Nicht weniges von dem, was heute in der Sache ‚Ausbau Königsbrücker Strasse‘ mitzuverhandeln ist, scheint damit zu beginnen, dass 1998 ein Landesminister auf seinem Weg Richtung Klotzsche auf der Königsbrücker Strasse im Stau stecken bleibt. Er kommt zu spät zu seinem Staatsgast, den er gerne pünktlich empfangen hätte. Eben dieser Minister kommt daraufhin zu dem Schluss, die Königsbrücker müsse breit ausgebaut werden, damit man von der Landesregierung her gegebenenfalls sehr schnell zum Flughafen und zurück gelangen könne.
Man erinnert sich vielleicht: Es war Ende der 90er Jahre, CDU-Alleinregierung. Schon damals schien zu gelten: „geplant“ heißt für die Stadt oder den Freistaat (so gut wie) „beschlossen“. Im Städte- und Verkehrsdenken herrschte noch immer der Glaubenssatz: Strasse gleich Infrastruktur gleich Jobs. Die Autobahnbrücke A4 war noch nicht gebaut und tatsächlich waren in der Stadt zu diesem Zeitpunkt viele Verkehrswege verstopft.
Darauf, dass diese Dinge allein kein Argument dafür sein können, aus der Königsbrücker Strasse eine allein für Autoverkehrsbelange gut funktionierende Piste zu machen, auf die Eindimensionalität der Zielsetzung, wies bereits Jürgen Thauer mit einem Schild in seinem Vorgarten hin. Als Bewohner der Nr. 11 von der beschlossenen „Umgestaltung“ unmittelbar betroffen, rief er eine erste Bürgerinitiative ins Leben, um auf das drohende Ungemach aufmerksam zu machen. Dank zahlreicher Eingaben bei der Landesdirektion Dresden wurde der Protest in seiner Breite auch bei den Verantwortlichen der Stadt wahrgenommen, nicht zuletzt weil sich die Landesdirektion selber gegen das geplante Vorhaben aussprach.
Nachdem nun tatsächlich umgeplant wurde, lag 2003 dem Stadtrat ein Konzept vor, welches seither unter dem vielversprechenden Ausdruck „Kompromiss“ geführt wird. Geplant war nun, nicht vier Autospuren, sondern zwei, aber dafür überbreite Spuren zu bauen, also nicht vier 3 bis 3,50 m breite Spuren mit einer Gesamtbreite 12-14 m, sondern zwei 5,50 breite, mit einer Gesamtbreite von 11 m, jedoch mit gestrichelter Linie, sodass man letztlich doch wieder vierspurig würde fahren können.
Nach vielem Hin und Her, kleinen Änderungen 2006 und diversen Blockierungsversuchen des Landes, im Übrigen wider die kommunale Planungshoheit, wurde eine Variante 4 eingereicht, allerdings um nach 10 Tagen von OB Elma Orosz (CDU) eigenhändig wieder aus dem Planfeststellungsverfahren herausgenommen zu werden. Die Begründung damals lautete, man müsse erst noch auf die Prognose für 2020-25 warten, denn es könne ja sein, dass die Verkehrszahlen wieder steigen. Doch schon bald stellte sich heraus, dass diese an vier von fünf Abschnitten gleich geblieben oder sogar gesunken waren und auch das Wachstum des fünften kaum der Rede wert zu sein schien.
Da nun aber der alten Argumentation der Boden entzogen war, bezog man sich stattdessen kurzerhand auf die Maßgaben zur Erlangung der Förderpriorität, auf primär finanzielle bzw. finanzierungspolitische Aspekte des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) also, woraufhin die Varianten 5 und 6 geplant wurden. Variante 5 (die sogenannte „Helma Orosz-Variante“) sah zunächst vor, im Regelfall vier Fahrstreifen bei straßenbündiger Durchführung der Straßenbahngleise zu bauen. Baukosten hierfür: rund 39 Millionen Euro. Schon hier durfte man sich wundern, weshalb ein Konzept favorisiert wurde, welches verkehrlich wie auch in Hinblick auf Sicherheitsaspekte wohl mehr Probleme bereiten als lösen würde. Auch Variante 6 (die sogenannte „Hilbert-Variante“, Baukosten: 33,8 Millionen Euro), welche als “Kompromiss” zu Variante 5 von Bürgermeister Dirk Hilbert (FDP) Ende Juni 2011 ins Spiel gebracht wurde, gehört mittlerweile schon wieder der Vergangenheit an, nachdem klar wurde, dass der Vorschlag, einen separaten Gleiskörper für die Straßenbahn und zwei überbreite Fahrstreifen zu etablieren, keine Mehrheit im Stadtrat bekommen würde.
