 Leute auf die Bühne bringen – meist sind es elf oder 14 oder auch nur neun – , in 20 Jahren auch auf CD gepresst haben.

Wer das Wesen dieser Band, die mittlerweile bis auf Alaska, Feuerland und Hawai und einige andere wenige Ausnahmen jeden Kontinent in ihren Reisepass eingestempelt bekam, vertstehen will, muss freilich in ein Konzert der Berliner Musikeransammlung gehen. Da dauert es keine zehn Minuten und das Publikum steht – sinnbildlich gesehen – auf den Stühlen. Und was da zu Ohren kommt, ist mit Weltmusik nur äußerst unzureichend beschrieben. Auf Deutsch, Englisch und Französisch wird gesungen, oft geprägt von der romantisch-erotischen Stimme Kiki Sauers, der Mitgründerin dieses charismatischen Ensembles.

17 hippies cover
20 Jahre 17 Hippies: Anatomy & Metamorphosis – Doppel CD.

Wer sich überzeugen möchte, ob das hier Geschriebene nicht doch etwas dick aufgetragen ist, dem sei der Doppelsampler der 17 Hippies „Anatomy“ und „Metamorphosis“ (Hipster Records) empfohlen. Auf „Anatomy“ bekommt er 20 herrliche Songs aus 20 Jahren zu hören. Anspieltipp: Adieu. Da kräuselt sich das Empfindungszentrum und man denkt – garantiert – an seine erste oder seine größte Liebe zurück. Ein sinnlicher Taumel. Der auch  die Motorik anregt. Eine Mixtur aus Lust, Ballade und Ekstase mit jeder Menge musikalischer Einflüsse, mit Bläsern, Streichern, mit Akkordeon, Kontrabass und Klarinette. Partymusik der gehobenen Klasse für Leute mit Sinn für Ästhetik und Schönheit.

„Metamorphosis“, der zweite Rundling der Doppelausgabe, hat 14 Songs parat von Musikern und Bands, die zu den Freunden der mehr oder weniger 17 Hippies zählen.  Auf der Bonus-Scheibe musizieren Kollegen, denen die Band auf ihren Tourneen rund um den Globus in all den Jahren über die Bühnentreppe gelaufen sind. Denen haben sie ihre Songs zur Bearbeitung freigegeben. Zur freien Bearbeitung, zur Neuinterpretation. Herausgekommen sind Versionen, die neue Freunde suchen. Es werden wohl nicht wenige sein.
Die 17 Hippies, Deutschlands musikalischer Exportschlager Nr.1. Acht von zehn Sternen.

Der Musik-Tipp von Micha: Fünf Geschenk-Ideen

Weihnachten möchten wir Menschen, die wir mögen, mit etwas beschenken, das auf Gegenliebe stößt. Keine Socken, Krawatten, Rasierwasser oder die Einladung zu einem Kochkurs. Etwas Bleibendes soll es sein. Musik auf Silberlingen, das geht immer und hinterlässt Eindrücke. Für alle, die ohne Plan losziehen und dann ratlos vor der riesigen CD-Auswahl stehen, hier ein paar Tipps aus meiner Plattenküche.

Für Nostalgiker: Starless von King Crimson

Das letzte Mal, dass es mich beim ersten Hören einer Platte so richtig durch und durch gerissen hat, ist über 40 Jahre her. Da bot einer dieser Dealer-Typen, der schon zu Ostzeiten immer irgendwelche ungewöhnlichen Scheiben in petto hatte, das King Crimson-Album „Starless“ an. Es war ein Kauf – 120 Ostmärker – der sich bis heute zigfach amortisiert hat. Die Scheibe begleitet mich. Immer und immer wieder. Ein Konzeptalbum der Superlative. Eines, dass seither nichts an musikalischer Qualität verloren hat.

Abräumer in Amerika: „Sylva“ von Snarky Puppy & Metropole Orkest

Die CD „Sylva“ (Universal) kam mir eher  unvermittelt ins Haus geschneit. Snarky Puppy & Metropole Orkest. Nie gehört. Komisch. Snarky Puppy – das ist eine Prophezeiung, ein Glücksfall. Ohne Übertreibung. Snarky Puppy – dahinter verbirgt sich ein Mann namens Michael League. Und dieser Ami, ein Bassist, behauptet allen Ernstes, das vorliegenden Album auf einer Tournee auf seinem MacBook komponiert und arrangiert zu haben. Was für ein Genie, weil davon auszugehen ist, dass das stimmt. Wen wundert es daher, dass das sensationelle Album, eingespielt mit dem niederländischen Metropole Orchestra, derzeit der Abräumer in den USA sein soll? Mich nicht. Ich habe die CD in den Dreher geworfen und komme nicht mehr davon los. Abends zu Hause, tagsüber im Auto. „Sylva“ hat Suchtpotenzial. Versprochen! Was Besseres gibt es für Jazzästheten unterm Weihnachtsbaum derzeit kaum. Und: unbedingt das Doppel mit DVD nehmen. Optisch wird das Ganze die totale Erweckung. Man höre, sehe und staune.

„From Darkness“ mit dem Avishai Cohen-Trio

Für die, die nicht auf das große Orchester stehen, hier eine Alternative mit klassischem Jazz in Dreierbesetzung. Das israelische Avishai Cohen-Trio ist in diesem Genre für die ganz große Kunst zuständig. Das neue Album „From Darkness“ (Razdaz) liefert den Beweis. Fein austariert, unglaublich präzise, musikalisch top und im Zusammenspiel unerreicht. Der Weltklasse-Bassist, -Komponist, -Sänger und -Pianist bringt multikulturellen Jazz auf CD. Und er hat zwei unglaublich perfekte Musiker an seiner Seite, die Extraklasse verkörpern – den Pianisten Nitai Hershkovits und den unglaublichen Drummer Daniel Dor. Wenn sich das Trio im hochpräzisen Zusammenspiel findet, reißt es einen von der Sitzgelegenheit. Und man übertreibt nicht, wenn man sagt: besser geht es kaum.

