Der „friedliche Abendspaziergang“ ist das, was Marketingexperten als den Markenkern der Pegida-Bewegung in Dresden bezeichnen würden. Vereinsvorsitzender Lutz Bachmann ist das nicht fremd. Mit seiner Firma Hotpepperpix hat er sich früher selbst um Fotos und PR gekümmert. Viele Dönergeschäfte gehörten zum Beispiel zu seinen Kunden. Dieser Markenkern ist Schritt für Schritt demontiert worden, meint Steven Schäller, Politikwissenschaftler an der TU Dresden, und verweist unter anderem auf Ergebnisse seiner Analyse der Reden, die bisher auf Pegida-Demonstrationen gehalten wurden.
Bei den ersten Reden zwischen Oktober 2014 und Ende November 2014 habe vor allem die Entfremdung vom politischen System in Deutschland eine zentrale Rolle gespielt. Auf Parteien wurde geschimpft, die Notwendigkeit eines Zuwanderungsgesetzes behauptet, das Fehlen der Polizei im ländlichen Raum angeprangert. Später jedoch wurde diese Kritik personalisiert und wandelte sich in „gepflegte Feindschaften“, wie es Schäller nennt. Rufe wie „Merkel muss weg“, verbale Attacken gegen Bundespräsident Joachim Gauck, SPD-Chef Sigmar Gabriel oder Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) stünden dafür.
Etwa ab dem Herbst 2015 sei eine weitere Steigerung in den Redebeiträgen erkennbar. „Jetzt wird das gesamte System in Frage gestellt“, sagte Schäller. Das findet seinen Widerhall in den Sprechchören „Widerstand, Widerstand!“, wobei nicht zuletzt auch Bezug genommen wird auf das im Grundgesetz formulierte Recht auf Widerstand (Artikel 20, Absatz 4).
Pegida und der Markenkern
Und der Ton wird noch schärfer, wenn nach Ansicht der Redner Institutionen ihre Legitimation völlig verloren haben. Dann, so Tatjana Festerling, habe der Bürger ein Recht auf Formen des Widerstandes, die nicht mehr nur als ziviler Ungehorsam zu bezeichnen sind, wie sie dies noch im Sommer 2015 in Form von „Kaufstreiks“ oder Arbeitsniederlegungen gefordert hatte. Stattdessen müsse dieser Widerstand aktive Formen annehmen. So verpackte sie ihren Aufruf zum aktiven Widerstand in ihre bekannten Mistgabel-Sätze. „Hier liegt der Widerspruch zum Pegida-Markenkern der Gewaltfreiheit, den das Organisationsteam um Lutz Bachmann von Anfang an vertreten hat, offen auf der Hand“, analysiert Schäller.
Der Forscher am Institut für Politikwissenschaften beschäftigt sich seit 2014 mit der Pegida-Bewegung. Zusammen mit Hans Vorländer und Maik Herold hat er die Studie „Pegida. Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung“ verfasst. Am vergangenen Wochenende wurde das Buch auf der Leipziger Buchmesse präsentiert und erfreute sich einer großen Resonanz im Publikum. Für seine Forschungsarbeit hat Schäller die Reden bei Pegida transkribiert. Ergänzt hat er dies mit Beobachtungen der Körpersprache, des Redestils und der Zuhörerreaktionen. Dabei stützt er sich auf das vorliegende Videomaterial und auf seine Beobachtungen bei den Pegida-Kundgebungen.
Grenzen des öffentlich Sagbaren verschieben sich
Und inhaltlich? Während bei den verschiedenen Pegida-Studien bei der Auswertung der Befragungen der Pegida-Demonstranten auch eine Klassifizierung nach Kriterien wie Rassismus, Rechtsextremismus oder offener Islamfeindlichkeit erfolge, sei dies bei der Auswertung der Reden nur von untergeordnetem Interesse. „Die Redner wissen, wie sie ihre Positionen verpacken müssen“, erläutert Schäller dazu. Wenn zum Beispiel Götz Kubitschek das Volk als Blut- oder Herkunftsgemeinschaft beschwört und nicht als Wertegemeinschaft, dann spricht er ein „völkisch kodiertes Gemeinschaftsverständnis an“. Die meisten Redner könnten sehr gut einschätzen, was vor einem öffentlichem Publikum sagbar ist – wobei sie diese Grenze auch zunehmend verschieben.
Schulterschluss mit neurechter identitärer Semantik
Islamkritische bis islamfeindliche Positionen setzten sich nach der Spaltung des Pegida-Orgateams in vielen Reden klar durch, hat Schäller festgestellt. Der Islam werde pauschalals Bedrohung dargestellt, die Anhänger des Islams als Eroberer charakterisiert. Der Begriff der „Umvolkung“ taucht in vielen Reden auf und wird wortreich umschrieben. Hier lasse sich der Schulterschluss mit der Semantik der neurechten identitären Bewegung gut beobachten, sagte Schäller. Dazu kämen die „völkischen Aspekte“ als weiterer Bestandteil der Reden. Festerling, Kubitschek oder zuletzt am 6. Februar Martin Sellner aus Österreich stünden exemplarisch dafür. Wie bei keinem anderen Redner seien die Auftritte von Tatjana Festerling meist sehr schrill. Obwohl sie auch in intellektuellen Denkformen geübt ist und in vielen Reden einen programmatischen Anspruch für Pegida erhebt, kenne sie keine Grautöne, kein Dazwischen, meint Schäller. Kompromisslos und mit vielen herabsetzenden Wortschöpfungen arbeite sie sich an ihren Gegnern ab.
Redner und Publikum denken nicht immer dasselbe
Insgesamt, so Schäller, nehme die Islamfeindlichkeit in den Reden bei den Pegida-Kundgebungen einen deutlich größeren Platz ein als in den Überzeugungsmustern der Pegida-Anhänger. Für diese seien die Unzufriedenheit mit der Demokratie und die Entfremdung vom politischen System viel wichtigere Themen.
Pegida sei keine einheitliche Bewegung. Die Reden würden eine Facette der Bewegung darstellen. Zum ersten Mal überhaupt in der noch jungen Pegida-Forschung habe man das Thema Reden und Redner in dem gerade erschienenen Buch behandelt. Eine wichtige Rolle bei der Redenanalyse habe auch der Blick auf die Auswahl der Redner gespielt, meinte Schäller. Seit dem Frühjahr 2015 wäre die Einladung von Rednern eng mit dem Anspruch der Vernetzung der etwa 20 deutschen Pegida-Ableger, aber auch darüber hinaus, verknüpft. Außer Geert Wilders aus den Niederlanden sei aber kein weiteres bekanntes Gesicht der Rechtspopulisten in Europa in Dresden zu hören gewesen. Weder Frankreichs Front-National-Chefin Marine Le Pen noch Ungarns Premier Victor Orban konnte das Pegida-Orgateam für einen Auftritt in Dresden gewinnen. Auch der heftig umworbene HC Strache, Vorsitzender der österreichischen FPÖ, machte bislang einen Bogen um Dresden, auch wenn es mit ihm bereits öffentlich dokumentierte Treffen gegeben habe.
Die Analyse der Pegida-Reden steht auch bei Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden auf der Agenda. In der Studie „Pegida. Warnsignale aus Dresden“, die er gemeinsam mit Joachim Klose herausgibt und die demnächst erscheint, ist der Reden-Analyse ein eigenes ausführliches Kapitel gewidmet. Das hatte Patzelt Ende Februar, am Rande der Vorstellung der neuesten Befragungsergebnisse unter Pegida-Anhängern, angekündigt.