Das ist kein Büro auf Dauer. In der ersten Etage in der Friedrichstraße 24 hat der Verein „Unabhängige Bürger für Dresden“ seinen Sitz. Er will Dirk Hilbert zum Oberbürgermeister machen. Im gleichen Haus residiert auch die Agentur Frank Schröder, die den Wahlkampf von Hilbert begleitet. Die Online-Journale menschen-in-dresden.de und neustadt-geflüster.de haben alle Bewerber zum Interview eingeladen, fünf haben bereits zugesagt.
Dirk Hilbert empfängt uns in einem mit einer schwarzen Sitzgarnitur spartanisch eingerichteten Beratungszimmer. Der Erste Bürgermeister ist der einzige der sechs Bewerber, der auf langjährige Erfahrung in den Dresdner Amtsstuben verweisen kann.
Können Sie verstehen, dass gleich zwei Minister der sächsischen Staatsregierung als Konkurrenten bei der Wahl antreten?
Das Ministeramt ist gefühlt so etwas wie ein Fachbürgermeister. Wie der Beigeordnete ist auch der Minister nicht Chef im Haus. Der Oberbürgermeister ist schon eine relativ mächtige Position. Er ist nicht nur Chef der Verwaltung, sondern auch Chef des Stadtrates. Er hat Richtlinienkompetenz. Er ist aber auch bei allen großen Konflikten gefragt. Da geht kein Kelch an ihm vorbei.
Am Freitag Abend werden Sie mit ihren Konkurrenten über das Thema Wohnen in Dresden debattieren. Haben Sie eine Kurzfassung?
Alles, was zu den Wohnungsbauplänen bisher auf dem Tisch liegt, ist Unsinn, ökonomisch nicht durchgerechnet. Man kann darüber nachdenken, einen Wohnungsbestand wieder aufzubauen mit einem Zeithorizont bis 2036.
Warum 2036?
Weil wir bis dahin bei der Gagfah die Belegungsrechte haben. Das, was wir sozialpolitisch wollen, sichern wir uns für Menschen mit geringen Einkommen durch die Belegungsrechte. Wenn der Vertrag ausläuft, kann man überlegen, ob man diese Belegungsrechte neu ausschreibt. Oder eine andere Lösung favorisiert. Auf jeden Fall brauchen wir zuverlässige Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung. Bisher heißt es, ab 2030 nimmt das Wachstum wieder leicht ab.
Bei der Vorstellung ihrer Wahlschwerpunkte haben Sie die Förderung von privatem Wohneigentum mit Zuschüssen für junge Familien als Ihren Lösungsweg beschrieben. Wie ist das Echo?
Die Quote beim selbstgenutzten Wohneigentum im Osten ist insgesamt verheerend niedrig. Außerdem braucht die Stadt junge Fachkräfte. Eine vierköpfige Familie, die in Dresden wohnt bringt über Schlüsselzuweisungen und Einkommenssteueranteile mindestens einen Tausender im Stadthaushalt. Also ist es ein hochökonomischer Ansatz, junge Familien langfristig an die Stadt zu binden. Ein Zuschuss von etwa 10.000 Euro zum nötigen Eigenkapital kann da viel bewirken.
Was sagen die Fachleute zu den verschiedenen Ansätzen der OB-Kandidaten?
Ich werde in der zweiten Junihälfte noch zu einem Symposium einladen, um zusammen mit Experten die verschiedenen Versionen zu diskutieren, die bei uns auf dem Tisch liegen und die in anderen Städten verfolgt werden. Ich will hier gern Fachkundigkeit in die Debatte bringen. Jeder posaunt hier seine frohfröhlichen Ideen heraus, die dann völlig unreflektiert im Raum stehen bleiben.
Sie kennen das Geschäft des Oberbürgermeisters aus der Zeit, in der Sie Helma Orosz vertreten haben. Wie wollen Sie mit der rot-grün-roten Stadtratsmehrheit umgehen? In Sachen Wohnen verfolgen Sie deutlich unterschiedliche Ansätze.
Ich würde gern Stadträte und Bürger zu einer Diskussion über die Ziele der Stadtentwicklung bis 2030 einladen. In der Debatte werden sich einige Leitlinien herauskristallisieren. Beispielhaft für mich sind da Städte wie Barcelona oder Breslau, die ihre Entwicklungsziele zum Beispiel in zehnjährigen Masterplänen fortgeschrieben haben.
Ihre Mitbewerber kritisieren Ihre Leistungen als Wirtschaftsbürgermeister und bemühen dafür vor allem die Entwicklung von Bruttoinlandsprodukt und die Gewerbesteuereinnahmen.
