Der erste Wahlgang zur Oberbürgermeister-Wahl in Dresden endete ohne klaren Gewinner. Die Entscheidung fällt im zweiten Wahlgang am 5. Juli. Die Kandidaten analysieren ihr Ergebnis, die Parteien und Bündnisse suchen neue Verbündete und Wähler. Über Chancen und Bewertungen haben wir mit Hans Vorländer, Leiter des Lehrstuhls für politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Dresden gesprochen.
AfD und CDU haben bereits öffentlich aufgerufen, jetzt Dirk Hilbert zu unterstützen. Auch die FDP spricht von einem gemeinsamen Kandidaten des bürgerlichen Lagers. Das klingt alles sehr einfach. Funktioniert das auch so?
Die CDU und die FDP wollen jetzt auf einen Lagerwahlkampf zuspitzen. Hilbert hat aber eine solche Vereinnahmung bisher bewusst abgelehnt und sich zwischen Ulbig auf der einen und Stange auf der anderen Seite als dritte, überparteiliche Kraft präsentiert. Es wird interessant sein zu sehen, wie Hilbert diesen Spagat bewältigt. Und es steht überhaupt nicht fest, dass die Ulbig-Wähler jetzt Hilbert wählen werden. Da wäre ich sehr sehr zurückhaltend.
Was geschieht mit den mehr als 20.000 Festerling-Wählern, wenn die Kandidatin nicht mehr antritt?
Die Festerling-Wähler würden wahrscheinlich zu Hause bleiben, wenn sie nicht antritt. Es ist ein Trugschluss, dass man alle Stimmen rechts von Hilbert einfach aufaddieren kann, um sie ihm dann zuzuschlagen.
Lässt sich das auch thematisch festmachen?
Ja, eine entscheidende Frage ist die Wohnungspolitik. Hilbert und Ulbig vertreten hier sehr verschiedenen Auffassungen. Für Menschen, die ihre soziale Existenz gefährdet sehen, ist das eine ganz entscheidende Frage. Diese Wähler gehen eher nicht zu Hilbert. Sie könnten Eva-Maria Stange wählen, wenn diese die sozialen Themen deutlicher herausstellen würde.
Könnte sich dadurch die Position von Hilbert auch schwächen?
Er steht im Fadenkreuz unterschiedlicher Erwartungen. Er hat sich bisher weder von links noch von rechts stark abgrenzen müssen. Diese komfortable Lage muss er jetzt verlassen und sich als die Spitze eines Lagers positionieren. Das wird ein ganz anderer Wahlkampf. Er muss klar sagen, ob er die Position von Ulbig zur Wohnungsbaugesellschaft übernimmt oder nicht. Herr Hilbert muss sich jetzt mehr bewegen, als Frau Stange.
Wenn nur ein Teil der CDU-Wähler für Hilbert stimmt, ist der Rückstand zu Stange schnell kompensiert. Wo kann das Stange-Bündnis noch zulegen? Sehen Sie Anknüpfungspunkte bei den Festerling-Wählern und Pegida-Anhängern?
Das ist nicht so einfach. Das Bündnis müsste klar machen, dass man die sozialen Ängste, die viele Pegida-Anhänger umtreibt, sehr ernst nimmt. Gleichzeitig muss sich das Bündnis klar abgrenzen von ausländer- und fremdenfeindlichen Positionen von Frau Festerling.
Sie haben die Pegida-Bewegung untersucht und analysiert. Was unterscheidet Pegida im Januar von Pegida heute?
Auffallend ist, dass Pegida als Demonstrationsbewegung nicht mehr so mobilisieren kann, wie noch vor ein paar Monaten. Der Bachmann-Flügel, der jetzt Pegida übernommen hat, der hat Pegida nicht nur in der Außenwahrnehmung, sondern auch in der Rethorik, den Rednern und der Programmlage weiter nach rechts verschoben. Die Teilnehmer ordnen sich selbst auch weiter rechts im politischen Spektrum ein. Im Januar waren unter den 20.000 bis 25.000 Teilnehmer viele, die man mit einem bürgerlichen Hintergrund kennzeichnen konnte. Inzwischen ist der Anteil derer, die größere Ressentiments gegen Ausländer haben, gewachsen.
Pegida war in Stadtteilen stark, die sozial eher als schwach gelten. Im Januar haben Sie noch überdurchschnittlich viele Anhänger mit Hochschulabschluss konstatiert und dem öffentlichen Bild widersprochen, dass Pegida eine Bewegung der Ausgegrenzten sei.
Die höchsten Zustimmungsraten erzielte Festerling in Prohlis und Gorbitz. Da wird man etwas stutzig. Dort haben wir teilweise über 20 Prozent Wählerstimmen in einzelnen Wahlbezirken. Hier wohnen eher Menschen mit sozialen Abstiegsängsten, die sich marginalisiert fühlen, die sich politisch überhaupt nicht mehr vertreten fühlen. Das verändert etwas das Bild. Diese Wähler gehören nicht zum bürgerlichen Lager.
Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zu 2008 gestiegen. Ist die letzte OB-Wahl der richtige Bezugspunkt?
Über die Wahlbeteiligung kann man ein bisschen begründet spekulieren. Die hohe Politisierung der Stadtgesellschaft durch Pegida hat sicher zum Anwachsen der Wahlbeteiligung beigetragen. Außerdem gab es für die Protestwähler am Sonntag einen Grund, zur Wahl zu gehen – sie hatten Festerling. Ansonsten gehen Protestwähler eher nicht zur Wahl. Was den Bezugspunkt angeht: Ich würde die OB-Wahlen miteinander vergleichen. Es geht hier sehr stark um Personen, stärker als bei den Stadtratswahlen im Mai 2014.
Vielen Dank für das Gespräch.