Wohl für die Zukunft von Seiten der Stadt weithin nichts Gutes erwartend, schlossen sich im Sommer 2011 unter großem medialen Interesse Jürgen Thauer und Dr. Martin Schulte-Wissermann, ebenfalls Anwohner der Königsbrücker Strasse und damals Ortsbeirat für das Bürgerbündnis Dresden, sowie einige andere zur Bürgerinitiative „Königsbrücker muss leben“ zusammen. Das Gründungsdatum zeigt an, wie lange hier bereits Stillstand herrschte, ohne, dass Besserung in Sicht gewesen wäre.
Im Gegenteil, am 29.09.2011 beschloss der Stadtrat mit Stimmen von CDU, FDP, NPD und Bürgerfraktion die frühere, aber eben noch breitere Variante 5 (die sogenannte „Helma Orosz-Variante“) zu Ende zu planen. Gleichzeitig gab es jedoch auch einen zweiten Beschluss, welcher der Stadt auftrug, der ‚Prüfung einer Sanierung weitestgehend im Bestand‘ nachzukommen. Dass überhaupt das erste Mal eine schmale Variante mit ins Kalkül gezogen und ernsthaft geprüft werden solle, war damals sicherlich ein großer Erfolg der Bürgerinitiative und ein Verdienst, für den manche womöglich noch einmal dankbar sein werden.
Dies hieß nun für die Stadt: erneut hinsetzen, schauen, wie der Bestand ist, dann die Bauvorschriften zur Hand nehmen, sie studieren und dann nach Lösungen suchen, die sich im Rahmen von 10 bis 11 m bewegen und mit den zu erwartenden Verkehrszahlen sauber durchgerechnet werden – all das, um anschließend realistisch einschätzen und objektiv bewerten zu können, was die Planung, der Bau und Umsetzung einer solchen schmalen Variante städtebaulich, verkehrsplanerisch und ökonomisch tatsächlich bedeutet. Klar war ab da auch, dass gerade unter dem Gesichtspunkt von sich wandelnden baurechtlichen, demographischen und ökonomischen Bedingungen erneut zu überprüfen sei, in welchem Verhältnis diese Alternative dann zu den bisher vorliegenden Varianten stehen würde.
Ab sofort bedeutete dies auch, die Entwicklung der Verkehrsdynamik der Stadt im Allgemeinen und auf der Königsbrücker im Besonderen in den Blick zu nehmen: Spurbreiten, Sicherheitsabstände, Flussgrößen, Eigenzeiten und den gesamten Kontext von Verkehr. Denn, dass die verschiedenen Geschwindigkeiten der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer, die verkehrlich bzw. baulich bedingten Fahr- und Haltezeiten von Straßenbahnen, barrierefreie Haltestellen, der Einfluss von clever abgestimmten Ampelschaltungen (Vorrangschaltung), desweiteren Nebenstraßen, Bäume, Parkplätze, Ausfahrten etc. Einfluss auf das Flussverhalten haben, versteht ein jeder – jedenfalls mit klugem Nachdenken, etwas Innehalten im Bilde und raschem Weiterdenken sogar auf Anhieb oder über Zahlen in einer Tabelle.
Warum sagen aber alle, die Stadtverwaltung und auch OB Helma Orosz (CDU): „Sanieren im Bestand: das geht nicht!“. Und das, obwohl die Bautzner Strasse – eine Strasse, die sich in den verkehrlichen Dimensionen nur unwesentlich von der Königsbrücker unterscheidet – in nur sechs Monaten 2.5 km bestandssaniert werden konnte.
Bisher, so der Stand der Dinge, weigert sich der Ortsbeitrat und die Stadt beharrlich, den ‚Verkehrsfluss im Bestand‘ überhaupt durchzurechnen und – falls intern nicht längst geschehen – entsprechend in das Planfeststellungsverfahren mit einzubeziehen. Schulte-Wissermann, selbst Ortsratsmitglied, fordert aber seit Jahren, eben dies endlich zu tun. Dass die bereits vorliegenden und für sich sprechenden Fakten, sprich bis zu 30% weniger Verkehr, wie auch die Eingaben Schulte-Wissermanns, welche auf diese Entwicklung nachdrücklich hinweisen, einfach ignoriert werden, macht nicht nur stutzig, sondern ist angesichts der klammen Haushaltslage eigentlich ein handfester Skandal.
