Am Sonntag entscheidet sich die Oberbürgermeisterwahl. Eva-Maria Stange hat zwar im ersten Wahlgang mehr Stimmen auf sich vereinigen können, als Konkurrent Dirk Hilbert. Gewinnen wird der, der die bisherigen Nichtwähler, aber auch die rund 65.000 Wähler der drei Kandidaten gewinnen kann, die nicht wieder antreten. Eine wichtige Rolle spielen die CDU-Wähler. Olaf Scholz, Erster Bürgermeister in der Partnerstadt Hamburg und SPD-Bundesvize, hat gerade die Wahl gewonnen, Eva-Maria Stange will dies am Sonntag erreichen. Am Montag Abend diskutierten sie in Dresden über die Stadt der Zukunft. Bei einer Tasse Kaffee war Zeit für ein Gespräch mit beiden.
Wie kann ein SPD-Politiker Wähler der CDU für sich gewinnen?
Olaf Scholz: Es ist möglich, entscheidend ist, dass man eine verlässliche Politik macht. Es kommt auf die Inhalte und auf die Person an. Das ist auch der Grund, warum ich Eva-Maria Stange sehr gern in ihrem Wahlkampf unterstütze. Wir kennen uns schon sehr lange und ich kann sagen, dass sie für eine sehr ordentliche und zuverlässige Politik steht.
Wo haben Sie sich kennen gelernt?
Olaf Scholz: Wir haben in der Vergangenheit viel über Bildungspolitik diskutiert, noch in der Zeit, als Frau Stange GEW-Bundesvorsitzende war. Sie kennt sich exzellent in diesem wichtigen Thema aus.
Eva-Maria Stange: Wir haben zum Beispiel in Hamburg gemeinsam für einen Bürgerentscheid für längeres gemeinsames Lernen der Kinder geworben. Ich kannte die Hamburger Verhältnisse damals aus meiner Arbeit ziemlich gut.
Olaf Scholz: Wir haben uns übrigens mit den anderen Parteien inzwischen auf einen zehnjährigen Schulfrieden geeinigt. Die Eltern wollen, dass wir uns jetzt um die Verbesserung der Qualität in den Schulen kümmern und nicht ständig neue Regeln aufstellen.
Ein zehnjähriger Frieden – bei welchen Themen könnte Dresden das weiterhelfen?
Eva-Maria Stange: Das größte Problem, bei dem wir uns über die Parteigrenzen hinweg verständigen müssen, ist der Umgang mit der Zuwanderung, mit den Asylbewerbern, der Umgang mit Weltoffenheit und Toleranz. Das Problem brennt unter den Nägeln, da mag ich gar nicht an einen Zeitraum von zehn Jahren denken.
Auch Hamburg ist mit dem Zustrom von Flüchtlingen und Asylbewerbern konfrontiert. Wie gehen Sie zusammen mit dem Senat an das Thema heran?
Olaf Scholz: Die Herausforderungen sind groß. Ich glaube, dass sie zu lösen sind. Das setzt aber voraus, dass man keine schrillen Töne wählt. Ich habe mich bei den anderen Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin dafür eingesetzt, dass wir sachlich reden und niemand versucht, seine Herausforderungen, die auch mit vielen Konsequenzen verbunden sind, auf andere abzuschieben. Dies kann man nur gemeinsam bewältigen, da haben alle Verantwortung zu tragen.
Wie gehen Sie mit denen um, die Asylbewerberheime in ihrem Wohnumfeld, in ihrer Gemeinde offen ablehnen?
Olaf Scholz: Auf viele Fragen kann man sachlich antworten. Und man muss akzeptieren, dass man den einen überzeugen kann, aber nicht jeden. Wir schaffen in diesem Jahr in Hamburg 10.000 neue Plätze für die Unterbringung von Asylbewerbern, im nächsten Jahr noch einmal genauso viele. Von diesen Plätzen hat noch fast keiner existiert, als 2011 der Anstieg der Flüchtlingszahlen begann. In den letzten drei Jahren haben wir insgesamt 10.000 Plätze eingerichtet, das wollen wir jetzt pro Jahr schaffen.
Hamburg hat die niedrigste Leerstandsquote in Deutschland, wie schaffen sie dies dennoch?
Olaf Scholz: Es geht bisher. Hamburg hat ohnehin eine große Attraktivität und Anziehungskraft. Wir haben – ohne Flüchtlinge – eine Nettozuwanderung von über 13.000 Bürgerinnen und Bürgern pro Jahr.
Wann werden die Hamburger in die Planung der Unterkünfte einbezogen?
Olaf Scholz: Wenn wir keine großen Zeltstädte errichten wollen, müssen wir schnell handeln. Das wird von den meisten auch verstanden. Wir versuchen natürlich, so früh wie möglich zu informieren. Im Einzelfall haben wir auch schon mit Mitteln des Landespolizeirechts kurzfristi
Was bedeutet das?
Olaf Scholz: Das bedeutet, dass wir nicht nach Bauplanungsrecht vorgehen. Wir beachten dies, aber handeln, weil sonst die Menschen im Freien sitzen. Und das will ja keiner.
Wie groß ist der Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund in Hamburg?
