Etwa zehntausend ehrenamtliche Helfer engagieren sich in Dresden in der Flüchtlingshilfe, die Hälfte davon regelmäßig, schätzte das Sozialamt der Stadt Ende 2015. Sachsenweit sind es deutlich mehr. Viele von ihnen sind direkt in den Gemeinschaftsunterkünften tätig. Sie teilen Essen aus, sortieren Spenden und geben sie weiter, helfen beim Einchecken der Neuankömmlinge, bauen Liegen auf, arbeiten im Schichtbetrieb. Sie schlichten Konflikte zwischen sich prügelnden Flüchtlingen, sehen Gewalt gegen Kinder oder Frauen, sehen die Folgen der Flüchtlingsbürokratie und spüren die Hilflosigkeit, wenn keine Verständigung untereinander möglich ist.
Eva Brackelmann ist eine der Helferinnen und hat von August bis zum Jahresende in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Ernst-Grube-Halle in Leipzig gearbeitet. „Nach den ersten drei Tagen intensiver Arbeit habe ich erst einmal überlegt, ob ich das wirklich will“, erinnert sie sich heute bei der Veranstaltung „Hilfe für Helfende“ in Dresden. Sie hat weitergemacht und sich mit ihrem Arbeitgeber in Dresden, der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen, geeinigt. Dort ist sie Geschäftsführerin des Landesarbeitskreis Sachsen e.V.. Wenn die Emotionen sie überwältigt haben, dann hat sie einen Tag Auszeit genommen. Die Ankunft der Busse, die Gewissheit, dass es für die Flüchtlinge in den Hallen keine Privatsphäre gibt, die Situation der Kinder – das habe sie besonders bewegt. „Da ist ein Tag Ruhe enorm wichtig“, sagt die Mutter zweier Kinder. Wichtig sei auch ein gutes Verhältnis zur hauptamtliche Leitung der Unterkunft. Kevin Herrmann war Verantwortlich in der Leipziger Unterkunft und sagt. „Man muss sich Zeit nehmen für die vielen ehrenamtlichen Helfer“. Wichtig sei Unterstützung bei der Bewältigung der verschiedensten Konfliktsituationen. Herrmann schult inzwischen Personal, das in der Flüchtlingshilfe arbeitet.
Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) Sachsen organisierte Veranstaltung für die Helfer sei wichtig, meinte Herrmann. Konfliktpotential stecke in jeder Gruppe, die in einer Flüchtlingsunterkunft arbeitet. Bei den Flüchtlingen selbst, bei den hauptamtlichen Beschäftigten, den ehrenamtlichen Helfern oder dem Wachpersonal. Das Betreiberpersonal müsse solche Konflikte rechtzeitig erkennen und dann auch lösen können, meinte er. Dabei würde der Austausch untereinander – so wie heute in Dresden – viel helfen, weil die Erfahrungen eben auch sehr verschieden seien.
In einem der Workshops schilderte Ali Mohamad Achmed al Shiblawi aus dem Irak seine Konflikterfahrungen – die guten und die schlechten – aus der Sicht des Asylsuchenden. Gut sei zum Beispiel, dass das Sicherheitspersonal und die Polizei immer sehr schnell reagiere, sagte er. Schlecht sei, dass manchmal nur ein oder zwei Leute ausreichen würden, um für schlechte Stimmung zu sorgen. Meist seien dann Alkohol oder Drogenkunsum die Ursache. Oder rücksichtslose Mitbewohner, die trotz des Verbots rauchen würden. „Darunter leiden die Kinder, aber auch Asthmakranke, erst recht, wenn es sehr eng ist“, erklärt der junge Mann. Oft gebe es auch Streit um die Sauberkeit.
Diese Erfahrungen bestätigt auch eine Studie, die Veranstaltungschef und FES-Referent Christian Demuth mitgebracht hat. Es handelt sich um eine Untersuchung zur Gewalt in Gemeinschaftsunterkünften in Brandenburg. Auch wenn die Ergebnisse wenig überraschen, verweisen sie doch auf Ursachen und Defizite, die auch für die hiesigen Unterkünfte gelten. In fast allen untersuchten Fällen sei die Gewalt von Männern ausgegangen. Häufig würden sich gewalttätige Konflikte aus Situationen des alltäglichen Zusammenlebens ergeben und haben meist mit der Sauberkeit in den gemeinschaftlich genutzten Räumen oder mit Lärm zu tun. Je höher die Belegungsdichte und je weniger Rückzugsmöglichkeiten für die Insassen, umso größer die Gefahr, dass Konflikte eskalieren. Ein wenig strukturierter Alltag und fehlende Möglichkeiten für Sport oder andere Freizeitbetätigungen würden den Ausbruch und die Verschärfung von Konflikten ebenfalls begünstigen. Umso wichtiger ist das Engagement der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. Sprachkurse an ABC-Tischen, Begleitung zum Arzt oder zu Behörden, Nähkurse und andere Kontakte helfen, das Warten erträglich zu machen.
Dennoch sei es wichtig, sich auch mit der Situation der Helfer zu befassen, sagt Friederike Engst, die gemeinsam mit Demuth zum Einstieg in die Workshops vor den etwa 70 Teilnehmern die Konfliktsituationen analysiert hat. Beide sind auch im Netzwerk Bunte Neustadt aktiv und verfügen über eine gehörige Portion Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit. „Viele Helfer arbeiten im Stillen. Sie wurden von einer Welle des Mitgefühls förmlich aufgesaugt. Erst später offenbaren sich dann die Probleme“, schildert die Psychologin Engst ihre Erfahrungen. Da sei es wichtig, Mechanismen zu finden, mit denen man sich selbst schützen könne – sowohl vor den Schicksalen der anderen als auch vor der eigenen Überforderung. Viele Helfer wüssten einfach nicht, wie man diese Vielfalt an meist auch sehr emotional geprägten Eindrücken verarbeiten könne, sagt Engst.
Demuth kann sich bei der Hilfe für die Helfenden durchaus mehr fachliche Unterstützung vorstellen. Auch bei der wissenschaftlichen Begleitung der gesamten ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit sieht er noch viel Potential. Warum sollten nur Pegida-Demonstranten interessant für die Forschung sein, fragt er.
Engst verweist auf ein weiters Problem,mit dem sich viele Ehrenamtler herumschlagen: „Oft fehlt die Wertschätzung ihrer Arbeit durch die Gesellschaft, oft sogar im eigenen persönlichen Umfeld.“
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