Zwei Tage vor dem entscheidenden Wahlgang in Dresden wird immer deutlicher, dass der gewinnt, der die meisten Dresdner motivieren kann, auch am 5. Juli ins Wahllokal zu gehen. Viele Wähler, die im ersten Wahlgang ihre Stimme den Kandidaten der CDU oder der AfD oder der vom Pegida-Verein unterstützten Einzelbewerberin Tatjana Festerling gegeben haben, sind offenbar noch unentschlossen. Unentschlossen, ob sie überhaupt zur Wahl gehen sollen und unentschlossen, wem sie dann ihre Stimme geben sollen. Der von vielen prognostizierte Lagerwahlkampf ist ausgeblieben. CDU, FDP und der Pegida-Verein hätten das gern gesehen. Dirk Hilbert (FDP) hat jedoch konkrete Absprachen mit CDU und AfD vor dem zweiten Wahlgang abgelehnt und dies mit der Überparteilichkeit des Wahlbündnisses „Unabhängige Bürger für Dresden“ begründet. Dem fühle er sich verpflichtet.
Königsbrücker Straße zeigt Versagen von CDU und FDP
Unabhängig davon haben alle Parteien in den vergangenen vier Wochen versucht, ihre Stärken in den Vordergrund zu rücken und auf die Schwächen des politischen Kontrahenten hinzuweisen. Die Stadtratskooperation von Linke, Grünen, SPD und Piraten zog eine durchweg positive Bilanz ihres ersten gemeinsamen Jahres. CDU, FDP und AfD im Stadtrat hielten in bisher nicht gezeigter Einigkeit dagegen.
Einiges daran ist bemerkenswert. Einträchtig und lautstark wird jetzt Rot-Grün-Rot für Verzögerungen bei der Sanierung der Königsbrücker Straße verantwortlich gemacht. Angesichts der letzten 20 Jahre Planungs-Hickhack durch CDU und FDP ist das grotesk, scheint aber bei vielen schon nicht mehr präsent zu sein. Keines der Stadtoberhäupter aus den beiden Parteien hat die Führungsstärke gezeigt, die nötig gewesen wäre, um mit allen Beteiligten – den Fraktionen, den Anwohnern der Neustadt, den Stadtplanern und dem für die Fördermittel zuständigen Wirtschaftsministerium – in einem transparenten Verfahren eine konsensfähige Sanierungsvariante zu erarbeiten. Dass nun, nachdem sie die Mehrheit haben, Grüne, SPD, Linke und Piraten die Fragen prüfen lassen, die von der bisherigen Mehrheit weggestimmt worden sind, ist mehr als legitim. Und korrigiert möglicherweise auch die von Klagen bedrohte beschlossene Variante 7.
Bilanz von Rot-Grün-Rot nicht makellos
Die Bilanz von Rot-Grün-Rot ist nicht so makellos, wie sie präsentiert wurde. Der größte Fehler war die Verhinderung eines Bürgerbegehrens zur Ladenöffnung am Sonntag. Das hat viel politischen Schaden verursacht und war gar nicht nötig. Hier hätten Linke, Grüne und SPD in die Offensive gehen können, nachdem CDU und FDP aus formal-juristischen Gründen gescheitert waren. Dass die Unterschriften zum Stichtag nicht ausreichten, lässt sich eben einfach nicht wegdiskutieren. Man sollte an der Stelle auch daran erinnern, dass es CDU und FDP waren, die 2013 mit ihrer Landtagsmehrheit eine Absenkung des Quorums bei Bürgerbegehren auf 5 Prozent abgelehnt haben. Mit 5 Prozent der Wählerstimmen wären sie im Frühjahr locker erfolgreich gewesen.
Die mit der Mehrheit von Linke, Grünen und SPD im Stadtrat beschlossene Regelung zur Sonntagsöffnung gilt ohnehin nur für 2015. Ein Bürgerentscheid hätte diese unfruchtbare Debatte, die auf beiden Seiten nur von Rechthaberei lebt, auf demokratische Weise beenden können. So wehte ein völlig überflüssiger Hauch von Durchregieren über die RGRO-Kooperation.
Auch darum hat OB-Kandidatin Eva-Maria Stange (SPD) von Anfang an für eine neue politische Kultur in der Stadtpolitik plädiert. Eine Forderung nach neuer politischer Kultur hätte man Hilbert, der diese Kultur in den letzten Jahren mitgeprägt hat, eher nicht abgenommen. Die Kleingärtner-Wahlunterstützung hat das auf ihre Weise deutlich gemacht.
