Karsten Dietze ist ein ganz besonderer Sozialarbeiter. Er spricht fließend arabisch. Mitarbeiter wie er, die verschiedene Sprachen sprechen, haben derzeit alle Hände voll zu tun. Der 28-Jährige hat eine halbe Stelle als Sozialarbeiter bei der Caritas Dresden und betreut zurzeit zwischen 60 und 100 Flüchtlinge. „Ich habe ein Jahr in Syrien gelebt, um dort die Sprache zu lernen. Ich möchte gern zwischen den Kulturen vermitteln, mit meinen Sprachkenntnissen helfen, Barrieren abzubauen“, erzählt Dietze.
An Gelegenheiten dafür fehlt es seit November 2013 nicht. So arbeitet er jetzt mit syrischen Flüchtlingen, die in Leuben, Tolkewitz oder Prohlis dezentral untergebracht sind. Die Adressen und Namen seiner Klienten erhält er vom Sozialamt. Alle zwei Wochen schafft er es, in jeder Wohngemeinschaft vorbeizuschauen. Dort, wo es Probleme gibt, ist er auch häufiger vor Ort. „Unsere Klienten kommen in die Wohnung und wissen wenig über Dresden. Zunächst geht es darum, sie mit der Stadt, der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel und den verschiedenen Ämtern vertraut zu machen“, erzählt er von seiner Arbeit. „Die Flüchtlinge kommen oft mit gesundheitlichen Problemen, wie Kriegsverletzungen, aber auch ganz persönlichen Problemen hierher. Ihre Familienangehörigen sind zum Teil über die ganze Welt verstreut.“
Hausordnung muss gelernt werden
Ziehen neue Flüchtlinge in ein Wohnhaus ein, suchen die Sozialarbeiter auch den Kontakt zu den Nachbarn. Manche seien sehr hilfsbereit, andere eher kritisch und distanziert. Zurzeit betreut Karsten Dietze neben syrischen Männern im Alter von 18-25 Jahren, Flüchtlinge aus Pakistan, Afghanistan und Eritrea. Neben Konflikten zwischen den Neuankömmlingen, sind auch Probleme mit dem Einhalten der Hausordnung zu lösen. „Es sind junge Männer. Für sie ist Mülltrennung ein gänzlich unbekanntes Phänomen. Aber auch das Rauchen im Haus oder die Einhaltung der Nachtruhe sind Probleme, die immer wieder angesprochen werden müssen.“, so seine Erfahrung.
Dietze muss auch Dolmetscher organisieren und sich um Arzttermine kümmern. „Neben Verwundungen gibt es auch psychische Probleme, wie posttraumatische Störungen, mit denen die Flüchtlinge zu kämpfen haben“. Gerade dann ist die Sprachbarriere ein besonders großes Hindernis.
Ehrenamtliche Helfer sind enorm wichtig
Aufgrund des hohen Betreuungsschlüssels haben die Sozialarbeiter kaum Zeit, eine enge persönliche Beziehung zu den Flüchtlingen aufzubauen. Umso wichtiger für ihre Arbeit ist die Unterstützung durch ehrenamtliche Helfer. In jeder Wohngemeinschaft, die Karsten Dietze betreut, gibt es inzwischen einen WG-Paten, der mindestens einmal pro Woche bei den Flüchtlingen vorbeischaut, mit ihnen etwas unternimmt, sie bei Bedarf zum Arzt begleitet oder ihnen auch einfach nur zuhört.
Mit diesen Kontakten helfen die Freiwilligen gleichzeitig, den Flüchtlingen die deutsche Sprache zu vermitteln. Die Caritas Dresden bietet zurzeit selbst zwei kostenlose Deutschkurse an. Dietze wünscht sich, dass es mehr Sozialarbeiter gäbe, die sich um die Flüchtlinge kümmern können. Er hat außedem festgestellt, dass die Asylverfahren oft immer noch zu lange dauern. „Normalerweise ist angestrebt, dass innerhalb der ersten drei Monate ein Erstgespräch zwischen Flüchtling und Behörde stattfindet, bei dem sich der Flüchtling zu seiner Situation und Fluchtgründen äußern kann. Diese Frist kann von der Behörde zurzeit jedoch oft nicht eingehalten werden“, schildert der Sozialarbeiter.
Seit vier Monaten betreut Dietze die syrischen Flüchtlinge Anas, Munir, Majd und Ahmad. Sie sind zwischen 21 und 28 Jahre alt. Die Kommunikation mit ihnen ist dank seiner Arabisch-Kenntnisse unkompliziert. Die vier jungen Männer wohnen gemeinsam mit zwei weiteren Flüchtlingen in einer WG in Tolkewitz und nehmen derzeit an einem Deutschkurs der Bürgerinitiative „DAMF – Deutschkurs-Asyl-Migration-Flucht“ teil.