Wie entwickelten sich die Dinge seit dem Doppelbeschluss vom September 2011 weiter? Etwa ein Jahr und sechs Monate lang gab es vom Ortsbeirat keine Informationen mehr, bis, ja bis plötzlich von Baubürgermeiser Jörn Marx (CDU) eine komplette Planung für eine Variante 7 vorgelegt wurde, die insofern für viele überraschend kam, als dass eine solche überhaupt nicht angefordert worden war. Die neue Variante ging nun von der bisherigen verfolgten Variante 5 ab und sah jetzt wieder einen voll vierspurigen Ausbau aus. Eingedenk der nötigen Radwege bedeutete dies eine Straßenbreite von mindestens 17-18 m. Marx bezeichnete den Charakter des vorgestellten Projekts als „regelkonformen Ausbau im Bestand“. Um sich die Absurdität und den Widersinn dieser Logik auf der Zunge zergehen zu lassen – nochmal: “Ausbau im Bestand!” – Man fragt sich zu Recht: Was nun? Ausbau oder Bestand? Beides zugleich dasselbe, das ist nach allem, was logisch erscheint, schlicht ein Widerspruch oder eben Augenwischerei. Der Terminus „regelkonform“ bedeutete in diesem Zusammenhang vor allem eines: Variante 7 würde sich im Vergleich zu Variante 5 geradeso noch innerhalb der Baurichtlinien (RASt 06) bewegen und mit viel Augenzudrücken womöglich sogar ‚förderfähig‘ sein, insofern hier erstmals gezielt ‚nach Stand der Technik‘ geplant wurde. Doch frei nach dem Motto „schmaler geht’s nicht“ wurde diese Variante 7 dem Ortsbeirat, dem Stadtratsausschuss und der Presse mit viel Aufsehen als die Erfüllung des zweiten Beschluss (als Sanierung im Bestand) und damit als endgültige Lösung aller bisherigen Schwierigkeiten vorgestellt.
Anfang diesen Jahres wurde nun eine vorerst letzte Variante ins Rennen geschickt, Variante 7m – wobei “m” für “modifiziert” steht. Die einzigen beiden Unterschiede gegenüber der bisherigen Variante 7 bestehen darin, dass erstens die Straßenbahn – wider dem bereits getroffenen Konsens und wider aller verkehrsplanerischen Vernunft – nun nur noch bis Höhe Katharinenstrasse ein eigenes Gleisbett bekommen soll und zweitens eine Linksabbiegerspur, die in Variante 7 noch fixiert worden war, in Variante 7m um einen Geradeauspfeil ergänzt wird. Der Querschnitt bliebe allerdings identisch. Dass auch diese modifizierte Variante auf Ablehnung stößt, bei Verkehrsexperten ebenso wie bei den für die Planung Verantwortlichen der Dresdner Verkehrsbetrieben, bei dem mit der Prüfung der Verkehrssicherheit beauftragten Ingeniuerbüro und nicht zuletzt bei Reinhard Koettnitz, dem Leiter des Straßen- und Tiefbauamtes der Stadt Dresden, lässt erheblich an der Leitungskompetenz der Rathausspitze zweifeln – und das umso mehr, je länge dieses absurde Variantenspiel dauert.
Wie soll es weitergehen? Seit August ist die Waldschlösschenbrücke eingeweiht. Seitdem ist eine spürbare Entlastung der Verkehrssituation in der Dresdner Neustadt eingetreten. Die Verkehrszahlen auf der Königsbrücker Strasse sind sprunghaft von 18.000 auf 14.000 gesunken, wie nicht nur die wöchentlichen Verkehrzählungen der Bürgerinitiative “Königsbrücker muss leben!”, sondern auch offzielle Messungen der Stadt bestätigen. Der Widerstand gegen die überbreiten Ausbauvorhaben bekommt so neuen Rückenwind.
Mittlerweile solidarisiert sich auch der ADFC mit der Bürgerinitative. Mit einer Protestaktion am Vortag der nicht-öffentlichen Situng des Bauausschuss vom 2.10.2013 zeigte man gemeinsam Flagge gegen die Varianten 5 und 7 und demonstrierte für vernünftige Sanierungslösungen “weitestgehend im Bestand” wie vom Stadtrat 2011 gefordert und wie in den aktuellen Baurichtlinien vorgeschrieben. In einem Positionspapier fordert der ADFC hinreichend Platz für Radfahrer und Fußgänger sowie eine Vorrangschaltung und die sogenannte “Pulkführerschaft” für die Straßenbahn in die Planung miteinzubeziehen. Ebenso sei dem Erhalt von Vorgärten und Straßenbäumen sowie einer möglichst geringen Neuversigelung von Flächen eine deutlich höhere Priorität als bisher einzuräumen. Und auch die Stadtratsfraktion der GRÜNEN scheint jetzt wach geworden zu sein. In einer Pressemitteilung vom 1.10.2013 distanziert man sich ausdrücklich von Variante 7m und spricht sich für einen stadtteilverträglichen Sanierungsplan aus.