Für ELO-Fans: „Alone in the Universe“ mit Ex-ELO Jeff Lynne

So gar nicht in diese Rubrik passt Jeff Lynne. Richtig, das ist der, der mit dem Electric Light Orchestra die musikalischen Brokatvorhänge aufgezogen hat. Der Bandleader hat nun, nach 25 Jahren, Soloalbum Nr. 3 „Alone in the Universe“ (Sony) auf den Weihnachtsmarkt geworfen. Ach wie arbeitet da das Erinnerungszentrum. Schön schwülstig, üppig arrangiert – so kennt man den Briten, der am 30. Dezember tatsächlich schon 68 wird. Indes, bei ELO war mehr Pepp und Schwung drin, da bekam die Musik noch die rockige Komponente, die man hier auf der CD „Jeff Lynne‘s ELO“ weitgehend vermisst. Aber irgendwie schön ist es trotzdem. Immer noch. Der frühere Mastermind der Superband, zigfacher Millionär, verantwortlich für zig Nr.1-Alben und Hits, hat ein gutes Album geliefert, aber keine Meisterleistung. ELO-Fans wird das nicht stören. Sie werden die zehn Songs lieben.

Perlen von 1977 bis 2012: George Benson „The Ultimate Collection“

George Benson ist das, was man bei den Amis unter der Rubrik Superstar führt. Über 30 eigene Alben, gern gesehener Gast bei Kollegen, der Jazz- und Fusiongitarrist, Sänger, ist  ein Genie. Das zeigen die 19 Songs auf seinem Album „The Ultimate Collection“ (Rhino). Da finden sich Perlen zwischen 1977 und 2012. Die Auswahl muss, bei diesem Multi-Könner – ungleich schwierig gewesen sein. Aber allein die Live-Version des Chartsstürmers „On Broadway“, ein Song für die Ewigkeit, ist schon Kaufargument genug. Wem das noch nicht genug ist, der greift zur Doppel-CD. 36 Songs. Unter anderem mit dem legendären Al Jarreau, dem noch legendäreren Count Basie oder der Nr.1-Röhre Aretha Franklin aufgenommen. Benson-Herz, was willst Du mehr.

Jazzige Weihnacht.

Andreas Kümmert: Here I am. Eine Entdeckung

Andreas Kümmert. Verdammt und geliebt. Was wurde über den Knaben, der rein äußerlich in jedem Mittelalterspektakel einen prima Landsknecht abgeben würde, nicht schon alles geschrieben. Vornehmlich von Leuten, denen es bei Rockmusik weniger auf die Musik, weniger auf die Stimme, weniger auf die Wirkung ankommt. Leute, die sich an Fassaden ergötzen, ohne dahinter zu schauen.
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Michael hat ein wunderbares Hobby – er liebt die Musik. Rock, Pop, Soul, Jazz, Dance. Hauptsache gut und keine One-Hit-Wonder oder flachen Dudelsongs.

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Wer genauer hinhört, dem würde auffallen, dass dieser zippelbärtige Kümmert aus Schaippach in Unterfranken ein außergewöhnliches Talent ist. Das ist einer, der nicht unbedingt in Hochglanzmagazine passt. Eher schon einer, der in jedem seriösen Rockmagazin gut aufgehoben ist. Einer, der das einzig richtige gemacht hat – er hat die Reißleine gezogen. Und vorher hat er dem Bussi-Publikum beim Vorausscheid zum Eurovision Song Contest gezeigt, was eine echt geile Rockmugge ist. Dann hat er den Abgang gewählt und der Mob hatte was zum Pöbeln.

Am besten, man ignoriert beides – diesen seltsamen Wettbewerb und das tobende Publikum, das so gar nicht verstehen wollte, warum dieser undankbare Dicke nicht die einmalige Chance ergreift, sich von der Eventgesellschaft verheizen, verhöhnen, verreißen zu lassen.

„Richtig gemacht“, möchte man dem eigentlich zerbrechlichen Burschen zurufen. Erst recht, wenn man das so genannte Re-release seines 2014er Albums „Here I am“ (Universal) anhört. Der Rundling hat vier Bonussongs mehr als die Urversion und er hat dadurch noch gewonnen. Denn dieser Kümmert, der hat es. Zweifelsohne.

16 Titel sind es geworden. Da ist am Anfang etwas viel Melancholie im Spiel. Doch jeder Herbstblues, jede Frühjahrsmüdigkeit, jeder Liebeskummer ist irgendwann langweilig und es verlangt die Seele nach etwas Beschwingterem. Kümmert liefert es. Am Anfang setzt er auf die emotionale Schiene. Er singt nicht einfach, er röhrt den Blues, das kann er.
Kümmert Andreas
DSDS braucht dieser Kümmert eigentlich gar nicht. Denn er kann singen, ohne in ein Image gepresst zu werden. 16 Mal tritt er auf dem Album den Beweis an, auch wenn es in der ersten Halbzeit ein Spiel auf ein Tor ist: auf das der Gefühle. „Home is in my Hands“ und „Heart of Stone“ – da zeigt er, was seine Stimmbänder hergeben. Ein Kracher hätte danach für Abwechslung sorgen können, aber er trauert „Hey Louise“ hinterher. In der Folge nimmt die Scheibe Fahrt auf. Da geht der so gar nicht zum Vorzeigestar taugende Franke aus sich heraus. Erster Anlauf bei „Here I am“, dem Titelsong. Da zeigt er, was man aus einem Album machen kann, weil oder obwohl es Max Herre produziert hat. Mit dem „Simple Man“, ein Song, der zu Kümmert passt, kommt Leben in die Boxen. „Just like you“ – es geht voran. Nach „Solid Gold“ wird‘s dann mit „Faith“ wieder etwas weinerlich. Aber nur kurz. Der Soul bekommt seine Zeit. „For so long“ geht runter wie Öl, da werden Erinnerungen an die goldene Tamla Motown-Zweit wach.

Bee Gees for ever. Kümmert nimmt sich mit Jane Danelane den Klassiker „To love somebody“ vor. Netter Einfall. Aber: die Bee Gees waren doch besser. Echt.

Der Höhepunkt naht: „Sky is calling“. Ein Song, wie in den 70er-Stein gemeißelt. Der Hammer des Albums schlechthin. Straight, ab durch die Mitte. Direkt und rockig. Dann das Finale: ein bisschen Gefühl in „Avalance“, ehe der herrliche Billy Preston-Evergreen „Nothing from nothing“ den fulminanten Schlusspunkt setzt.

Wer hätte sich sonst an diesen Klassiker gewagt, wenn nicht dieser Kümmert. Eine Entdeckung.