Pegida-Demos haben Klima verändert
Ihnen gefällt es in Dresden. Sie erzählen von guten Beziehungen zu ihren Nachbarn und Anwohnern im Stadtteil. Schon öfter waren sie bei Stadtteilfesten, wie dem Leubener Weihnachtsmarkt, dabei und kamen dort mit Anwohnern in Kontakt. Ebenso haben sie Kontakte zu arabischen Studenten, die an der Technischen Universität studieren. Doch sie spüren seit den Pegida-Demonstrationen eine Veränderung im Verhalten einiger Einheimischer. Auf der Straße seien sie öfter Beleidigungen ausgesetzt. „Ich habe vielfach erfahren, dass unsere Klienten auf der Straße beleidigt, Kinder bedroht werden und die Flüchtlinge zum Teil auch körperlichen Angriffen ausgesetzt sind. Sie haben einfach Angst“, bestätigt Dietze entsprechende Beobachtungen. Doch er hofft, dass sich dieses Verhalten schnell wieder ändert.
Die zahlreichen Hilfsangebote vieler Dresdner bestärken ihn in dieser Haltung. Die vier syrischen jungen Männer sind Muslime, gehen jeden Freitag zum Gebet in eine Dresdner Moschee. Es bedrückt sie sehr, dass all der Terrorismus auf der Welt dem Islam zugeschrieben wird. Für die Zukunft wünschen sie sich eine differenziertere Auseinandersetzung mit diesem Thema.
Sie kommen aus einem Kriegsgebiet und suchen nach Sicherheit und Frieden, ohne Krieg und ohne Angst. Doch in den letzten Wochen haben sie zunehmend Angst, zum Beispiel abends im Dunkeln noch wegzugehen. Deutschland steht für sie als Land der Demokratie und der Meinungsfreiheit, etwas, dass besonders Munir und Ahmad in ihrer Heimat vermissten. Als Kurden hatten sie in Syrien eine Menge Repressalien zu ertragen.
Tischler oder Friseur – Hauptsache arbeiten
Alle vier möchten sich ein sicheres Leben aufbauen, möchten dafür arbeiten. Anas ist Tischler, hatte zu Hause eine eigene Schreinerei. Munir ist es ganz egal, was für einen Job er bekäme, Hauptsache Arbeit. Er hat in Syrien die Schule mit einer landwirtschaftlichen Vertiefungsrichtung abgeschlossen. Wie auch Ahmad jobbte er ein paar Jahre in einem Restaurant in Damaskus. Ahmad möchte gern Friseur werden. „Er ist bereits in unserer WG der Friseur“, erzählt Anas und streicht sich zufrieden über sein krauses pechschwarzes Haar. Majd kommt aus Aleppo. Er studierte bereits im dritten Jahr Informatik als die Universität wegen des Krieges geschlossen werden musste. Sein Vater besaß in Aleppo eine größere Fabrik. Auch diese wurde durch den Krieg zerstört. „In unserer Heimat hat man deutsche Technik und Maschinen sehr geschätzt. Lieber nutzte man gebrauchte deutsche Maschinen als Neue aus einem anderen Land“, erzählt er. Majd hat inzwischen einen Film über die Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg gesehen. Die Bilder erinnerten ihn sehr an den Zustand seiner Heimatstadt Aleppo. Er möchte gern sein Studium beenden. Doch während Ahmad bereits seine Aufenthaltsgenehmigung in den Händen hält, müssen die anderen drei noch Warten, Hoffen und Bangen.
In Bulgarien gab es madiges Fleisch
Für sie besteht die große Gefahr, nach Bulgarien abgeschoben zu werden. Entsprechend der Dubliner Verträge müssen Flüchtlinge in dem EU-Land ihren Asylantrag stellen, das sie als erstes betreten haben. Anas, Munir, Majd sind bei ihrer Flucht zuerst in Bulgarien gelandet. Doch dorthin wollen sie auf keinen Fall zurück. Zunächst wurden sie dort ins Gefängnis gesteckt und ihre Fingerabdrücke genommen. „Wir bekamen madiges Fleisch zu essen“, erzählen sie von den dortigen Verhältnissen. „Auch sonst haben wir in Bulgarien keine Chance, ein friedliches Leben aufzubauen, eine Wohnung oder Arbeit zu finden.“ Wenn sie nach Bulgarien abgeschoben werden, wollen sie lieber gleich nach Syrien zurück.
Ahmad muss nun demnächst aus der WG ausziehen und eine eigene Wohnung anmieten. Noch steht nicht fest, ob er in Dresden bleibt oder zu einem Verwandten nach Bochum ziehen wird. Auf jeden Fall plant er für die nächsten anderthalb Jahre ordentlich Deutsch zu lernen und danach eine Ausbildung zu beginnen oder sogar einen Schulabschluss nachzuholen.