In drei Wochen ist der erste Wahlgang zur Oberbürgermeisterwahl in Dresden bereits Geschichte. Eva-Maria Stange, Markus Ulbig, Dirk Hilbert und Stefan Vogel sind in der Stadt auf vielen Plakaten präsent. Mit vielerlei Botschaften. Einzelbewerberin Tatjana Festerling, die vom Pegida-Verein unterstützt wird, fehlt noch im Stadtbild. Auch von Lara Liqueur ist noch nicht viel zu sehen.
Festerling hat am vergangenen Montag das Thema Vertrauen in den Mittelpunkt einer der wenigen Pegida-Reden gestellt, bei denen man ein Konzept erkennen konnte. Soziales Vertrauen, Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit oder Solidarität sind Verhaltensweisen, die unter dem Thema Sozialkapital ein noch junges Forschungsgebiet darstellen. menschen-in-dresden.de hat darüber mit Dr. Alexander Dill, Soziologe und Leiter des Basler Instituts für Gemeingüter und Wirtschaftsforschung, gesprochen.
Rechte Populisten haben, in jüngster Zeit besonders in Dresden, viel Zulauf. Was kommt da zum Vorschein?
Populismus ist nicht “links” oder “rechts”, sondern orientiert sich an vermeintlichen Stimmungen im Volke. In einer völlig materialisierten Leistungs- und Konsumgesellschaft fehlt es den meisten Menschen an sozialer Wärme und Geborgenheit, also an sozialer Integration. In Frankreich vermittelt Marie Le Pen das Gefühl, dass die Franzosen wieder eine Familie mit gemeinsamen Werten und Traditionen sein könnten, nicht nur eine formelle Arbeitsgemeinschaft. Diese Art von Populismus, die in Paris eine Million auf die Straßen brachte, gibt es bisher in Deutschland und Italien nicht.
Für die AfD ist die Familie ein zentrales Thema, Pegida stellt die Ängste vor dem Fremden in den Vordergrund. Geht es hier um Stimmungen, die die etablierte Politik ignoriert?
Die meisten Menschen haben auch nicht-materielle Werte und Ideale und sind auf diese ansprechbar. Die aus den USA stammende “public choice” Ideologie, wonach Wähler angeblich nur wählen, was ihnen materiell nützt, also etwa niedrigere Steuern, ignoriert das Bedürfnis nach Heimat, Nachbarschaft und sozialer Verbundenheit. Marie Le Pen hat sich ja gerade von ihrem Vater distanziert, dessen Rassismus nicht gut in Frankreich ankommt. Nun setzt sie auf Familie – das mögen insbesondere auch die Französinnen.
Hat Tatjana Festerling mit ihrer Rede über Vertrauen auf der Pegida-Kundgebung am vergangenen Montag einen Richtungswechsel vollzogen?
Mein Eindruck ist, dass Frau Festerling bisher stark auf die Distanzierung zu Einwanderern setzt und nicht das Gefühl vermittelt, für die breiten Wünsche und Sehnsüchte von Familien offen zu sein. Erfolgreicher Populismus braucht mehr als nur ideologische Kampfparolen. Deutsche Oberbürgermeister werden in der Regel gewählt, weil sie keine radikalen Forderungen oder Programme haben. Sie stehen für Ruhe – und damit für Geborgenheit und Sicherheit. Allerdings kann in einer Stichwahl auch einmal ein unpopulärer Außenseiter gewinnen.
Sie forschen zum Thema Sozialkapital – warum ist das ein so aktuelles Thema?
Viele Konflikte heute sind gar nicht mehr durch materielle Armut zu erklären. Es geht dort um Identität und Werte, also um nicht-materielle Faktoren. Sozialkapital ist nun die Summe, der Wert nicht-materieller Faktoren in einer Gemeinschaft. Wenn wir diese Faktoren verstehen, können wir Konflikten vorbeugen und sie leichter lösen.
Umfrage: Wie ist das soziale Klima in Dresden?
Hier können Sie sich an der Umfrage des Basler Instituts für Gemeingüter und Wirtschaftsforschung beteiligen. Wenn Sie eine Postleitzahl angeben, wird das Ergebnis für Dresden viel differenzierter.
Können Indikatoren wie Vertrauen, Freundlichkeit oder Hilfsbereitschaft überhaupt gemessen werden?
Natürlich, wir können ja diese Indikatoren für unsere Orte auf einer Skala bewerten. Bei “fünf” ist dann das Vertrauen unter den Menschen sehr hoch, bei “eins” sehr niedrig.
Ist die Fehlerquote nicht enorm hoch?
Nein, die Bewertungen eines Ortes weichen erstaunlich gering voneinander ab. Es behauptet etwa niemand, dass München eine besonders freundliche Stadt ist. Das zeigt, dass es möglich ist, nicht-materielle Faktoren objektiv zu bewerten.
Gibt es zuverlässige Aussagen der internationalen Forschergemeinde zum Zustand des sozialen Vertrauen?
“Soziales Vertrauen” ist als vergleichender Indikator noch Neuland. In den USA und der Schweiz wird insbesondere die Freiwilligenarbeit als indirekter Ausdruck sozialen Vertrauens angesehen, so von Robert Putnam in den USA und Markus Freitag in der Schweiz.
