Energisch kommt sie ihrem Besucher an der Tür entgegen. Lachende Augen zeugen von Lebensfreude. Das Haar ergraut, doch trotz ihrer 86 Jahre scheint sie jung geblieben. Liselotte Gründel merkt man die Freude an, die sie im Umgang mit Menschen hat. Auf ihrem Sofa zu sitzen und die Beine hochzulegen, das reicht ihr nicht. Sie ist aktiv, setzt sich für Schwächere ein, macht aber auch den Mund auf, wenn sie etwas stört. So engagiert sich die Dresdnerin seit 2002 beim Verein Bürgerinitiative Dresden-Prohlis, hat als Vorsitzende das Zepter in der Hand.
Eines der ersten Projekte war die Einführung von Hundetoiletten im Stadtteil, womit die Bürgerinitiative auch Vorreiter im gesamten Stadtgebiet war. „Mit den Alteingesessenen klappt es sehr gut. Nur an die neu Hinzugezogenen heranzukommen, ist manchmal etwas schwierig“, so die Einschätzung der Rentnerin. Die Bürgerinitiative richtet ihre zahlreichen Angebote, wie Verkehrsteilnehmerschulung, Malkurse, Musikunterricht, Basteln, Computerlehrgänge, Wanderungen oder Beratungsangebote an alle Interessierte, aber besonders an sozial Schwächere. Neben vielen schönen Erlebnissen teilt Liselotte Gründel auch die traurigen Dinge im Leben der Vereinsmitglieder. „Da fällt man auch hin und wieder selbst in ein Loch“, gesteht sie. Doch getreu ihrem Lebensmotto „Nie anfangen aufzuhören und nie aufhören anzufangen“, blickt sie immer wieder mit Zuversicht nach vorn.
„Der Vergangenheit sollte man nicht zu lange nachtrauern. Wir leben im Heute und sollten über die Zukunft nachdenken“. Das tat sie bereits in jungen Jahren. Liselotte Gründel wuchs in Großenhain auf, schloss die achtjährige Volksschule ab. Der Besuch der Wirtschaftsoberschule von 1942 bis 1944 in Dresden war eher eine Vernunftentscheidung. „Ich hatte nie vor im Bankwesen oder ähnlichem Fuß zu fassen“, erzählt sie. Berufliche Jugendträume, die sie aber nicht in der Öffentlichkeit nennen möchte, zerschlugen sich. Nach dem Krieg musste es irgendwie weitergehen. Der Vater war in Kriegsgefangenschaft, die Mutter allein mit dem einzigen Kind. „Wir benötigten Geld zum Leben“, so Liselotte Gründel. Fast 18-jährig fing sie Mitte Juli 1945 als Neulehrerin an. „Eigentlich wollte ich nie Lehrerin werden“, gibt sie zu. Doch letztlich hat sie sich auch damit arrangiert und das Beste daraus gemacht. Sie absolvierte im Fernstudium eine Ausbildung, die sie 1954 mit der Lehrerprüfung für den Unterricht in der Mittelstufe an allgemeinbildenden Schulen abschloss. Bis 1955 unterrichtete sie in der Pestalozzischule Großenhain von der ersten bis zur achten Klasse fast alle Fächer, meist jedoch Deutsch. Danach wechselte sie für 22 Jahre an das Institut für Lehrerbildung in Großenhain, war dort in den Fächern Deutsch und Heimatkundemethodik tätig, in späteren Jahren auch für Sprecherziehung.
„Nebenbei“ absolvierte sie ein externes Studium zur Diplom-Sprechwissenschaftlerin. Diese Spezialausbildung brachte ihr die Möglichkeit, als Honorarkraft an der Musikhochschule „Carl Maria von Weber“ in Dresden tätig zu sein. „Ich habe mit Solisten und Chorsängern gearbeitet. Gerade der Einzelunterricht hat mir viel Spaß gemacht. Da konnte ich ganz individuell auf die Schüler eingehen und eine Menge erreichen“, erinnert sie sich gerne an diese Zeit zurück. 1977 wurde eine Planstelle an der Musikhochschule frei und Liselotte Gründel wechselte ganz nach Dresden.
Seither wohnt sie in Prohlis, im „Dorf“, wie sie auch heute noch liebevoll sagt. „Damals war hier doch noch nichts weiter ausgebaut. Die Anbindung zur Stadt war nicht so, wie heute“, erzählt sie.
So ist sie auch Zeitzeugin der Dresdner Stadtentwicklung. Das brennende Dresden im Februar 1945 sah sie als Feuerschein am Himmel von Großenhain. Die Trümmer und der Leichengeruch im heißen Sommer 1945 sind ihr noch heute in Erinnerung. Aber sie hat auch erlebt, wie Dresden wieder aufgebaut wurde. Vielleicht nicht ganz zufällig hängen in den Räumen der Bürgerinitiative an den Wänden Zeichnungen der Frauenkirche und der Stadtsilhouette von Dresden. Gefragt nach Freizeitaktivitäten denkt Liselotte Gründel lange nach. Bürgerinitiative, Mitarbeit im Ortsvorstand der FDP, bis Juni 2014 Mitglied des Ortsbeirates, ihre Tage sind ausgefüllt. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für anderes. Kulturell ist sie sehr interessiert, hat früher oft Theater, Oper und Konzerte besucht. „Ich habe viele schöne Aufführungen erlebt. Mit den modernen Inszenierungen von heute kann ich nichts mehr anfangen. Sie geben mir nichts“, schätzt sie kritisch ein. Sich für Menschen einzusetzen, Verantwortung zu übernehmen, ist ihr Lebenselixier. Das tägliche Treppensteigen bis in die vierte Etage ihrer Wohnung ist ihr Fitnessstudio, wie sie sagt. „Ich bin dankbar, dass ich schon so lange leben darf. Kleine Unzulänglichkeiten des Alters muss man einfach akzeptieren“, resümiert die zweifache Großmutter. Und noch eine Weisheit gibt sie mit auf den Weg: „Auch wenn es nicht immer so scheint, es gibt noch Schönes im Leben“.