Stange mit 5-Punkte-Plan
Eva-Maria Stange hat heute einen Fünf-Punkte-Plan für die Zeit nach der Wahl präsentiert. Nach einem eher gemütlichen Wahlduell mit Konkurrent Dirk Hilbert zu Beginn der Woche hat sie jetzt noch einmal deutlich betont, dass sie die Wahl gewinnen will. „Wenn ich im August mein Amt antrete“ klingt nun ebenso entschlossen wie Hilberts „Ich gehe auf Sieg“. „Die Dresdnerinnen und Dresdner sollen sehen“, erklärt Stange, „dass sie nicht die ‚Katze im Sack‘ wählen, wenn sie mir am Sonntag ihre Stimme geben. Ich bin gut vorbereitet, wenn ich im August mein Amt antreten werde“. Dabei gehe es nicht um `blinden Aktionismus‘, sondern darum, in Ruhe und gemeinsam mit allen Beteiligten, dringende Entscheidungen endlich zu treffen und auch umzusetzen.
„Zunächst werde ich Gespräche zur künftigen Zusammenarbeit führen, u.a. mit den Bürgermeistern, den Ortsamtsleitern, allen Fraktionsvorständen und den Mitarbeitervertretungen. Ich werde zuhören und mich informieren lassen“, kündigte Stange an. Der bereits vom Stadtrat in Auftrag gegebene Kassensturz müsse zügig auf den Tisch, um festzustellen, wie die Haushaltslage der Stadt tatsächlich aussehe, vor allem beim Eigenbetrieb Kindertagesstätten. Hier streiten Sozialbürgermeister Martin Seidel und die rot-grün-rote Stadtratsmehrheit um die erforderlichen Haushaltsmittel für 2015/16.
Aus heutiger Perspektive will Stange fünf Maßnahmen sofort angehen:
- Ein Wohnungsentwicklungskonzept vorlegen und damit die Zeichen auf aktive Wohnungspolitik stellen.
- Die Planungen für die Königsbrücker Straße Süd und Stauffenbergallee West auf den Weg bringen.
- Eine Stabsstelle Asyl/ Integration in der Stadtverwaltung einrichten.
- Das Kultur- Kraftwerk – Mitte weiter anschieben, damit sich der Vorhang in gut einem Jahr auch wirklich hebt und beste Voraussetzungen für den Bühnenbetrieb und die Kreativität geschaffen sind.
- Die Vorbereitungen zur Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt 2025 weiter vorantreiben und ein offenes Werkstattverfahren in Form einer Ideenfabrik einleiten.
Dirk Hilbert ist in den letzten Wochen nicht sehr offensiv mit seinen vier Herzensangelegenheiten umgegangen. Als Erster Bürgermeister kann er sich auf den Amtsbonus verlassen und sich die Themen aussuchen, mit denen er in die Öffentlichkeit geht. Im Stadtbild scheint er deutlich präsenter zu sein, als Stange. Dazu trägt sicher auch bei, dass er von der CDU wichtige Stellplätze für Großplakate übernommen hat.
Umfrage und Wahlbörse
Die DNN hat heute Ergebnisse einer von ihr in Auftrag gegebenen Studie veröffentlicht. Darin hat das Team von Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach von der TU Dresden die Stimmung zwischen beiden Wahlgängen untersucht. Donsbach selbst schreibt bei dnn-online.de: „Wir haben Anzeichen in unseren Daten, dass Hilbert ganz überwiegend die Stimmen derjenigen bekommt, die beim ersten Wahlgang Ulbig gewählt haben.. Auch die Wähler Festerlings (Pegida) und Vogels (AfD) werden so abstimmen. Bei ihnen ist aber die Wahlbeteiligung weniger sicher. Eva-Maria Stange hat kein Wählerpotential mehr, das sie ausschöpfen kann. Ihr kann nur eine sehr ungleiche Wahlbeteiligung helfen.“ Die Forscher sehen darum einen Zuwachs bei Hilbert auf bis zu 47 Prozent, während Stange ihren Stimmenanteil von 36 Prozent aus dem ersten Wahlgang nicht steigern könne.
Auch die PESM-Wahlbörse sieht Hilbert vor Stange, so der Stand vom 3. Juli um 16 Uhr. Donsbach verteidigt in seinem Gastbeitrag für die DNN auch die Veröffentlichung der Umfrageergebnisse. „Es ist gut und ganz normal, wenn solche Ergebnisse, sofern sie solide und methodenkritisch erhoben werden, allen zur Verfügung stehen“, sagt er. Und fügt hinzu, dass das, was die Wähler dann tatsächlich tun würden, noch durch Vieles noch beeinflusst werden könne.