Eva-Maria Stange ist die einzige Bewerberin zur Oberbürgermeisterwahl am 7. Juni, die sich auf die Unterstützung eines Wählerbündnisses und von vier Parteien stützen kann. Linke, Grüne, SPD und Piraten hatten sich auf eine gemeinsame Kandidatin geeinigt. Das Wählerbündnis „Gemeinsam für Dresden“ soll außerhalb der traditionellen Parteiwähler für Zustimmung werben.
Die Online-Journale menschen-in-dresden.de und neustadt-geflüster.de haben alle Bewerber zum Interview eingeladen. Fünf Zusagen liegen vor. Wir haben uns mit Eva-Maria Stange im L`Art De Vie, dem Restaurant im Societätstheater getroffen. Es ist 21.30 Uhr. Eva-Maria Stange kommt geradewegs von einer Podiumsdiskussion zum Thema Bauen in Dresden.
Sie leben seit 1973 in Dresden. Sie haben für Ihren Wahlkampf Urlaub genommen. Haben Sie wenigstens etwas Neues entdeckt?
Ich kenne die Stadt eigentlich ganz gut. Aber manche Orte hat man schon fünf oder zehn Jahre nicht gesehen. Jetzt stelle ich fest, dass ich immer wieder etwas Neues lerne. Gerade in der Diskussion im Kulturrathaus habe ich Professor Christoph Mäckler kennengelernt, der in Frankfurt am Main den Gestaltungsbeirat leitet. Er hat viel Interessantes zu städtebaulichen Perspektiven in Dresden gesagt. Derzeit bin ich bei so vielen verschiedenen Terminen und an so vielen verschiedenen Orten, dass ich permanent den Eindruck habe, etwas neues zu hören und zu lernen.
Noch sind Sie Ministerin für Wissenschaft und Kunst. Das fällt die Auswahl eines neuen Intendanten für die Semperoper in ihre Zuständigkeit. Vor ein paar Wochen haben Sie gesagt, dass Sie nah am Ziel sind. Wie nah?
Wir sind gut dabei. Wir haben eine Auswahl getroffen und Prioritäten bei den Kandidaten festgelegt. Jetzt werden Gespräche geführt. Sie können davon ausgehen, dass die Bewerber über die schwierigen Kompetenzverhältnisse in Dresden informiert sind.
Das Ministeramt macht Ihnen offensichtlich Spaß. Warum wollen Sie dennoch Oberbürgermeisterin werden?
Das sind ganz unterschiedliche Kompetenzfelder. Auf keinen Fall ist es, wie viele meinen, ein Abstieg. Als Oberbürgermeisterin hat man mehr Kompetenzen als eine Landesministerin. Sie haben ein Vetorecht, sie haben Haushaltskompetenz in einem Umfang, den ich als Ministerin nicht habe. Ich habe großen Respekt vor der Fülle der Themen, mit denen man als Stadtoberhaupt zu tun hat.
Sie sagen da auch mal, das weiß ich nicht?
Natürlich. Wenn ich nicht genau informiert bin, oder mir noch kein Urteil bilden kann, weil mir noch Informationen fehlen, dann sage ich ganz klar: Das kann ich jetzt nicht beantworten.
Als Oberbürgermeisterin sind Sie auch Chefin des Stadtrates. Mit der rot-grün-roten Mehrheit im Rücken eine komfortable Position.
Was mich in diesem Land und in der Stadt stört, ist der Umgang mit der Macht. Wer die Mehrheit hat, hat die Macht. Und die Macht setzt sich über alles hinweg. Ich will da gern anders herangehen. Was mich schon im Landtag immer gestört hat,ist der Umstand, dass kluge Vorschläge der Opposition keinen Eingang in die Beschlüsse finden. Das wurde jahrelang in Sachsen so praktiziert. Wir versuchen das jetzt zu ändern.
Finden Sie da Zustimmung bei der Stadtratsmehrheit aus Linken, Grünen, SPD und Piraten?
Ein erster Schritt in diese Richtung war die Entscheidung, der CDU das Vorschlagsrecht für zwei Bürgermeister zu überlassen. Es ist enorm wichtig, dass die CDU als große Fraktion in der Verantwortung bleibt. Mit den Fraktionsvorständen über eine gemeinsame Kultur im Umgang miteinander zu reden, wäre einer meiner ersten Schritte im Amt.