Ja, irgendwie müssen sie ja versuchen, mich madig zu machen. Das ist großes Wahlkampfgetöse. Wir haben in den letzten fünf Jahren 25.000 versicherungspflichtige Jobs neu geschaffen, wir sind unter den Top-4-Städten deutschlandweit bei der Beschäftigungsquote der Bevölkerung und bei den neu entstandenen Jobs. Wo es nicht so gut läuft, sind das Bruttoinlandsprodukt und die Gewerbesteuer.
Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Ein hohes BIP entsteht, wenn sie hochwertige Produkte herstellen und diese in großer Menge. (Anmerkung des Autors: Mit einer Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung von rund 92.600 Euro erreicht Wolfsburg den höchsten Wert aller deutschen Städte – Daten von 2010.) Darum liegt Leipzig mit seiner Automotive-Branche im Vergleich zu Dresden vorn. Als wir noch Quimonda hatten und die Chippreise noch nicht verfallen waren, standen wir auch besser da. Die Stärke von Dresden liegt aber in der Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft. Nehmen Sie die Technologieförderung des Freistaates. Da geht 50 Prozent nach Dresden. Weil die Stadt so innovativ ist. Hier entstehen auch die vielen neuen Arbeitsplätze.
Was die Gewerbesteuer angeht – beim Mittelstand haben wir ein kontinuierliches Wachstum. Die starken Schwankungen kommen von der Großindustrie.
Sie wollen Visionen bis 2030. Wie sehen die in der Wirtschaft aus?
Ich denke, dass wir in der Mikroelektronik noch großes Potenzial haben. EU, Bund und Freistaat, aber auch die Automobilwirtschaft haben das Thema wieder in den Mittelpunkt gerückt. Mit den aufgelegten Förderprogrammen stehen für den Großraum Dresden in den nächsten Jahren rund 1,5 Milliarden Euro für Investitionsförderung zur Verfügung.
Warum haben Sie die Stelle des Amtsleiters Wirtschaftsförderung nicht wieder besetzt?
Die Kritik daran ist doch vorgeschoben. Unter meinem Vorgänger diente die Wirtschaftsförderung dazu, professionell vor Ort umzusetzen, was von der Wirtschaftsförderung Sachsen an Ansiedlungen neu bei uns ankam. Die waren weder selbst auf irgendwelchen Märkten aktiv noch hatten sie eine strategische Ausrichtung. Heute funktioniert das anders. In ganz Sachsen gab es im vergangenen Jahr 13 Ansiedlungen. In Dresden ganze 7.
Das heißt, dass Sie auch keine eigene Gesellschaft für die Wirtschaftsförderung wollen?
Ich habe dieses Thema mehrfach durchdacht, auch prüfen lassen. Wir haben es nicht gemacht, weil sie einen besseren Durchgriff auf das Genehmigungsmanagement brauchen. Darum haben wir vor vier Jahren den Wirtschaftsservice eingerichtet. Für gewerbliche Vorhaben gibt es eine zentrale Anlaufstelle, es gibt eine Vorabberatung mit allen zuständigen Ämtern und dann wird erst die Bauanfrage gestellt. Dem Investor steht ein Lotse zur Seite, der ihn bei seinen Vorhaben begleitet.
Ein solcher Service scheint für Immobilieninvestoren derzeit zu fehlen?
Zumindest kommt aus dieser Ecke derzeit die meiste Kritik. Es war damals ein hartes Ringen darum, was zur Wirtschaftsförderung gehören soll. Immobilien und Einzelhandel wurden dann abgegrenzt. Das muss sich ändern. Mit der Vereinfachung des Baurechts ist die bündelnde Funktion von der Verwaltung auf den Planer oder Projektentwickler übertragen worden. Das kostet Zeit und führt zu Abstimmungsproblemen. Wir brauchen hier unbedingt wieder Anlaufberatungen.
Ihr Konkurrent Markus Ulbig will eine Stadtentwicklungsgesellschaft.
(Hilbert klatscht in die Hände) Na super. Als hätten wir nicht schon genug städtische Gesellschaften. Wir haben die Stesad als unsere Stadtentwicklungsgesellschaft. Außerdem gibt es bereits mehrere Gesellschaften, die sich mit Wirtschaftsförderung beschäftigen.
Kann man die Aktivitäten dieser Gesellschaften bündeln?
Wir haben überlegt, die Gründerförderung in einer Gesellschaft zusammenzufassen und auch die Gewerbeflächenentwicklung mit zu integrieren. Das ist aber an unseren Mitgesellschaftern gescheitert.
