Am Landgericht Dresden hat heute der Prozess gegen den 27-jährigen Hassan S. aus Eritrea begonnen. Ihm wird vorgeworfen, am 12. Januar seinen Landsmann Khaled B. umgebracht zu haben. In einer verbalen und dann auch tätlichen Auseinandersetzung soll Hassan S. im Hinterhof der Johannes-Paul-Thilman-Straße mit „vier massiven Stichen“ in Hals, Brust und Kopf den Tod verursacht haben. An der Tatwaffe, einem Küchenmesser mit einer 15 Zentimeter langen Klinge, hatten die Ermittler DNA-Spuren von Hassan S. entdeckt. „Er hat einen Menschen getötet, ohne ein Mörder zu sein“, so Oberstaatsanwalt Christian Avenarius beim Verlesen der Anklage. Der „immense Blutverlust“ habe zu einem tödlichen Verblutungsschock geführt. Gleichzeitig sei das Opfer erstickt.
Notwehr-Version des Angeklagten
Hassan S. hat der Schwurgerichtskammer heute eine andere Version des Tathergangs präsentiert und behauptet, in Notwehr gehandelt zu haben. Die entsprechende Erklärung trug Rechtsanwältin Elena Bogdanzaliew vor. Er bestätigte zunächst, dass es eine Auseinandersetzung um Wäsche in der Waschmaschine gegeben habe. Khaled B. habe seine nasse Wäsche auf den Boden geworfen, um selbst eigene Wäsche zu waschen. Danach sei er von Khaled B. aufgefordert worden, die Auseinandersetzung draußen weiter zu führen. Im Hinterhof habe Khaled B. ihm ins Gesicht geschlagen. Er sei daraufhin gefallen und habe sich dabei auch verletzt. Bei der dann anschließenden Rauferei sei er in den Schwitzkasten genommen worden. Dann habe er im Hosenbund von Khaled B. einen Gegenstand gegriffen und mehrfach damit auf ihn eingeschlagen, um aus dem Schwitzkasten zu kommen. Erst später, als er weggegangen war, habe er bemerkt, dass der Gegenstand, den er in der Hand hielt, ein Messer sei. Hassan S. behauptet in seiner Erklärung, dass ein Mann im Hinterhof den Vorgang beobachtet habe. Er sei davon ausgegangen, dass dieser auch einen Krankenwagen rufe. „Ich bin tief bestürzt und bedaure den Tod von Khaled“, endete die Erklärung. Nach Angaben der Rechtsanwälte wolle sich Hassan S. zur Tat weiter nicht äußern und keine Fragen beantworten. Das, so Avenarius, erschwere die Verhandlung erheblich, weil Hassan S. in früheren Vernehmungen den Hergang anders geschildert habe.
Auf diese Schilderungen nahm Rechtsanwalt Andreas Boine gleich zu Beginn der Verhandlung Bezug und erklärte, dass einige dieser Äußerungen nicht verwendet werden dürften. Der in der ersten Zeit anwesende Dolmetscher habe Tigrinya, die Muttersprache von Hassan S., nicht ausreichend beherrscht. Das habe man beim Vergleich der später zur Kontrolle ins Arabische übersetzten Vernehmungsprotokolle bemerkt.
Hassan S. war 2014 als einziges Mitglied seiner Familie, er hat noch vier Geschwister, nach Deutschland gekommen, berichtete er nach Fragen der Vorsitzenden Richterin Birgit Wiegand. Die Überfahrt über das Mittelmeer sei erst im zweiten Versuch gelungen, beim ersten seien sie von Schleusern betrogen worden. Über Italien, München, Chemnitz und Schneeberg sei er dann in Dresden gelandet. Die acht Bewohner in der Vier-Zimmer-Wohnung hätten sich gut verstanden. Sie hätten auch zwei Mal in der Woche einen Deutschkurs besucht.
Arzt: Todesursache zunächst unklar
Eine Polizistin und ein Arzt schilderten als Zeugen, wie der Tote aufgefunden wurde. Die Totenstarre sei bereits vollständig eingetreten gewesen, sagte der Arzt Thomas Friedrich. Der Kopf habe so gelegen, dass die später entdeckten Stichwunden am Hals nicht sichtbar gewesen seien. Außerdem hätte sich auf Gesicht und Hals verkrustetes Blut befunden. „Eine Leichenstarre bricht man nicht in der Öffentlichkeit“, erklärte Friedrich mit Blick auf mögliche Schaulustige hinter den Fenstern. Die Todesursache sei nicht klar gewesen. Das habe er auch in den Totenschein geschrieben. Alle Beteiligten seien davon ausgegangen, dass eine weitere Untersuchung erfolge. Als Todesursache sei zu diesem Zeitpunkt auch ein Sturz aus einem Fenster eine Option gewesen. Das geht auch aus der Kommunikation der Polizisten mit der Zentrale hervor.
Zur Tatzeit im Januar herrschte in Dresden eine aufgeheizte Atmosphäre. Der Zulauf bei den Pegida-Demonstrationen war ungebrochen. Reden und laute Rufe gegen Asylbewerberheime beherrschten montags die Innenstadt. Mehrfach mussten Pegida-Anhänger und Gegendemonstranten mit großem Polizeiaufgebot voneinander getrennt werden. In den zehn Tagen zwischen dem Tod von Khaled B. und der Ergreifung des Täters war den Ermittlern unter anderem vorgeworfen worden, nicht in alle Richtungen zu ermitteln. Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) erstattete sogar Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt. Am 17. Januar gedachten 2.700 Demonstranten des toten Khaled B. mit einem Marsch durch die Innenstadt, forderten eine schnelle Aufklärung der Tat und mehr Hilfe für Flüchtlinge und Asylbewerber. Viele der anwesenden Eritreer wünschten sich mehr Kontakt zu den Dresdner Einwohnern. Inzwischen ist der Verein Spike in Leuben zu einem ihrer Anlaufpunkte geworden.
Die Schwurgerichtskammer hat fünf Termine für die weitere Verhandlung angesetzt. Die Mutter von Khaled B. tritt als Nebenklägerin auf. Sie wird von Rechtsanwältin Gabriele Heinecke aus Hamburg vertreten. Im Saal waren auch einige Mitglieder der Initiative „remembering khaled“. Sie gehörten zu denen, die im Januar die Gedenkdemonstration mit organisiert hatten. „Wir wollen unserer Community berichten, wie es wirklich war“, sagte Sophie Schmidt. Bis heute wisse man nicht genau, warum Khaled B. sterben musste. Man werde auf der Homepage den Verlauf des Prozesses schildern.
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