Joe Cocker – Zum Tod eines Unbeugsamen

Irgendwann muss ein Nachruf sein. Aber gerade jetzt? Zu Weihnachten? Für ein Stehaufmännchen, einen Unbeugsamen, dem man gern das ewige Leben gewünscht hätte? Und dennoch. Der große Joe Cocker ist tot. Mit 70 Jahren ist er am Montag einem Krebsleiden erlegen. Er hat meinem Leben – und nicht nur dem – musikalisch fast 40 Jahre die Richtung vorgegeben, auch wenn die Signale seit Jahren immer schwächer wurden. Seine Alben waren früher stärker.

michael keller profil

Michael hat ein wunderbares Hobby – er liebt die Musik. Rock, Pop, Soul, Jazz, Dance. Hauptsache gut und keine One-Hit-Wonder oder flachen Dudelsongs.

In den letzten 20 Jahren hat er das getan, was ihm zuvor verwehrt blieb: er hat den Lohn für sein Gekreische, diesem Aufschrei einer gequälten Seele, eingefahren. Mit Balladen und Popsongs der etwas einfacheren Art. Sein schönstes, wohl ausdrucksstärkstes Album „I can stand a little rain“ stammt aber bereits aus den 70-ern. Ich habe es damals, noch zu Ost-Zeiten, für lächerliche zehn Westmark im Leipziger Hauptbahnhof, im Intershop, als Sonderangebot, erstanden. Die Verwandtschaft hatte ein paar Devisen dagelassen. Es wurde zum Schlüsselerlebnis.

Es ist eines von zwei Alben, die Joe Cocker eindrucksvoll charakterisieren. Mit gefühlstiefen und unverstellten Songs wie „The Moon is a harsh Mistress“, „Sing me a Song“, „You are so beautiful“, „It‘s a sin when you love somebody“. Eine schwer zu beschreibende Art zu singen, Ausdruck eines gepeinigten Seelenlebens, das damals kaum einer zur Kenntnis nahm. Und es war, es ist immer noch, sensationell. Merke: Wenn es einem am dreckigsten geht, entfaltet man das kreativste Potenzial.

cocker stingray

Joe Cocker: Stingray


Das andere Album, „Stingray“ betitelt, stammt aus dem Jahr 1976, produziert in Jamaica, und markierte dann den absoluten Tiefpunkt im Leben dieses großen Rocksängers. Er war – der Drogen wegen – ganz weit unten. Opfer einer gnadenlosen Unterhaltungsindustrie, die ihn ausgesaugt und (fast) fertiggemacht hatte. Kaum Hoffnung. Als er 1970 nach der legendären „Maddogs and Englishmen“-Tournee mit ein paar lächerlichen hundert Pfund abgespeist wurde, schien sein Abgang besiegelt.

Aber wie gesagt, Cocker, das Stehaufmännchen. Auf Jamaica kam sein Leben wieder ins Rollen. Und wie. Was danach von ihm zu hören war, erinnerte oft aber an Beliebigkeit. Cocker hatte jetzt das gemacht, was ihm früher zuwider war – er passte sich dem Massengeschmack an. Deswegen kennt man heute die beiden Leuchtturm-Platten kaum, dafür aber das, was seit 1990 vom Mainstream durch die Radiosender geschwemmt wurde. Und das war nicht wenig. Und es war nicht immer gut. Aber es war gut so. Seine Freunde hat er damit nicht verloren. Im Gegenteil. Sie kamen im neuen, vereinten Deutschland, in Scharen, um endlich das im Original zu hören, was man bis dato nur von den geschmuggelten, für unbotmäßig viel Geld beim Schwarzhändler gekauften und heimlich kopierten Platten kannte.

Ich habe so viel wie möglich von seinen Konzerten mitgenommen. Auch in Dresden hat der Rock-Barde seither mehrfach Station gemacht. Zwei Mal habe ich ihn hier persönlich getroffen. Einmal schon zu Ostzeiten. Das legendäre 1988er-Konzert vor dem Hygiene-Museum – seither Cocker-Wiese genannt – dabei durfte ich ihn, glücklichen Umständen geschuldet, aus dem Bühnenhintergrund ganz nah miterleben. Da habe ich eine direkte Ahnung davon bekommen, was diesem Mann die Rockmusik bedeutet. Zuvor hat er im Hotel geduldig alle meine Plattenhüllen signiert. Jahre später, bei geöffneten Grenzen, habe ich ihm – wieder in Dresden – geschätzte 30 neumodsche CD-Booklets zum Signieren hingehalten. Bei Nr. 25 etwa hat er aufgeblickt und gefragt: „Die soll alle ich gemacht haben?“. Hat er.

Joe Cocker

Joe Cocker: I can stand a little rain.

Cocker, der Mann aus Sheffield, das Phänomen von Woodstock, der Kreischer des Rockklassikers „With a little help from my friends“, das wild armrudernde Stehaufmännchen inmitten der Plattmacher, hat nie aufgegeben. Weiter, immer weiter. Zuletzt hat er immer wieder neue Platten aufgenommen, wie immer Coversongs, hat er Tomaten und Schweine gezüchtet, hat er mit Pamela, dem Anker seines Lebens, in Colorado seine Ruhe gefunden. Wie haben wir es ihm, diesem vom Leben oft so arg Gebeutelten, ehrlichen Herzens gegönnt.

Und nun. Nun ist er tot. Auf dem Legenden-Album „I can stand a little rain“ singt Joe diesen herrlichen Song „Don‘t forget me“, Ach, wie könnte ich. Wie könnten wir. Wer den alten Barden gern in Erinnerung behalten möchte, als ebenjenen größten weißen Bluessänger, wie man ihn auch gern betitelte, der sollte sich diese beiden Leuchttürme aus dem Schaffen Joe Cocker – „Stingray“ und „I can stand a little rain“ – in Memoriam zulegen. Auch die Scheiben ganz zu Beginn seiner Karriere sind uneingeschränkt empfehlenswert. Bis Anfang der 90er Jahre. Dann setzte sich der reine Kommerz an die Poleposition. Aber wie gesagt, es war Cocker zu gönnen, nach all den ertraglosen, dürren Jahren endlich auch etwas von eigenen Ruhm zu profitieren.

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