Können Sie das erläutern, wer sagt da Nein?
Beim Technologiezentrum Dresden haben wir vier Gesellschafter zu gleichen Teilen: Die Stadt, die Sparkasse, die TU Dresden und das Technologiezentrum Dortmund. TU und Dortmund lehnen das bisher ab. Die Dresdner Gewerbehofgesellschaft ist sehr gut aufgestellt. Gesellschafter wie die Kreishandwerkerschaft oder die Dresdner Volksbank Raiffeisenbank sehen eine Fusion skeptisch.
Wo sehen Sie den Ausweg?
Wir scheitern nicht am Einsatz unserer Ressourcen, sondern am deutschen Förderalismus. Der Bund, der Freistaat, die Region und deren Gesellschaften – alle machen etwas, aber nicht konzertiert. Statt noch eine Gesellschaft zu gründen, ist es sinnvoller, sich der schon bestehenden zu bedienen.
Sie hatten auch das NanoelektronikZentrum als Wirtschaftsförderinstrument genannt. Warum ist die Gesellschaft jetzt in eine Schieflage geraten?
Wir haben uns drei Jahre mit dem Freistaat über die Förderung gestritten. Das hat uns viel Geld gekostet, weil die Kredite ja weiterlaufen. Mit der Quimonda-Pleite war das Vertrauen in die Mikroelektronik stark gesunken. Die Planung war zu knapp kalkuliert. Wir laufen darum nach hinten heraus aus dem Ruder.
Der Zwischenbericht spricht von Insolvenzgefahr.
Alles, was beauftragt ist, kann die Gesellschaft bezahlen. Von einer Insolvenz sind wir meilenweit entfernt. Schon im vergangenen Jahr stand in der Vorlage, dass eine abschließende Durchfinanzierung noch aussteht.
Es heißt immer wieder, dass die Fraunhofergesellschaft zwei der vier Häuser kaufen will. Woran scheitert das?
Die Fraunhofergesellschaft nutzt beide Gebäude heute bereits. Wenn sie sich gegen einen Kauf entscheiden, dann muss ich ihnen kündigen. Sie sind nicht förderfähig. Wenn sie raus sind, kann ich die Gebäude zum Technologiezentrum ausbauen. Das Fraunhoferinstitut hat aber ohne die zwei Häuser keine Entwicklungsmöglichkeiten am Standort. Hier müssen Freistaat und Fraunhoferinstitut ihre Hausaufgaben machen.
Auf einer der letzten Pegida-Demonstrationen wurden Sie für die Bemühungen, mehr Beschäftigung für Asylbewerber zu organisieren, lautstark ausgebuht. Berührt Sie das?
Ich finde, dass einige von denen, die da bei Pegida laufen, lieber arbeiten gehen sollten. Sie sollten die Stellen annehmen, die auf dem Markt angeboten werden, statt zu behaupten, dass die Flüchtlinge ihnen die Stellen wegnehmen. Denn Arbeitsangebote sind im Moment genügend da.
Wie wollen Sie die Beschäftigung organisieren?
Ich war in mehreren Unterkünften und habe mit Flüchtlingen und Asyslbewerbern geredet. Sie warten seit Monaten auf eine Entscheidung, haben nichts zu tun und keinen geregelten Tagesablauf. Das müssen wir ändern. Bei der Bundesbehörde werden die Qualifikationsprofile der Flüchtlinge und Asylbewerber nicht erfasst. Ich wollte das erst gar nicht glauben. Das machen wir jetzt als Kommune. Ist eigentlich nicht unsere Aufgabe. Aber vielleicht können wir hier Benchmark sein und auf andere ausstrahlen.
Umfragen zum Wahlausgang sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Ihnen und Eva-Maria Stange. Hat Sie überrascht, dass Markus Ulbig so abgeschlagen in den Umfragen ist?
Dass es im ersten Wahlgang knapp wird zwischen Frau Stange und mir, war auch meine Vermutung. Dass Ulbig auf Plattz drei liegt, hat mich nicht gewundert, der Abstand schon. Ich habe viele Sympathiebekundungen aus der CDU, aber auch von den Grünen. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich den zweiten Wahlgang gewinnen werde.
Was macht Sie da so sicher?
Weil Frau Stange nicht annähernd das nötige Wählerpotenzial erreicht. Sonst müsste sie schon im ersten Wahlgang gewinnen. Im zweiten Wahlgang hat sie nichts mehr zum nachlegen. Ich gewinne. Jede Wette.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview entstand in Kooperation mit Jan Frintert, Neustadt-Geflüster. Seinen Text gibt es hier.