Woran lassen sich Unterschiede in Ländern, Regionen oder Kulturen festmachen?
In unserem Social Capital Assessment, das wir in 90 Staaten durchführen, sieht man nicht nur Unterschiede zwischen den Staaten, sondern auch zwischen Regionen und Stadtbezirken. Diese zeigen sich daran, wie verschieden das soziale Klima, Solidarität, Vertrauen, Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und Geschenkkultur bewertet werden. In Japan etwa ist des Vertrauen sehr hoch, weshalb sich Japan trotz großer Finanzkrisen, Erdbeben und einer Atomkatastrophe hervorragend behauptet. In der Ukraine ist das Vertrauen nahe null.
Woher rührt dieser Unterschied?
Wenn wir das auch nur näherungsweise wüssten, hätten wir einen Ansatz zur Förderung von Sozialkapital. Unsere Ergebnisse stammen aus einer Expertenumfrage und die Bewertungen weichen nicht stark voneinander ab. Mir fällt in Japan die Solidarität zwischen Alten und Jungen auf.
Gibt es Forschungsergebnisse zum Zustand des sozialen Vertrauens in Deutschland und wenn ja, was besagen diese?
Es gibt den “Atlas gesellschaftlicher Zusammenhalt” der Bertelsmann-Stiftung. Verkürzt behauptet dieser, in den neuen Bundesländern sei der gesellschaftliche Zusammenhalt weniger stark, was u.a. an geringerer Wahlbeteiligung, niedrigerem Spendenaufkommen und weniger Vereinstätigkeit festgemacht wird. Dem hat unser Institut widersprochen.
Warum haben Sie widersprochen?
Wir haben etwa bei einer Stichprobe in Bayern, das laut Bertelsmann den größten sozialen Zusammenhalt hat, für Vertrauen im Schnitt 5,9, für Hilfsbereitschaft 5,8 auf einer Skala von 1 “sehr hoch” bis 10 “sehr niedrig” bewertet bekommen. Das ist unterdurchschnittlich und spricht nicht dafür, dass der soziale Zusammenhalt in Bayern am größten ist.
Wir haben widersprochen, weil man offensichtlich sozialen Zusammenhalt oder soziales Vertrauen nicht einfach durch vorhandene Statistiken messen kann, sondern sich der Mühe unterziehen muss, selbst die Bürger zu befragen. Also etwa: “Wie bewerten Sie den Zusammenhalt zwischen den Menschen an Ihrem Ort?”. Das könnte man dann nach Orten auswerten, nicht nach Bundesländern.
Warum ist Vertrauen in der Politik so wichtig, wer vertraut hier eigentlich wem?
Das Besondere an einer Vertrauenskultur ist, dass nicht nur bestimmte Menschen unter bestimmten Bedingungen und in Einzelaspekten zueinander Vertrauen haben, sondern generell jeder in jeden. Die Ära Kohl hat von 1982 bis 1998 gedauert. Das waren 16 Jahre. Wer damals in Westdeutschland gelebt hat, kann meistens bestätigen, dass dort fast überall großes Vertrauen herrschte; ein Vertrauen, das den Rahmen für die Wiedervereinigung bildete. So fürchtete etwa 1990 kaum jemand im Westen die hohen Kosten und Schulden, die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt oder im innerdeutschen Tourismus. Vertrauen ist zentral für eine Politik, die auf die Unterstützung aller angewiesen ist.
Mit welchen Mechanismen, mit welchen Mitteln kann gestörtes oder verloren gegangenes soziales Vertrauen wieder hergestellt werden?
Auch in der internationalen Politik spricht man von “vertrauensbildenden Maßnahmen”. Diese bestehen zunächst darin, den Anderen in seinem Anders-Sein anzuerkennen, also zu respektieren. Im Kalten Krieg etwa hat das sehr gut funktioniert und die Diplomaten zwischen Ost und West haben nicht schlecht übereinander geredet oder gar Wirtschaftssanktionen gefordert oder Bürgerkriege gefördert. Verloren gegangenes Vertrauen kann nur über Taten wieder hergestellt werden, die letztlich in einseitiger Hilfe, Gastfreundschaft, Freundlichkeit und Entgegenkommen bestehen, nicht in Forderungen und Auflagen. Auf jeden Fall ist soziales Vertrauen leichter zu beeinflussen als etwa ökonomischer Erfolg oder das Funktionieren von Rechtsinstitutionen.
Und ganz grundsätzlich: Wie entsteht eigentlich soziales Vertrauen?
Wir können das jeden Tag auf der Straße beobachten: Dort, wo man uns grüßt, sind wir gerne und beginnen, auch zu grüßen. Dort, wo es unfreundlich und rücksichtslos zugeht, werden wir auch selbst so. Soziales Vertrauen ist also eine Spiegelung. Wir können dabei versuchen, stets unser bestes Bild zu zeigen. Haltung. Würde. Auch Stolz. Soziales Vertrauen entsteht dann, wenn wir uns darin sicher fühlen können, dass wir nicht beraubt, beschimpft oder ermordet werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
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