Duets: Reworking The Catalogue – grandioses Album von Van Morrison

Ja, ja, ja, ja, ja!!!!! Was anderes fällt mir nicht ein, wenn ich eine, egal welche, Van Morrison-CD einlege. Ein wunderbares Gefühl, welches mich inzwischen schon seit Jahrzehnten begleitet. Denn bei dem alten, verknautschten Iren mit dem zerbeulten, eigenwilligen Speckdeckel – sorry, er wird demnächst 70 ! – kann man gar nicht anders.
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Michael hat ein wunderbares Hobby – er liebt die Musik. Rock, Pop, Soul, Jazz, Dance. Hauptsache gut und keine One-Hit-Wonder oder flachen Dudelsongs.

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Der Typ ist die Inkarnation guter Rockmusik. Früher habe ich mir die zerkratzte Amiga-Scheibe, die einzige die es damals überhaupt gab und die nur den einzigen Super-Hit „It‘s all over now“ von Them mit Van the Man her gab, in der Bibo ausliehen. Und wenn das nicht funktioniert hat, dann wurde die West-Oma aktiviert, um „Astral Weeks“ zu besorgen. Ein Album, das 2018 schon 50 Jahre alt wird.

Anno 2015 hat Van Morrison – wieder mal – eine CD in die überfüllten Regale gelegt, an der man – vorausgesetzt, man ist Fan seiner hochklassigen Kompositionen und Arrangements – so sein Freude haben wird. Van Morrison hat in seinem 35. Studioalbum zu – leicht neu arrangierten – Duetts alter Songs aus eigener Feder eingeladen. Es ist – so viel sei voraus geschickt – ein wunderbar gelungenes „Who is who“-Album geworden. Also, eine Liste begehrter Gäste, mit denen der alte Grantler gern gesungen hätte. Und letztendlich auch hat.

Wenn einer das Feeling vermitteln kann, das einen befällt, wenn man der Alltagslast entflieht, dann ist das Van Morrison. Und das hat er mit dieser herrlichen und etwas verquast betitelten Scheibe „Van Morrison – Duets: Reworking The Catalogue“ (Sony) wunderbar geschafft. 16 Titel – das ist ein musikalisches Langzeit-Flugprogramm von über 76 Minuten.
van morrison
Mit alten und neuen Songs. Das könnte er – wenn er wollte – auch allein gestalten. Aber warum? Da gibt es alte und neue Hochkaräter, hochqualifizierte Mitstreiter, die, egal wie und warum, heiß und kreativ sind: Mark Knopfler, Steve Winwood, Bobby Womack, Joss Stone, Gregory Porter, Michael Buble, Taj Mahal, Mavis Staples, George Benson, Mick Hucknall, Natalie Cole, Georgie Fame, Chris Farlowe. Noch Fragen? Wer wollte mit denen nicht eine Scheibe einspielen? Sie haben es getan und das Ergebnis ist grandios. 16 Titel, 77 Minuten Musik – man sollte, ach was, man muss – sie empfehlen. Zeit zum Entspannen. Morrrisons Duette – ein nahezu perfektes Fest für die Ohren! Autobahnfahrt, entspannte Party, Zweisamkeit, Kaminabend – egal. Es passt. Van, what a Man. Ja, ja, ja.ja!!!

Rückkehr der Brüderschaft – Southbound von den Doobie Brothers

Manch einer kriegt den Hals einfach nicht voll genug. 40 Millionen Scheiben verkauft, 46 Jahre im Geschäft, vier Grammys und nun das. Ein neues Album. Die Doobie Brothers, diese untote Countryrockband, hat es noch mal wissen wollen. „Southbound“ (Sony) heißt das bislang letzte Album. Und man kann die Häme der Ahnungslosen fast erahnen. Fällt denen nix anderes ein, als ihr altes Zeugs nochmal aufzuwärmen?
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Michael hat ein wunderbares Hobby – er liebt die Musik. Rock, Pop, Soul, Jazz, Dance. Hauptsache gut und keine One-Hit-Wonder oder flachen Dudelsongs.

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Zum Glück ist ihnen aber genau das eingefallen, den Cowboys aus dem sonnigen Californien. Auf dem tontechnisch perfektionierten Retro-Album ist alles vertreten, was die Doobies an Hits in den langen Jahren ihrer Karriere hervorgebracht haben. Alsda wären zeitlose Überflieger-Hits wie „Black Water“, „Listen to the Music“, „What a Fool believes“, „Long Train Running“, „Take me in your arms“ oder „Jesus ist alright“ oder oder oder. Insgesamt 13 durchweg begeisternde Songs. Das ganze alte Zeugs findet sich auf dem jüngsten Album der Jungs, von denen nicht einer – entgegen dem, was der Bandnamen vermuten lässt – Bruder des anderen ist und von denen auch keiner Doobie heißt. Na sowas.

Doobie und die Marihuana-Kippen

doobie brothers southbound
Southbound (Sony) von den Doobie Brothers.

Der Name entstand, als mal wieder, wie in den 70ern so üblich, die Tüte kreiste und einer den folgenschweren Satz „We‘re all doobie brothers“ kreierte. Doobie stand in dem Falle stellvertretend für Marihuana-Kippen. Übrig geblieben von der Urformation ist nur Bandgründer Tom Johnston, dazu Patrick „Pat“ Simmons, der die meisten seiner 66 Jahre Lebenszeit bei den Doobies verbracht hat. Zu Erinnerung: das ist der, der immer dadurch auffiel, dass er sich keinen Friseur von der spärlichen Bandgage leisten konnte. Oder wollte. Seine Mähne ist jedenfalls legendär.

„Southbound“ klingt erstaunlich frisch, so als lägen nicht Generationen von Musikern und Platten dazwischen, von denen die meisten längst wieder dem Orkus des Vergessens anheim gefallen sind. Die Doobie Brothers waren indes in all den Jahren immer irgendwie präsent. Irgendwer hatte die Klassiker stets dabei, wenn irgendeine wüste Retroparty angesagt war. Mit dem neuen Album wird das nicht anders sein. Der Frühling kann kommen. Die Songs schreien nach Motorrad und Cabrio.