Olaf Scholz: 400.000 der rund 1,8 Millionen Einwohner haben einen Zuwanderungshintergrund. Wir
In Dresden ist das Thema kommunale Wohnungsbaugesellschaft heftig umstritten. Wenn Sie in Hamburg die Wahl hätten zwischen Schuldenfreiheit und ihrer Saga GWG – wofür würden Sie sich entscheiden?
Olaf Scholz: Ich habe mich entschieden und die 130.000 Wohnungen, die der SAGA GWG gehören, nicht verkauft. Und das war gut so. Als ich Bürgermeister wurde, fehlten in Hamburg 40.000 Wohnungen. Ziel war, jedes Jahr mindestens 6.000 neue Wohnungen zu errichten. Das haben wir in den letzten beiden Jahren geschafft. Davon ist ein Drittel geförderter Wohnungsbau. Und wir haben die SAGA GWG verpflichtet, jährlich 1.000 neue Wohnungen zu bauen, was sie inzwischen auch umsetzt.
Was bewirkt die Förderung, bei welcher Kaltmiete landen Sie am Ende?
Olaf Scholz: Wir subventionieren den Wohnungsbau auf eine Kaltmiete von 6,20 Euro für diejenigen mit sehr geringen Einkommen und auf 8,20 Euro für diejenigen, die normal verdienen, aber sich die teuren Neubaumieten auch nicht leisten können. Eine frei vermietete Wohnung im Neubau würde etwa 11 bis 13 Euro pro Quadratmeter kosten. Fast 200 Millionen Euro sind im Jahr für den sozialen Wohnungsbau als Fördermittel veranschlagt.
Kommt eine Stadt heute ohne eigene Wohnungsbaugesellschaft aus?
Olaf Scholz: Wohnungsbau ist in Europa wieder zu einer der zentralen sozialen und wirtschaftspolitischen Aufgaben geworden. Die Städte werden attraktiver, das gilt für Hamburg, aber auch für Dresden. Die Menschen werden in diese Städte kommen. Darauf müssen wir uns einstellen, um Verhältnisse wie zum Beispiel in London zu vermeiden. Dort wohnen gut bezahlte Anwälte in Vierer-WGs, weil sie sich Wohnungen in Arbeitsnähe nicht leisten können.
Sie haben ein Bündnis für Wohnen in Hamburg. Wer sitzt mit am Tisch?
Olaf Scholz: Wir haben zwei Bündnisstrukturen. Wir verständigen uns mit den sieben Bezirken darüber, wie viele Baugenehmigungen erteilt werden, um im Jahr auf unser Ziel von 6.000 neuen Wohnungen zu kommen. Dadurch ist das Thema jetzt ein gemeinschaftliches geworden. Im Bündnis für Wohnen treffen sich die zuständige Senatorin, die Baubehörde, alle privaten Investoren und der Mieterverein. Hier geht es um die Vergabe städtischer Grundstücke, Förderkriterien, die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren – das hat zu einer gewaltigen Mobilisierung des Wohnungsbaus beigetragen. Und ich kann Frau Stange nur unterstützen, wenn sie dies in Dresden plant.
Eva-Maria Stange: In Dresden haben wir mit den Genossenschaften eine besondere Lage. Sie wirken mit ihrem Ein-Drittel-Anteil am Wohnungsmarkt wie eine natürliche Mietpreisbremse. Sie wären ein wichtiger Partner in einem Bündnis für Wohnen.
Olaf Scholz: Das ist auch in Hamburg so. Der kommunale Wohnungsbestand und die Genossenschaften haben eine stabilisierende Wirkung auf das Preisgefüge im Wohnungsmarkt mit insgesamt rund 900.000 Wohnungen.
Eva-Maria Stange: Der Wiederaufbau einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft ist in Dresden eine wichtige Aufgabe. Wir haben uns momentan vollkommen von den privaten Vermietern abhängig gemacht, auch bei den Belegungsrechten. Die Gagfah hat gerade einen Großteil ihrer Wohnungen an die Deutsche Annington verkauft und wir laufen diesen Eigentümern ständig hinterher. Meine Sorge ist nicht die Zahl der neu zu bauenden Wohnungen. Es geht um die, die sich die Mieten künftig nicht leisten können – auch viele ältere Dresdner sind davon betroffen. Wir brauchen auch in Dresden eine bessere Verteilung der geförderten Wohnungen auf das gesamte Stadtgebiet. Die Abhängigkeit von der Gagfah führt dazu, dass sich einige Stadtteile zu Problemgebieten entwickeln könnten.
Hamburg und Dresden sind Partnerstädte. Was wird sich hier in den nächsten Jahren entwickeln?
Olaf Scholz: Es ist eine ganz besondere Städtepartnerschaft. Sonst gibt es diese zwischen verschiedenen Ländern. Wir haben uns bewusst für diese Partnerschaft entschieden. Wir haben eine große mentale und emotionale Verbindung durch die Elbe.
Die Elbe schafft eine mentale Verbindung?
Olaf Scholz: Ich glaube an so etwas. Wenn man an der Elbe steht und Schiffe verschiedenster Größen vorbeiziehen sieht, entwickelt sich ein Blick für die Ferne und dafür, dass es noch mehr gibt in der Welt als die eigene Straße, in der man wohnt. Das beeinflusst die Mentalität, die Geisteshaltung.
Vielen Dank für das Gespräch.