Plötzlich erklang eine helle Frauenstimme im Raum 3.0.19 im Bürogebäude in der Lingnerallee und die fröhlichen Gespräche verstummten. Mitra Naghshekesheasl aus dem Iran hatte ein melancholisches Lied angestimmt. „Hilf mir, ich möchte nicht alleine sterben“, erklärte sie hinterher, worum es ging. Die Zuhörer hatten das gespürt, vielen standen die Tränen in den Augen. So endete das Treffen der Dresdner Gemeindedolmetscher gestern Abend. Mitra übersetzt, wenn jemand Persisch oder Türkisch spricht. Beim Arzt, wenn ein Kind in der Kindertagesstätte oder in der Schule angemeldet wird oder in anderen Lebenslagen, wo professionelle Dolmetscher zu teuer oder nicht verfügbar sind.
Die 52 Gemeindedolmetscher des Dresdner Vereins für soziale Integration von Ausländern und Aussiedlern können bei 30 unterschiedlichen Sprachen und Kulturkreisen helfen. „Es geht nicht nur um die Hilfe bei der Überwindung der Sprachbarrieren, sondern immer auch um die Vermittlung von Lebensart und Brauchtum“, sagte Projektleiter Hans-Joachim Wolf, als er Bilanz für das vergangene Jahr zog. Und so verstehen sich die ehrenamtlichen Dolmetscher des Vereins auch – als Sprach- und Kulturmittler. Die Nachfrage nach den Dienstleistungen des Vereins sei im vergangenen Jahr sprunghaft angestiegen. Für 3.240 Einsätze wurden die Dolmetscher angefordert. 2014 waren es 1.972 Einsätze. Wie stark der Bedarf gewachsen sei, zeige der Vergleich mit dem Jahr 2007. Da lag die Zahl der Einsätze bei 62, sagte Wolf. In 75 Prozent der Fälle sei die Anforderung von der Kommune gekommen, meist aus dem Sozialamt oder dem Jugendamt, wenn es zum Beispiel um die Betreuung der minderjähriger unbegleiteter Jugendlicher ging.
Dresdens Integrations- und Ausländerbeauftragte Kristina Winkler lobte vor allem den Einsatz der Dolmetscher im Jobcenter. Allein in den letzten drei Monaten 2015 hätten sie dort in mehr als einhundert Einsätze bei der Registrierung und Vermittlung von Bewerbern geholfen. Sie zeigte sich überzeugt davon, dass diese Anforderungen auch 2016 auf hohem Niveau bestehen bleiben und bat das Dolmetscherteam: „Lassen Sie nicht nach in ihrem Engagement.“
Begleitet wurden die Ausführungen der Redner von Kommentaren und Zwischenrufen aus dem Saal. Die Vielfalt der verschiedenen Temperamente im Saal sorgte für eine fröhliche Stimmung und erzählte den Gästen, die diese Stimmung nicht jeden Tag erleben, etwas über dem Zusammenhalt der Sprach- und Kulturmittler, von denen übrigens 41 Frauen sind.
Geradezu begeistert reagierte das Publikum, als Oberst Helmut Baumgärtner, Kommandeur des Landeskommandos Sachsen der Bundeswehr, einen überdimensionalen Scheck über 1.953,94 Euro überreichte. Das Geld war am 1. Dezember vergangenen Jahres auf einem Benefiz-Konzert des Luftwaffenmusikkorps Erfurt der Bundeswehr in der Katholischen Hofkirche gesammelt worden. Baumgärtner outete sich als Fan der Gemeindedolmetscher und sagte voller Anerkennung. „Sie machen das sehr fröhlich und freiwillig.“ Das, so fügte er hinzu, werde die große Herausforderung für jeden einzelnen Bürger in Deutschland sein, wenn es um die Integration der Flüchtlinge im Beruf, im Verein oder um Privatleben gehe.
Oft sind es kleine Dinge im Alltag, bei denen die Dolmetscher helfen können. „Gerade haben wir einen mehrsprachigen Flyer über Mülltrennung gedruckt“, erzählt Vereinsvorsitzende Ingrid Blankenburg. Ein Thema, das kaum ein Comedian auslässt, wenn es um das Zusammenleben von Deutschen und Asylbewerbern geht. In einem Haus, in dem Deutsche und dezentral untergebrachte Asylbewerber gemeinsam wohnen, hatte es immer wieder Ärger mit dem Müll gegeben. Bevor sich das auf die Nebenkostenabrechnung der Mieter auswirkt, sorgte der Verein für Aufklärung. Der Verein erfährt viel über derartige Alltagskonflikte, weil er neben den Dolmetscherdiensten auch Orientierungshilfe für Asylbewerber anbietet, eine Beratungssstelle für Migranten hat und ein Lesecafé betreibt, in dem sich Migranten über deutsche Literatur informieren können. Intensiv kümmert sich der Verein um die Nachwuchsarbeit. 21 der gestern überreichten Jahresausweise gingen an Neulinge. Zum Beispiel an Farshad Daneshpazhoonejad aus dem Iran, der an der TU Dresden Bauingenieurwesen studiert. Eigentlich war er auf der Suche nach einem Minijob, erzählt er. Dann habe er vom Gemeindedolmetscherdienst erfahren. „Jetzt kann ich mit meinen Sprachkenntnissen helfen. Das gefällt mir“, sagte der junge Mann.
Übrigens: Nachdem die Tränen über das schöne Lied von Mitra getrocknet waren, wurde es wieder fröhlich. Die Frauen aus Russland ließen sich nicht lange bitten und stimmten „Katjuscha“ an.
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