Das geilste Falsett der Rockgeschichte

Der Kniff der Brüderschaft, zu jedem Titel einen Musiker der nachfolgenden Rocker-Generationen ins Studio zu holen, erweist sich als Volltreffer. Erst recht die Idee, den 63-jährigen Michael McDonald, den Mann mit dem geilsten Falsett in der Rockgeschichte, einen der begehrtesten Background- und Sessionmusiker, die Rückkehr zu DB schmackhaft zu machen. Der inzwischen weißhaarige Mann aus Nashville ist stimmlich noch so unglaublich gut drauf, dass man nur den Stetson ziehen kann. Na klar, bei „What a Fool believes“ hat er – wieder – seine Sternstunde. Im Duett mit Sara Evans, die das Stück erst so richtig „rund“ macht. McDonald prägt jedoch auch andere Songs des Retro-Samplers. Er gibt ihnen Profil. Manchmal fragt man sich, ist nun das Original oder die aufgefrischte Neuaufnahme besser. Eine klare Antwort: Mal so, mal so. Ganz nach Gusto.

Die Bruder-Gemeinde hat auf jeden Fall mit diesem Album gezeigt, dass man auch im Rentenalter noch was auf die Beine stellen kann, ohne zuvor in der musikalischen Verkläranlage gelandet zu sein. Das sind keine Resthaarträger, die nix mehr auf dem Konto haben. Das sind Ur-Rocker, denen die Gene keine Ruhe lassen. Die können nicht anders. Gut so.

Joe Cocker – Zum Tod eines Unbeugsamen

Irgendwann muss ein Nachruf sein. Aber gerade jetzt? Zu Weihnachten? Für ein Stehaufmännchen, einen Unbeugsamen, dem man gern das ewige Leben gewünscht hätte? Und dennoch. Der große Joe Cocker ist tot. Mit 70 Jahren ist er am Montag einem Krebsleiden erlegen. Er hat meinem Leben – und nicht nur dem – musikalisch fast 40 Jahre die Richtung vorgegeben, auch wenn die Signale seit Jahren immer schwächer wurden. Seine Alben waren früher stärker.
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Michael hat ein wunderbares Hobby – er liebt die Musik. Rock, Pop, Soul, Jazz, Dance. Hauptsache gut und keine One-Hit-Wonder oder flachen Dudelsongs.

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In den letzten 20 Jahren hat er das getan, was ihm zuvor verwehrt blieb: er hat den Lohn für sein Gekreische, diesem Aufschrei einer gequälten Seele, eingefahren. Mit Balladen und Popsongs der etwas einfacheren Art. Sein schönstes, wohl ausdrucksstärkstes Album „I can stand a little rain“ stammt aber bereits aus den 70-ern. Ich habe es damals, noch zu Ost-Zeiten, für lächerliche zehn Westmark im Leipziger Hauptbahnhof, im Intershop, als Sonderangebot, erstanden. Die Verwandtschaft hatte ein paar Devisen dagelassen. Es wurde zum Schlüsselerlebnis.

Es ist eines von zwei Alben, die Joe Cocker eindrucksvoll charakterisieren. Mit gefühlstiefen und unverstellten Songs wie „The Moon is a harsh Mistress“, „Sing me a Song“, „You are so beautiful“, „It‘s a sin when you love somebody“. Eine schwer zu beschreibende Art zu singen, Ausdruck eines gepeinigten Seelenlebens, das damals kaum einer zur Kenntnis nahm. Und es war, es ist immer noch, sensationell. Merke: Wenn es einem am dreckigsten geht, entfaltet man das kreativste Potenzial.

cocker stingray
Joe Cocker: Stingray

Das andere Album, „Stingray“ betitelt, stammt aus dem Jahr 1976, produziert in Jamaica, und markierte dann den absoluten Tiefpunkt im Leben dieses großen Rocksängers. Er war – der Drogen wegen – ganz weit unten. Opfer einer gnadenlosen Unterhaltungsindustrie, die ihn ausgesaugt und (fast) fertiggemacht hatte. Kaum Hoffnung. Als er 1970 nach der legendären „Maddogs and Englishmen“-Tournee mit ein paar lächerlichen hundert Pfund abgespeist wurde, schien sein Abgang besiegelt.

Aber wie gesagt, Cocker, das Stehaufmännchen. Auf Jamaica kam sein Leben wieder ins Rollen. Und wie. Was danach von ihm zu hören war, erinnerte oft aber an Beliebigkeit. Cocker hatte jetzt das gemacht, was ihm früher zuwider war – er passte sich dem Massengeschmack an. Deswegen kennt man heute die beiden Leuchtturm-Platten kaum, dafür aber das, was seit 1990 vom Mainstream durch die Radiosender geschwemmt wurde. Und das war nicht wenig. Und es war nicht immer gut. Aber es war gut so. Seine Freunde hat er damit nicht verloren. Im Gegenteil. Sie kamen im neuen, vereinten Deutschland, in Scharen, um endlich das im Original zu hören, was man bis dato nur von den geschmuggelten, für unbotmäßig viel Geld beim Schwarzhändler gekauften und heimlich kopierten Platten kannte.

Ich habe so viel wie möglich von seinen Konzerten mitgenommen. Auch in Dresden hat der Rock-Barde seither mehrfach Station gemacht. Zwei Mal habe ich ihn hier persönlich getroffen. Einmal schon zu Ostzeiten. Das legendäre 1988er-Konzert vor dem Hygiene-Museum – seither Cocker-Wiese genannt – dabei durfte ich ihn, glücklichen Umständen geschuldet, aus dem Bühnenhintergrund ganz nah miterleben. Da habe ich eine direkte Ahnung davon bekommen, was diesem Mann die Rockmusik bedeutet. Zuvor hat er im Hotel geduldig alle meine Plattenhüllen signiert. Jahre später, bei geöffneten Grenzen, habe ich ihm – wieder in Dresden – geschätzte 30 neumodsche CD-Booklets zum Signieren hingehalten. Bei Nr. 25 etwa hat er aufgeblickt und gefragt: „Die soll alle ich gemacht haben?“. Hat er.

Joe Cocker
Joe Cocker: I can stand a little rain.

Cocker, der Mann aus Sheffield, das Phänomen von Woodstock, der Kreischer des Rockklassikers „With a little help from my friends“, das wild armrudernde Stehaufmännchen inmitten der Plattmacher, hat nie aufgegeben. Weiter, immer weiter. Zuletzt hat er immer wieder neue Platten aufgenommen, wie immer Coversongs, hat er Tomaten und Schweine gezüchtet, hat er mit Pamela, dem Anker seines Lebens, in Colorado seine Ruhe gefunden. Wie haben wir es ihm, diesem vom Leben oft so arg Gebeutelten, ehrlichen Herzens gegönnt.