OB Helma Orosz hält trotz all dem dennoch an den völlig überholten Plänen für einen vierspurigen Ausbau fest. Noch in diesem Jahr will sie zusammen mit Baubürgermeister Marx eine Entscheidung herbeiführen – gegen die Empfehlungen des Ortsbeirates, gegen der Willen vieler Bewohner und Kenner der Neustadt, gegen den gesetzlich verankerten “Grundsatz der Sparsamkeit” und gegen das, was die Baurichtlinien nach “Stand der Technik” vorschreiben.
Hält man sich vor Augen, dass allein von den Planungsausgaben für die allesamt weder baulich, noch finanziell, noch verkehrlich, noch rechtlich tragbaren, geschweige denn mit dem Bürgerwillen vereinbaren Vorhaben, weite Teile der Sanierung hätten realisiert werden können, dann wirft dies insgesamt ein sehr schlechtes Licht auf die hierfür Verantwortlichen. Wo bleibt da das Verantwortungsbewusstsein, wo die Sachkompetenz und wo das Gespür, dessen es bedarf, um eine Stadt wie Dresden zu gestalten?
Angesichts der vorherrrschenden Bewegungsunfähigkeit der Stadtsratsspitze, steht auch für die nahe Zukunft zu befürchten, dass vor 2015 nicht ein vernünftiger Handgriff in Sachen Sanierung geschehen wird. Um es nochmal auf den Punkt zu bringen: Eine solche Situation ist nicht nur in verkehrlicher Hinsicht mehr als unbefriedigend, sie zeigt sich, wie mittlerweile immer mehr Bürger sehen können, auch politisch genommen, als immer unhaltbarer. Der Aufruf vieler, die das Planungsphänomen Königsbrücker betrifft und nun schon seit Jahren auf unrühmliche Weise beschäftigt, lautet daher: Die Königsbrücker Strasse bedarf einer zeitnahen, aber eben auch zeitgemäßen und das heißt vor allem einer stadt- wie verkehrsplanerisch vernünftigen Sanierung mit Augenmaß “weitestgehend im Bestand”, welche den historischen Charakter, die Zukunftsfähigkeit und den inneren Zusammenhang der Neustadtviertel in ihrer Lebendigkeit wahrt und sinnvoll weiterentwickelt.
Sollte es bei der bisherigen Sperrigkeit der Verantwortlichen bleiben, so viel scheint schon jetzt absehbar, dann bleibt der Klageweg ein letztes demokratisches Mittel, um eine nicht erst in den 90er Jahre herangewachsene Vorstellung von Autostadt in die Schranken zu weisen. Dies hieße allerdings ebenfalls, dass sich Instandsetzung der Königsbrücker Strasse mindestens um weitere zweit bis drei Jahre verzögern würde. Es wäre nicht das erste Mal in den letzten Jahren, dass einer von CDU und FDP dominierten Regierung durch gerichtlichen Entscheid nahegelegt werden würde, weniger selbstmächtig, sondern „im Namen des Volkes“ zu handeln. Statt sich also politisch auf die fragwürdige technokratische Programmatik und Polemik eines denkwürdigen Jahrhunderts zu verlassen, gilt es gerade, aber ganz offenkundig nicht allein nur für CDU und FDP, sich endlich auf die ökonomischen, ökologischen und sozialen Erfordernisse des 21. Jahrhunderts zu orientieren. Dass dies eine besondere Art von Mut zur Umkehr erfordert, erkennen alle. Was die neue Qualität besonnenen Handelns ausmacht wissen allerdings nur jene, welche eben diesen Mut aufgebracht haben. Politischer Mut als Mut zur Gestaltung der gegebenen Verhältnisse, ist das, was sich ein jeder in diesen krisenhaften Tagen wünschen mag. Als entwickelten Willen zu nachhaltigem Handeln ist er von denen, die über Weh und Wohl der Königsbrücker entscheiden werden, zu fordern.