Haben Sie da vielleicht zu große Illusionen?
Ich hoffe nicht. Ich habe mir das auch in anderen Städten angeschaut. In der Stadt soll zählen, was bei den Bürgern ankommt. Entscheidend ist nicht, welcher politische Stil sich grad durchsetzt. Wir streiten manchmal auch um sinnlose Dinge. Nehmen sie
die Königsbrücker Straße. Am Ende müssen alle etwas abgeben von ihrer Position. Ich kann als Autofahrer auf dem betreffenden Stück auch 30 Stundenkilometer fahren. Die Lebensqualität in dem Viertel soll nicht leiden.
Ein häufiges Argmument für die eine oder andere Variante ist die Förderfähigkeit durch den Freistaat. Kann man über diese Rahmenbedingungen verhandeln? Würden Sie mit Wirtschaftsminister und Parteikollegen Dulig darüber reden?
Die Bedingungen für die Vergabe der Fördermittel bei der Sanierung der Königsbrücker Straße müssen gründlich geprüft werden. Natürlich würde ich darüber mit dem Wirtschaftsminister reden.
Wie würden Sie in das neue Amt als Oberbürgermeisterin starten?
Das würde ich so machen, wie bei meinem Amtsantritt im Ministerium. Ich würde alle Bereiche auffordern, Prioritäten zu benennen.
Dinge, die schnell erledigt werden müssen und Dinge, die so wichtig sind, dass sie jetzt in Angriff genommen werden müssen – auch wenn sie nur langfristig zu lösen sind.
Haben Sie selbst konkrete Vorhaben im Blick?
Die Bewerbung für die Kulturhauptstadt Europa 2025 muss jetzt auf den Weg gebracht werden. Da ist, glaube ich, noch nicht viel
geschehen. Eine weitere Priorität aus meiner Sicht wäre das Thema Bauen und Flächenmanagement. So weit ich weiß, verkauft die Stadt immer noch Flächen. Ich möchte mir einen Überblick verschaffen, was da gerade passiert. Ein drittes Thema wäre der Schulausbau. Wir wollen ein Sanitärprogramm umsetzen.
Für das Sanitärprogramm sind Mittel im Doppelhaushalt eingeplant. Woran scheitert es?
Wir müssen uns mit dem Schulverwaltungsamt abstimmen. Bisher werden dort vorgezogene Einzelmaßnahmen abgelehnt. Inzwischen bin
ich etwas schlauer und weiß, dass man mit Modulbauweise sehr wohl einzelne Sanierungsschritte vorziehen kann – wie zum Beispiel
die Sanitärtrakte. Auch das Kita-Bauprogramm ist eine große Herausforderung. Da fehlen Mittel ab 2017. In diesem Herbst müssen
schon politische Weichen für den nächsten Doppelhaushalt gestellt werden.
Wie stehen Sie zur geplanten Wohnungsbaugesellschaft?
Wir werden um die neue Gesellschaft nicht herumkommen. Meine Sorge ist nicht der Wohnungsneubau. Wir müssen uns auch um den
Bestand kümmern. Hier spielen die Genossenschaften, denen 30 Prozent der Wohnungen gehören, eine große Rolle. Sie sind ein
Rückgrat bei der Gestaltung der Mietpreise in Dresden.
Herr Hilbert will junge Familien bei der Schaffung von Wohneigentum mit Zuschüssen fördern. Ist das auch für Sie ein Weg?
Da unterscheiden wir uns wirklich. Ich mache mir Sorgen um die Menschen in Dresden, die aufgrund ihrer prekären Arbeitssituation und der Familiengröße keine adäquate Wohnung mehr finden, die sie mit ihrem Einkommen bestreiten können. Ich rede nicht von den Wohngeldempfängern, sondern von den Familien mit Kindern, in denen beide Elternteile arbeiten gehen und dennoch nur niedrige Einkommen haben. Oft müssen hier 40 Prozent des Einkommens nur für die Miete aufgewandt werden. Es fehlen zum Beispiel bezahlbare Vierraumwohnungen. Eine zweite Gruppe sind die, die eine niedrige Altersrente bekommen.