Und nun. Nun ist er tot. Auf dem Legenden-Album „I can stand a little rain“ singt Joe diesen herrlichen Song „Don‘t forget me“, Ach, wie könnte ich. Wie könnten wir. Wer den alten Barden gern in Erinnerung behalten möchte, als ebenjenen größten weißen Bluessänger, wie man ihn auch gern betitelte, der sollte sich diese beiden Leuchttürme aus dem Schaffen Joe Cocker – „Stingray“ und „I can stand a little rain“ – in Memoriam zulegen. Auch die Scheiben ganz zu Beginn seiner Karriere sind uneingeschränkt empfehlenswert. Bis Anfang der 90er Jahre. Dann setzte sich der reine Kommerz an die Poleposition. Aber wie gesagt, es war Cocker zu gönnen, nach all den ertraglosen, dürren Jahren endlich auch etwas von eigenen Ruhm zu profitieren.

Musik zu Weihnachten – Perlen für das CD-Regal

Musik ist zu Weihnachten immer richtig. Die Auswahl ist riesig. Aber bei Musik kann man leicht danebenliegen. Und es stellt sich die Frage, welche Scheibe schenke ich? Diese kleine Empfehlung soll die Auswahl unter den schönsten Perlen im CD-Regal etwas erleichtern.
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michael keller profil
Michael hat ein wunderbares Hobby – er liebt die Musik. Rock, Pop, Soul, Jazz, Dance. Hauptsache gut und keine One-Hit-Wonder oder flachen Dudelsongs.

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Tingvall Trio: Beat

Sinnlichkeit hat Konjunktur. Ein probates Mittel gegen die Alltagshektik ist das neue Album „Beat“ (Skip Records) des Tingvall Trios. Der Tod von Esbjörn Svensson im Juni 2008, Schwedens einstigem Jazzer Nr. 1, hat, allen Unkenrufen zum Trotz, kein Vakuum hinterlassen. Denn die Nordländer haben noch das Tingval-Trio. Ein Dreigestirn aus einem Schweden, einem Kubaner, einem Deutschen. Das Dreigestirn malt mit Musik Klangbilder von unverrückbarer Schönheit und Wärme.
tingvall trio_ergebnis
Da finden die Phantasie und die Seele reichlich Nahrung. Die zwölf Stücke sind feingliedrig-feingeistiger Jazz. Schlicht und unverstellt. Musik ganz ohne Konservierungsstoffe. Zeitlos schön. Diese Prädikat könnte sich auch einer anheften, den man hierzulande nur kennt, … wenn man hin und wieder MDR Figaro hört.

Ray Bonneville: Easy gone

ray bonneville_ergebnis… wenn man hin und wieder MDR Figaro hört. Die Musikredakteure scheinen einen Narren an Ray Bonneville gefressen zu haben. Er trägt bei Schubladenbeschriftern das Prädikat „kanadisch/US-amerikanischer Singer/Songwriter und Gitarrist“. Alles richtig, aber damit kann man nicht ernsthaft eine Typen wie diesen beschreiben. Seit über vier Jahrzehnten ist er Musiker und hat zig Alben produziert, von deren genauer Anzahl er nicht mal selber so genau weiß, wie viele es eigentlich sind. Und die man hierzulande nur schwer bekommt. Nun sein neuestes Werk „Easy gone“ (Red House Records). Ray Bonneville erinnert etwas an den leider verstorbenen Willy DeVille. Düster, schleppend und geerdet tropft der Blues aus den Boxen. Bonneville erzählt uns Stories. Da ist so richtig grooviges Zeugs drunter, von dem man die genaue Übersetzung gar nicht kennen möchte. Aber auch ohne textsicher zu sein, lebt diese Musik von ihrer einsaugenden Aura. Da hört man und hört und kann gar nicht wieder aufhören. Wer wissen will, wie Ray Bonneville-Songs wirken: man sitzt in der Wüste, irgendwas wirbelt vorbei, dann kommt ein Auto. Man sitzt im Schaukelstuhl und schaut ihm nach, wie es vorbeifährt. Ohne zu tanken. Und man denkt: Auch egal.

Rebekka Bakken: Little Drop of Poison

rebekka bakken_ergebnisMögen Sie Bockwurst mit Schlagsahne oder Fleischsalat mit Himbeersirup? Oder andere Kombinationen, die auf den ersten Blick wenig Spaß verheißen? Da gäbe es eine Kombi, die scheinbar so gar nicht zusammenpasst. Nehmen wir mal die norwegische Dame mit den drei Oktaven – Rebekka Bakken. Diese steht eher für Sanftmut und Melancholie. Nun wird sie keck. Und nimmt sich tatsächlich Tom Waits-Songs vor. Verrückt geworden? Mitnichten. Es ist unglaublich, was alles zusammenpasst und mundet, von dem man früher dachte: Igitt!!! Nein, Ausschlag ist zu befürchten bei dem mit der HR-Bigband produzierten Album „Little Drop of Poison“ (Emarcy Records/Universal). Man weiß nun nicht, wie Tom Waits das findet. Wir finden es gut. Allein der Titelsong ist funkelnd wie ein Juwel. Das hätte man der feinsinnigen Schönen eigentlich nicht zugetraut. Sex and Drugs and Rock‘n Roll besungen von einer eher zarten Songwriterin? Geht. Gesanglich eine Schippe Dreck drauf und eine sensationelle Bigband dazu – fertig ist die Überraschung. Damit punktet man bei jedem Jazzfreak. Oder auch nicht. Eine Frau singt Tom Waits. Ist wie Vanilleeis mit Chilisauce. Erst schief angeschaut, dann maßloses Verlangen.

Gregory Porter: Issues of life – Features and Remixes

gregory porter_ergebnisGregory Porter muss man nicht mehr vorstellen. Das ist der Herr, der seine winterfesten Ohrenschützer in der Kappe jahrein und jahraus stets bei sich hat. Im Winter ein klimatischer Standortvorteil. Der Mann bricht inzwischen alle Rekorde. 43 Jahre alt schneidet er sich gerade einfach und direkt in die Glamourwelt des Jazz. Mit einer ausdrucksstarken Stimme, mit der er auch das Telefonbuch vertonen könnte und die Scheibe ein Bestseller würde. Es reicht aber auch, sich die aktuellste CD „“Issues of life – Features and Remixes“ (Mebran) zuzulegen, um eine Ahnung von den Qualitäten des Amerikaners zu bekommen. Wer „in“ ist, weiß natürlich längst um die Qualitäten des skurril anmutenden Grammy- und Echo-Jazz-Gewinner diesen Jahres. Irgendwer hat mal behauptet, Porter habe „eine Stimme wie ein Barrique-Fass“. Mag sein. Er hat in erster Linie Aura und ein Art den Jazz in Worte zu fassen, wie man es nicht lernen kann. Porter hat überwiegend eigene Songs mit Alltagsgeschichten, die zur Garnierung der 12 Stücke werden, so man sie denn versteht. Das singuläre Merkmal des Hünen mit der Statur eines Footballers ist nun mal sein Stimmorgan. Er hat es eben.

