Vor vier Wochen fragte Sozialbürgermeister Martin Seidel seine Facebook-Freunde, ob es auch für die letzten 100 Tage im Amt eine Schonfrist gebe – so wie sonst beim Amtsantritt üblich. Die Reaktionen waren nicht eindeutig. Dieser Tage gab der Sozialbürgermeister selbst die Antwort und zeigte, dass er auch in den letzten Wochen seiner Amtsführung voll bei der Sache ist. Und das mit scharfen Worten an die Adresse von OB-Bewerberin Eva-Maria Stange. „Wider besseres Wissen“, „Sprechblasen“, „offenbar haben Sie keinen Schimmer“ und „schäbig und eine glatte Lüge“ – Stange kam nicht gut weg in einem auf Facebook veröffentlichten Brief von Seidel, nachdem sie in einem Interview in der Sächsischen Zeitung (online nur gegen Bezahlung lesbar) die Arbeit der Stadtverwaltung bei der Organisation von Asylbewerber-Unterkünften kritisiert hatte.
„Offenbar haben Sie keinen Schimmer“
Stange hatte dort angekündigt, aktiv auf private Vermieter zugehen zu wollen, um mehr Angebote für Unterkünfte zu erhalten und diese auch gleichmäßiger in der ganzen Stadt verteilen zu können. Seidel hält dagegen: „Seit dem Jahr 2011 sind wir als Stadtverwaltung mit den Dresdner Vermietern (incl. aller Genossenschaften, „Haus und Grund“, Gagfah, Immobilienverbänden wie dem BFW Mitteldeutschland etc.) in regelmäßigen Gesprächen. Bisher war einzig die Gagfah bereit, uns Wohnungen für Asylbewerber bereitzustellen.“ Das, so Seidel, wisse auch Frau Stange.
Auf die Kritik von Stange, die Verwaltung bringe erst Unterkünfte ins Gespräch, lasse diese in der Luft zerreißen und ziehe sie dann mit viel politischem Schaden zurück, reagiert der Sozialbürgermeister mit besonderer Schärfe. „Offenbar haben Sie keinen Schimmer, wie tagtäglich die Herausforderungen für die Kommunen bei der Unterbringungsverpflichtung sind. Die Stadtverwaltung hat bisher NICHT EINEN EINZIGEN Standort eines geplanten Asylbewerberheimes aus der vom Stadtrat letzten Dezember beschlossenen Liste wieder zurückgezogen!“ Der einzige Rückzug stamme vom Besitzer des Hotels Prinz Eugen in Laubegast.
Zuweisungsprognosen mehrfach korrigiert
Als Reaktion auf Stanges Anmerkungen zur fehlenden Bürgerbeteiligung zählt Seidel Teilnehmerzahlen und öffentliche Veranstaltungen zum Unterbringungskonzept der Stadt auf, um dann klarzustellen: „Hintergrund für die notwendige Schnelligkeit war die Tatsache, dass mit der am 25.08.2014 vom Land bereits zum 4. mal erhöhten Zuweisungsprognose Ende Dezember 2014 keine Unterbringungskapazitäten mehr vorhanden waren. Alles dies zu ignorieren und zu behaupten, es wurde etwas NACH Entscheidung erst kommuniziert, ist schäbig und eine glatte Lüge.“
Neben dem Wunsch, die Fakten aus seiner Sicht klarzustellen, dürfte Seidel auch der Umstand getrieben haben, dass er und seine Mitarbeiter die gesamte Kommunikation – vor allem mit den aufgeregten Einwohnern – wochenlang allein stemmen mussten. Die Unterstützung aus der Rathausspitze inklusive Oberbürgermeisterin bei den Diskussionen in den Ortsteilen und Ortschaften, bei den Bürgerversammlungen und den vielen Treffen der Verwaltung war mäßig bis gar nicht vorhanden. Eine emotionale Rede von Helma Orosz in der Dezembersitzung des Stadtrates gehört zu den wenigen Hilfen. Allerdings entschuldigte sich Orosz in dieser Rede auch für Versäumnisse in der Kommunikation zum Unterbringungskonzept für Asylbewerber.
Mängel in der Kommunikation hatte Mängel
Offensichtlich gab es dafür auch Anlässe. So musste das Netzwerk „Willkommen in Löbtau“ trotz mehrerer Anfragen wochenlang warten, bis es eine Antwort vom Sozialbürgermeister und seinen Mitarbeitern auf das Konzept für das Begleitprogramm für die Eröffnung der Asylunterkunft in der Tharandter Straße bekam. Stange selbst erzählt noch eine andere Geschichte. Schon vor Monaten hätte sie der Verwaltung eine umfangreiche Informationsbroschüre zum Thema Asyl zur Verfügung gestellt. Diese stamme aus dem Rathaus in Leipzig und das Dokument hätte verwendet werden dürfen. „Nichts hat sich dazu getan“, meinte Stange. Bis heute gebe es keine vernünftige Informationsbroschüre für die Einwohner.
Die letzten einhundert Tage für Sozialbürgermeister Martin Seidel sind noch lange nicht vorbei. Vielleicht kommt es noch zu einem Treffen mit OB-Bewerberin Stange. Bisher hatte man nicht den Eindruck, dass beide bei ihren inhaltlichen Positionen weit auseinander lägen. So hat Seidel vor kurzem Stange noch dafür gelobt, dass sie das rot-grün-rote Woba-Konzept im Fall ihres Wahlsieges erst gründlich prüfen wolle, bevor es an die Umsetzung gehe. Seidel lehnt die Woba und auch die Drewo-Pläne der CDU ab.