Das wissen Sie aus Ihrer Arbeit als Vorsitzende der Volkssolidarität in Dresden?
Ja. Und diese Gruppe wird größer. Viele ältere Bürger haben Angst, dass sie in Belegwohnungen abgeschoben werden.
Man hört ein wenig Skepsis zum Thema Woba heraus.
Keiner der Kandidaten hat ein Modell, mit dem das Wohnungsbauproblem in fünf Jahren gelöst ist. Alle sind derzeit auf der Suche nach Lösungen, holen sich Rat und Meinungen ein. Es nützt uns nichts, nur ideologische Konzepte vor uns herzutragen. Herr Ulbig hat sich über die Ablehnung in der CDU hinweggesetzt und eine Drewo vorgeschlagen und ich bin nicht bereit, auf blauen Dunst hin eine Wohnungsgesellschaft zu gründen und dann ist das Problem gelöst. Es ist auch ein Stück verpennt worden, sich intensiv mit dem Wohnungsmarkt in Dresden zu beschäftigen.
Sie haben gesagt, dass Wirtschaft für Sie Chefsache sein soll. Mit einer Ansiedlung des Amtes für Wirtschaftsförderung im OB-Bereich ist es sicher nicht getan. Was genau haben Sie geplant?
Ob das Amt für Wirtschaftsförderung in den OB-Bereich kommt, wird sich nach der Entscheidung über die Besetzung der Bürgermeisterposten klären. Ich möchte es auf jeden Fall erhalten und mit einer kompetenten Führung versehen. Was ich mir vorstelle, ist die Gründung einer Wirtschaftsfördergesellschaft, die gemeinsam mit dem Dresdner Umland arbeitet, vor allem beim Flächenmanagement und beim Wirtschaftsmarketing. In Leipzig gibt es da ein sehr gutes Modell. Hier würde ich auf externen Sachverstand setzen. Wir müssen dringend unsere Ausstrahlungskraft erhöhen. Da reicht es nicht, wenn der Wirtschaftsbürgermeister durch die Lande reist.
Auf welche Weise ist Ihnen das Thema Pegida im Wahlkampf begegnet?
Ich glaube nicht, dass sich das Thema Pegida wirklich erledigt hat. Auch wenn die Pegida-Anhänger nicht mehr auf der Straße sind, sind sie ja nicht weg. Bei denen, die den Parolen von Bachmann und Festerling hinterherlaufen, bleibe ich bei meiner Wertung: das ist rassistisch und es ist ausländerfeindlich. Das schadet der Stadt in extremster Weise. Das bekommen Wissenschaft und vor allem die international agierenden Unternehmen in Dresden besonders intensiv mit. Dem harten Pegida-Kern kann man nur begegnen, indem man ihm sagt: Ausländerfeindlichkeit hat in dieser Stadt keinen Platz. Das ist nicht unsere Kultur.
Haben sich die Organisatoren der Gegenbewegung gegen Pegida verzettelt?
Ich will gern diejenigen zusammennehmen, die sich für einen anderen Umgang mit ausländischen Bürgern in der Stadt einsetzen. Auch die Initiativen, die sich in den Asylheimen engagieren. Es gibt viele Ideen, die Leute zu erreichen ohne gleich zu politisieren. Ich glaube, dass die überwiegende Zahl der Einwohner Pegida ablehnt, aber nicht die richtige Form findet, sich zu artikulieren. Worum ich mich ganz schnell kümmern würde, ist eine deutliche Verbesserung der Information der Einwohnern. Die Leute brauchen Ansprechpartner. Auch dort, wo Asylbewerber dezentral untergebracht werden.
Ihr Konkurrent Dirk Hilbert hat gesagt, dass er im zweiten Wahlgang gewinnt – weil Sie dann nicht zulegen können.
Das sehe ich nicht so. Ein Teil der CDU-Wähler würde mich schon wählen. Ich bin da nicht so pessimistisch. Auch eingefleischte CDU-Wähler haben mir schon gesagt, dass sie Markus Ulbig nicht wählen wollen. Aber: ich bin nicht blauäugig. Es wird schwierig. Aber wir haben die beste Konstellation, die wir erreichen konnte mit der Wählervereinigung und dem Bündnis aus Linke, Grünen, SPD und Piraten.
Vielen Dank für das Gespräch.