Christopher Cross: Secret Ladder

christopher cross_ergebnisKennen Sie noch Christopher Cross? Das ist der, der nicht sonderlich attraktiv wirkt, aber die Frauen reihenweise um den Finger wickelt und auch die maskuline Fraktion für sich einzunehmen versteht. Mit emotional geimpften Songs wie „Ride like the Wind“ oder „Say you‘ll be mine“ oder „Sailing“. Hat es klick gemacht? Das war doch der damals in den 80ern. Genau der ist das. Und den gibt es immer noch.

Ohne Qualitätsverlust, wie man auch nach 35-jähriger Karriere des Texaners neidlos anerkennen muss. Es sei denn, man hat es nicht so mit den gefühlvollen Balladen, die der inzwischen 63-Jährige mit wunderbarer Leichtigkeit und Wärme intoniert. Davon zeugt das aktuelle Album „Secret Ladder“ (Edel Records). Da meint man, einen Mittzwanziger zu hören und keinen, der straff auf den Rentenbescheid zusteuert. Christopher Cross hat sich seine jugendliche Leichtigkeit bewahrt. Und sein Charisma. Leichte jazzige Einsprengsel machen die Stücke spannend, aber für solche Songs wie „The times I need you“ muss man ihn einfach lieben. Die klingen mit und auch trotz ihrer Streichersätze genau so zeitlos wie weiland der Hit „ All right“. Honigsüß und verlockend. Aber klar doch, es ist Weihnachten. Klassische Naschzeit. „Christopher Cross ist doch nur Pop“, sagen die einen. „Aber einer in 1a-Qualität“, sagen die anderen. Dritte verwechseln ihn mit Chriss Cross, dem Hiphoper. Nichts von alledem ist er. CC ist ein musikalisches Trüffelschwein.

Und wem das alles nicht hart genug ist, soll sich die neue AC/DC-Scheibe „Rock or bust“ zulegen. Kennste eine, kennste alle. Wurscht. Aber die Kalotten in den Lautsprecherboxen werden mal wieder freigepustet. Rohe Weihnachten, kann man da nur sagen.

Lake Street Dive: Elf Songs ohne jede Druckstelle

Lake Street Dive ist der Name einer 2004 gegründeten amerikanischen Band, die hierzulande nicht unbedingt zu den gängigen Größen und Trendsettern im Musikgeschäft gehört. Die Band aus Brooklyn benannte sich nach einer Hauptgeschäftsstraße in Minneapolis und den dort ansässigen „Dives“ (Kneipen mit Bühne).
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michael keller profil
Michael hat ein wunderbares Hobby – er liebt die Musik. Rock, Pop, Soul, Jazz, Dance. Hauptsache gut und keine One-Hit-Wonder oder flachen Dudelsongs.

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Die Musik der vier Amis ist etwas für Kenner, für den vollen Musikgenuss. Einfach zu schade, um im täglichen Dudelfunk zerrieben zu werden. Es ist wohl schon Scheibe Nr. 4, das 2014er Album „Bad Self Portraits“ (Signature Sounds/Cargo Records). Genau weiß man das nicht. Ohne aber die anderen drei Alben vorher gehört zu haben, kann man sagen, diese Platte hat das Zeug, um die Nr.1 unter den vielen Newcomern des Jahres zu werden.

2013 tourten die vier Musiker aus Brooklyn schon mal kurz durch Deutschland. Weitgehend unbekannt. Aber wer sie da gehört hat, weiß, wovon die Rede ist. Das, was da aus den Boxen kommt, klingt nach Bühne, nach Szenekneipe, nach Typen, die geile Musik von Weitem riechen können. Man kann also ohne Umschweife sagen, die Songs der Band, die es schon seit zehn Jahren gibt, sind keine Massenware, sondern ein Premium-Produkt.
lake street dive
Lake Street Dive schwimmt nicht mit dem Mainstream. Lake Street Dive hat seine eigenen Vorstellungen davon, was die Qualität hat, sich in den Gehörgängen festzubeißen. Wer die Band hört, isst wahrscheinlich auch keine Tomaten aus Holland. Diese Musik hat eher etwas von krummen Gurken. Fällt optisch nicht sofort ins Gewicht, hat aber ein derart starkes (akustisches) Aroma, das es einen glattweg süchtig macht. Was die Band in erster Linie ihrer Sängerin Rachael Price verdankt. Ihrer prägenden Röhre und diesem unvergleichlichen, sensationellen Satzgesang, den das Quartett auf „Bad Self Portraits“ – speziell in dem Song „What about me“ – hinlegt. Der ist eine musikalische Andacht.

Egal ob rockig oder balladesk, es gibt nicht eine Schwachstelle auf dem Silberling. Der Titelsong setzt sofort Maßstäbe, wechselt auf die Ballade „Stop your crying“, wird von dem gefühlvollen „Better than“ abgelöst. Und so geht das munter weiter. „Just ask“ tropft soulig schwer aus den Boxen, „Rental Love“ ist das glanzvolle melancholische Finale vorbehalten. Um nochmal auf die musikalischen Holland-Tomaten zu kommen. Sie stehen stellvertretend für all den Krampf, der uns tagtäglich so angedreht wird. Also den verwässerten Musikgeschmack im CD-Schacht gewissermaßen. Lake Street Dive hingegen sind das Edelgemüse aus dem handbewirtschafteten Garten. Ehrlich, sauber, ungespritzt und ganz individuell gezogen. So, wie wirklich gute Rockmusik. So wie diese elf Songs. Ohne jede Druckstelle.

