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SPD-Fraktionschef Christian Avenarius: Der innere Frieden ist keine Sache des Strafrechts

Gegen Pegida-Anführer Lutz Bachmann und den Pegida-Redner und Schriftsteller Akif Pirinçci wird wegen Volksverhetzung ermittelt. An der Sprache auf den Pegida-Demonstrationen hat das wenig geändert. Über die Rolle von Justiz und Politik in der Auseinandersetzung um die Verrohung des politischen Diskurses haben wir mit Christian Avenarius gesprochen. Er ist Oberstaatsanwalt in Dresden und Vorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion.

Was macht die Ermittlungen wegen Volksverhetzung so schwer?

Der Tatbestand der Volksverhetzung, wie er im § 130 Strafgesetzbuch formuliert ist, muss außerordentlich grundrechtssensibel ausgelegt werden. Man muss genau prüfen, ob das, was gesagt wird, nicht doch noch vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist. Genauso muss geprüft werden, ob durch entsprechende Äußerungen der innere Frieden der Gesellschaft gestört wird.

Nicht nur das Staatsschutzstrafrecht, sondern auch das persönliche Ehrenschutzstrafrecht, gemeint ist insbesondere der Tatbestand der Beleidigung, § 185 Strafgesetzbuch, ist in Deutschland im politischen Bereich sehr freiheitlich und grundrechtsorientiert anzuwenden. Damit stößt es in einer Welt, in der die verbale Konfrontation immer mehr zunimmt, auch immer öfter an seine Grenzen.

Avenarius Christian

Christian Avenarius ist Oberstaatsanwalt und SPD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat. Foto: W. Schenk

Warum stoßen Rechtsnormen hier an ihre Grenzen?

Weil wir solche in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitete Hetztiraden über Einzelne oder ganze Bevölkerungsgruppen bislang nicht kannten. Eine Nazidemo in früheren Jahren war relativ überschaubar. Eine Facebook-Kampagne  ist viel schwieriger zu überblicken. Vielleicht brauchen wir härtere Regeln. Diese zu formulieren wäre juristisch ausgesprochen anspruchvoll und politisch wahrscheinlich mit noch mehr Mühen durchsetzbar. Aber wir leben in einer Zeit, in der häufig Formulierungen verwendet werden, die es früher so nicht gab. Das Staatsschutzstrafrecht und das Ehrenschutzstrafrecht sind nicht mehr zeitgemäß. Man muss es schon so treiben wie Horst Mahler (mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilter Neonazi – Anmerkung Redaktion), wenn man wegen Volksverhetzung in den Knast kommen will. Es ist eben ein sehr schwierig zu handhabender Tatbestand.

Kann die Justiz überhaupt wirksam gegen die Verrohung der Sprache vorgehen?

Die Justiz regelt Konflikte in der Gesellschaft sehr spät, sie kommt immer an letzter Stelle. Bei der Pirinçci-Rede am 19. Oktober hätte es zum Beispiel an der Versammlungsbehörde gelegen, vor Ort mit Hilfe der Polizei einzugreifen. Allerdings war die Rede für die Vertreter der Versammlungsbehörde von deren Standort aus nicht zu verstehen. Von daher hatten sie keine Möglichkeit, auf einen Abbruch der Rede hinzuwirken. Ganz abgesehen davon, dass man sich im Ordnungsamt deshalb Gedanken über bessere Kontrollmöglichkeiten machen muss, zeigt dieses Beispiel auch, wie weit sich die Dinge oft entwickeln, bevor sich Staatsanwaltschaft und Strafgerichte damit befassen.

Sie sind Staatsanwalt und SPD-Fraktionschef. In welchem Amt können Sie wirksamer gegen Volksverhetzung agieren?

Ich bin dienstlich nicht mit Staatsschutzverfahren, sondern vor allem mit Tötungsdelikten befasst. Das muss auch so bleiben, da ich streng darauf achten muss, dass meine berufliche und meine ehrenamtliche politische Tätigkeit voneinander getrennt bleiben. Politisch muss einen verantwortungs- und  kulturvollen Umgang mit unserer Sprache immer wieder anmahnen. Die Bachmann-Reden strotzen vor Herabsetzungen anderer Menschen. Man muss die Leute fragen, warum sie ihm trotzdem hinterherlaufen. Die Aufrüstung in der Sprache führt zur Verrohung der politischen Kultur.

Haben Sie eine Idee, woher diese Verrohung der Sprache kommt?

Verfolgen Sie mal die Alltagskommunikation auf einem Schulhof. Auch wenn es nicht um das Thema Ausländer geht, müssen Sie feststellen, dass viele Begriffe, Worte oder Gesten salonfähig geworden sind, die früher aus Gründen des moralischen Anstands nicht verwendet wurden. „Du Spast!“, „Du Behinderter!“ oder „Du Opfer!“ dürften eigentlich keine Schimpfworte sein.

Wenn wegen Volksverhetzung ermittelt wird – was steht im Vordergrund? Der einzelne strafbare Satz oder die ständig wiederholten herabsetzenden Formulierungen?

Rechtsextremisten sind oft sehr geschickte Grenzgänger bei den Formulierungen. In diesem Kontext wirken strafrechtlich relevante Formulierungen in der Regel schwerer. Manchmal genügt hierfür ein Wort, manchmal begründen mehrere Sätze, die im Zusammenhang gelesen werden müssen, die Strafbarkeit einer Äußerung.

Bedroht Bachmann mit seinen Reden den inneren Frieden?

Mit Sicherheit! Wenn jemand wie Bachmann redet, bewahrt er nicht den inneren Frieden, er hetzt die Leute auf. Wer andere als „Gelumpe“ oder „Gesocks“ bezeichnet, hat kein demokratisches Menschenbild, er spricht Teilen der Bevölkerung ihre Würde ab. Aber wir werden diese Schlacht um den inneren Frieden nicht mit strafrechtlichen, sondern letztlich nur mit politischen Mitteln  gewinnen können. Man muss natürlich ebenso gegen die vorgehen, die Randale machen, Molotow-Cocktails werfen oder Asylunterkünfte angreifen. Für diese Leute sollte es, wie der frühere Bundespräsident Roman Herzog einmal sagte, in Deutschland nur einen Platz geben: Das Gefängnis.

Es gibt Anhänger im linken Lager, die in dieser Auseinandersetzung Demonstrationen allein als nicht ausreichend bezeichnen.

Ich bin nicht einer von denen, die sagen: „Der schwarze Block gehört zu uns“. Ich habe großen Respekt vor dem, was Dresden Nazifrei in Dresden bewegt hat. Aber die immer wieder unterbleibende Abgrenzung von den teilweise gewalttätigen Autonomen finde ich inakzeptabel.  Ich habe kein Verständnis dafür, dass Pegida-Anhänger am Nach-Hause-gehen gehindert oder deren Autos abgebrannt werden. Diese Akteure gehören genauso verfolgt und bestraft. Das sage ich als Staatsanwalt, aber auch als SPD-Vertreter.

Das Aktionsbündnis „Herz statt Hetze“ hat für den Montag Abend erneut zu einer Gegendemonstration aufgerufen. Ist das für Sie der richtige Weg?

Die Teilnahme an friedlichen Demonstrationen ist auf jeden Fall einer von mehreren richtigen Wegen. Ich bemühe mich, möglichst oft teilzunehmen, auch wenn es am 9. November aus persönlichen Gründen nicht klappt. Das Strafrecht jedenfalls hat noch niemals darüber entschieden, ob politische Gruppierungen erfolgreich sind oder nicht.

Vielen Dank für das Gespräch.

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