Ezio – Probates Mittel zum qualifizierten Traurigsein

Wenn man eine Ezio-CD in den Player schiebt, weiß man in der Regel was einen erwartet. Kennste eine, kennste alle. Das ist die Formel. Die stimmt aber nur bedingt.
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Michael hat ein wunderbares Hobby – er liebt die Musik. Rock, Pop, Soul, Jazz, Dance. Hauptsache gut und keine One-Hit-Wonder oder flachen Dudelsongs.

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Ezio ist irgendwie doch immer auch schön. Ezio-Songs passen zu fast allem. Zu gegrilltem Fisch, temperiertem Rotwein, unaufgeräumten WG‘en, Picknickkörben, Vorstandsmeetings, Kuschelecken und Hippster-Parties. Ezio ist die ideale Musik, um sich zwischen Wolkenbergen, Sonnenstrahlen, Hochgefühl, Tieftraurigkeit, zwischen Freibad, Biergarten, Elbwiesen oder Cabriotour zu bewegen. Und zu erholen. Ezio ist wie Tiramisu, wie Gewürzgurke, wie Pizza di Mare, wie Aperol Spritz. Ezio ist ein Bilderbuch des Lebens. Etwas, was einem immer wieder passieren, zustoßen kann. Kurz: Ezio ist Kult.

So viel zum Status dieses Silberlings, dieser Musik, dieser Zwei-Mann-Band, die eigentlich gar keine ist. Ezio, das ist – schon immer – etwas, was nicht aus diesem Alltag zu kommen scheint. Der dicke Kenianer und der dünne Italiener – das ist Ezio.

Das Schönste an diesem Sommer ist die neue Scheibe „Adam and The Snake“ (Tapete Records). Sie ist nicht neu, nicht besonders, nicht außergewöhnlich. Sie ist, wie Ezio eben ist. Schön. Melancholisch. Ergreifend. Allerdings – ein wenig mehr Kraft in den zehn Songs hätte es schon sein dürfen.
ezio adam and the snake
Wenig Equipment, zwei Akkorde, das reicht bei Ezio in der Regel, um eine einfache, schöne und zeitlose Musik zu basteln. Leise geht es zu, wenn Ezio Lunedei und der 2-Meter-Riese Mark Booga Fowell von Beziehungskatastrophen so herzzerreißend singen, dass man regelrecht mitleidet. Lebensnah geht es zu bei den Beiden, wenn sie ihre Geschichten vom wahren Leben melancholisch und poetisch und mit virtuosem Akustik-Gitarrensound vortragen. Bei „Fake“ wird‘s dann tatsächlich auch mal energisch. Da poltert Ezio auch. Gegen Globalisierung, Profit und spart nicht mit Systemkritik. Ansonsten geht es bei dem Dicken und seinem Troubadour beschaulich und bis auf den zweiten Ausreißer „Nanana“ ausgesprochen getragen zu.

Lunedei schreibt die Songs, Booga setzt sie gitarrentechnisch um und hält seinem singenden Partner den Rücken frei für diese so eingängige Mixtur aus Pop, Rock, Folk. Die kann man eigentlich in allen Lebenslagen gut verwenden. Wie gesagt, Ezio ist ein zeitloses Mittel für Gefühlsmenschen. Das fand einst auch Tony Blair, der ehemalige britische Regierungschef. Ezio ist meine Lieblingsband, verkündete er lauthals. Aber mit dieser Sorte Politiker möchte man als Musiker heute ganz sicher nicht mehr in einem Atemzug genannt werden. Hat Ezio auch nicht nötig. Dieses gestandene Männer-Balladen-Duo liefert seiner kleinen Fangemeinde auch auf „Adam & The Snake“ wieder das probate Mittel zum qualifizierten Traurigsein. Und alles ist gut.

Walter Trout – Blues als Heilmittel

Walter Trout, der alte Bluesbarde, hat ein neues Album herausgebracht. Und, was ist daran so besonders? Das Besondere besteht darin, dass er es noch erlebt hat. Walter Trout, dieser einst Kraftstrotzende, er ist auf ein Händchen voll Leben zusammengeschrumpft. Im Frühjahr war er eigentlich schon tot. Dann fand sich zum Glück eine Spenderleber. Nun geht es wieder vorwärts. Langsam, aber es geht.
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Michael hat ein wunderbares Hobby – er liebt die Musik. Rock, Pop, Soul, Jazz, Dance. Hauptsache gut und keine One-Hit-Wonder oder flachen Dudelsongs.

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Vielleicht sollte er sich mal mit Davis Crosby verständigen. Der sprang vor zehn Jahren mit dem selben Leiden dem Tod von der Schippe. Aber ein Walter Trout ist keiner, der jammern und sich seinem Schicksal ergeben würde. Was macht ein Künstler, wenn es ihm dreckig geht? Er setzt ein neues Werk in die Welt.

Das Album „The Blues came callin‘„ (Rough Trade) ist das geworden, was man von einem solchen Kraft-Gitarristen erwartet: ein Album bester Güte, gut abgehangen, zum sofortigen Hören bestimmt. Zwölf Songs, erdig, kraftvoll, authentisch und hingebungsvoll. So, wie man es von einem Walter Trout, der in John Mayalls Superband Bluesbreakers sein Handwerk erlernte, der zuvor vier Jahre bei einer weiteren Superband, Canned Heat, die Saiten zupfte, seit jeher kennt.
walter trout
Zwölf Songs ohne Qualitätsunterschied. Rock‘n Roll, Boogie Woogie, Rhythm and Blues – alles von bester Machart. Einen ultimativen Anspieltipp darunter zu finden, ist da keine leichte Aufgaber. Vielleicht „The Bottom of the River“. Darin erzählt er von einem Mann am Grunde eines Flusses, den Tod vor Augen. Aber er kämpft sich nochmals ins Leben zurück. Ein Gleichnis, zweifelsohne. Aber wenn schon Anspieltipp, entscheide ich mich für zwei : „Born in the City“ und den Titelsong. Da ist sie, diese unvergleichliche Lust und unbändige Spielfreude, da springt sie den Hörer regelrecht an. Einfach sen-sa-ti-o-nell!

Walter Trout, der Mann, der mit seiner Fender eins ist, wenn er sie spielt, der die Zwiesprache mit ihr zelebriert und mit seinem druckvollen Gesang der ganzen Sache noch zusätzlich Dynamik verleiht, erfindet den Blues nicht neu auf dieser CD. Aber er lebt ihn vor, hochintensiv und leidenschaftlich. Mit einer sensationellen Spieltechnik, die er nicht selten auch auf diesem Album bis an die Grenze des Machbaren treibt. Grandios. John Mayall wird es freuen. Und wir freuen uns auf Walter Trouts nächstes Album.

P.S. Und nicht vergessen: Einen Trout hört man laut.

Locker in den Urlaub: Vier musikalische Reisetipps

Sommer, Urlaub, Party. Ankommen ist alles. Die Zeit bis zum Ziel muss nicht langweilig sein. Unterwegs soll es schließlich locker zugehen. Vier Platten-Tipps, um sich entspannt dem Urlaubsort zu nähern.

Remastered – The best of Steely Dan then and now

The Best of Steely DanDas beste eigentlich, was einem unterwegs passieren kann, ist der Sampler „Remastered – The best of Steely Dan then and now“ (MCA) der gleichnamigen Zwei-Mann-Band „Steely Dan“. Donald Fagen und Walter Becker sind die beiden Köpfe, die seit mehr als 42 Jahren hinter der grandiosen Ami-Band stecken. Natürlich gibt es da eine ganze Menge an Erfüllungsgehilfen, sprich Musikern. Die aber müssen Extraklasse aufweisen. Sonst ist nach dem Vorspielen Schluss. An Fagen/Becker ist ohne Qualität kein Vorbeikommen. Die beiden Perfektionisten bestimmen, wo es lang geht und haben schon ganze Generationen von Kollegen, die auf Tauglichkeit für das Bandprojekt getestet wurden, zum Wahnsinn getrieben. Dementsprechend perfekt ist das, was nach höchstpenibler Bearbeitung und Qualitätskontrolle aus dem Studio auf Tonträger gelangt. Da wird nichts dem Zufall überlassen, alles ist auf den Punkt getroffen. Und heraus kommen Songs, die, wenn man es müsste, dem Genre „Popjazz für die Ewigkeit“ zuordnen könnte.
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Michael hat ein wunderbares Hobby – er liebt die Musik. Rock, Pop, Soul, Jazz, Dance. Hauptsache gut und keine One-Hit-Wonder oder flachen Dudelsongs.

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Wer jetzt mit Steely Dan, der Band, die unter Kennern in den USA – und nicht nur dort – zum Besten vom Besten gezählt wird, immer noch nichts anfangen kann, dem sei dieser Sampler mit 16 Top-Songs empfohlen. Und da wird der eine oder andere einen Hinweis von der privaten Festplatte im Kopf bekommen: „Kenn ich doch“. „Reelin in the years“, „Rikki don‘t lose that number“ – wenigstens diese zwei Songs sind kollektiv im musikalischen Gedächtnis verankert. Und dann gibt es da noch so sommerlich-leichte Songs wie „Peg“, „Babylon Sister“ oder „Josie“. Dazu empfiehlt sich eine Fahrt im Cabrio auf einer sanft geschwungenen Küstenstraße. Aber egal, selbst im letzten Obsttransporter auf einer Rumpelpiste durch Sachsen-Anhalt hat diese Musik einen unvergleichlichen Hauch an Leichtigkeit, den man heute kaum oder nur höchst selten findet.

Klaus Doldinger: Passport to Paradise

Klaus Doldinger Passport to paradiseEiner, der da locker mithält, ist Deutschlands Tatort-Komponist und Altjazzer Klaus Doldinger. Der hat Unmengen an Alben produziert, aber eines, das mit dem „Prädikat „urlaubsttauglich“ genau charakterisiert werden kann, ist „Passport to Paradise“ (WEA). 18 Jahre alt und kein bisschen ausgeleiert. Darauf sind elf Songs vereint, die für eine Urlaubsfahrt wie gemacht erscheinen. Eingängiger Groove, lockerer Rhythmus, exzellente Passport-Musiker, perfekte Arrangements. Da spulen sich die Kilometer wie von selber ab und man merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht. Gaaanz wichtig: Musik von Steely Dan als auch von Klaus Doldinger senken das Aggressionspotenzial auf ein Minimum. „Fahr doch zu und drängel, Du Pappnase, ich bleib entspannt“. Wer kann sich dieser angenehmen Aussicht auf seinem Urlaubstripp ernsthaft verschließen.

One Love, one Rhythm – The 2014 Fifa Worldcup Official Album

one love one rhythmWer mit Fußball und der WM nichts am Hut hat, kann jetzt zum letzten Tipp vorrücken. Alle Freunde der runden Plastikkugel – Leder war gestern – können sich hingegen auf einen 17 Songs fassenden Sampler freuen.

„One Love, one Rhythm – The 2014 Fifa Worldcup Official Album“ (Sony) hat poppig-knallig all das parat, was man braucht, um sich so richtig auf Puls zu bringen. Santana, Ricky Martin, Shakira, Jennifer Lopez – alle sind dabei. Der echte Mitgröl-Stoff, um das Brazilian-Feeling zu entwickeln, auch wenn manches so klingt, als habe man die Resterampe der WM in Südafrika nochmals aktiviert und minimal verändert. Alles Geschmackssache. Aber sollten die Jogi-Löwen gewinnen, gegen wen auch immer, ist das die Musik, aus der Finalträume gestrickt sind. Bässe hoch, Regler auf 10, Scheiben runter und ab geht die Post. Ob‘s aber bis ins Finale reicht?

Wavemusic Nr. 19

wavemusic vol 19Mein letzter Tipp rückt die WM-Gastgeber in den Mittelpunkt. Auf der CD, unspektakulär mit „Wavemusic Nr. 19“ (California Sunset Records) betitelt, warten hier sage und schreibe 28 Qualitätssongs darauf, im CD-Schacht des Urlaubsautos zu verschwinden und für das richtige Feeling beim Piloten und den Mitfahrern zu sorgen. Man spürt sie förmlich, die Atmosphäre der Copacabana, von Ipanema, man spürt den Seewind und das leichte Lebensgefühl der Brasilianer. Bis auf Astrud Gilberto, Cassandra Wilson oder Mayer Hawthorne und Sergie Mendes kennt man kaum einen Protagonisten. Geschenkt. Die Musik macht‘s. Samba, Bossa Nova, verjazzte Leichtigkeit – man könnte ins Träumen verfallen. Oder lieber nicht. Zumindest nicht beim Fahren. Aber selbst eine 3-stündige Verspätung bei der Bahn und der Ausfall der Klimaanlage lässt sich damit aushalten.