Steven Schäller lehrt und forscht an der TU Dresden. Er gehört zu dem Team um Politikwissenschaftler Hans Vorländer, das im Januar 2015 zum ersten Mal einen wissenschaftlichen Blick auf die Pegida-Anhänger vorstellte. Schäller arbeitet weiter an dem Thema, analysiert die Auftritte der Pegida-Redner und hat als „teilnehmender Beobachter“ die verschiedenen Dialogforen besucht. Wir haben mit ihm über die Einladung von Pegida an Geert Wilders für den Montag und das Demokratieverständnis der Pegida-Anhänger gesprochen.
Welches Signal sendet der Pegida-Verein mit der Einladung an den Holländer Geert Wilders nach Dresden?
Pegida positioniert sich damit eindeutig als islamkritische Bewegung. Die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus, auf die Pegida in den ersten Monaten sehr großen Wert gelegt hat, wird mit diesem Schritt aufgegeben. Damals wurden die Medien heftig dafür kritisiert, dass sie diesen Unterschied nicht anerkennen wollten. Schon die Einladung von René Stadtkewitz als Redner und die Aufnahme von Tatjana Festerling in den Pegida-Verein haben diese Tendenz verdeutlicht. Die Einladung an Wilders ist wie ein Schlussstein dieser Entwicklung. Pegida ist jetzt eindeutig islamkritisch, ohne noch einen Unterschied zwischen Islam und Islamismus machen zu wollen.
Wird die Bewegung damit zum Bestandteil eines europaweiten Netzwerkes?
Man liest viel über einen Schulterschluss von Pegida mit den rechten Parteien in Europa. Es ist zumindest der Versuch von Pegida-Chef Lutz Bachmann beobachtbar, sich neben den maßgeblichen Figuren der rechten europäischen Anti-Establishment-Parteien einzureihen. Ich glaube, dass Bachmann die bürgerliche Mitte aufgegeben hat, auf die Pegida noch bis in den Januar hinein zielte. Der Ton in der Zuwanderungsdebatte, vor allem bei der Zuwanderung von Migranten muslimischen Glaubens, wird jetzt noch einmal erheblich verschärft.
Sie haben den Auftritt von Stadtkewitz erwähnt. Wofür steht der Mann?
Stadtkewitz ist ehemaliges CDU-Mitglied und hat sich von seiner Partei inhaltlich entfernt, als die Union vor mehr als zehn Jahren den Kurs in die Mitte erfolgreich begann. Zu diesem Zeitpunkt war die Debatte um eine deutsche Leitkultur in der Union bereits Geschichte. Stadtkewitz macht eine solche Leitkultur zum vorausgesetzten Maßstab der Integration. Er unterstellt, dass der Islam sich nicht mit dieser Kultur verträgt, weil er eine politische Religion ist, die darauf aus ist, zu herrschen. Weit vor Pegida hat er sich schon gegen den Bau von Moscheen in Berlin ausgesprochen. Er ist ein ausgewiesener Kritiker des Islam.
Festerling hat die Unterscheidung von Islam und Islamismus auch aufgegeben?
Frau Festerling hat erst kürzlich in einem Interview für Blu-News noch einmal explizit herausgestellt, dass sie keinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus erkennen kann. Der Islamismus wird in einer solchen Sichtweise als authentische, nicht als abweichende oder falsche Interpretation des Korans dargestellt.
Auch Götz Kubitschek hat solche Thesen bei seinem Auftritt in Dresden vertreten. Welches Bild einer Gesellschaft verbirgt sich dahinter?
Kubitschek, der in Dresden und in Leipzig bei Legida geredet hat, setzt in seinen Reden unter anderem ein homogenes Volk voraus, dessen Identität sich nicht primär kulturell oder über Werte definiert, sondern vor allem über eine Abstammungsgemeinschaft. Er vertritt auch die These der ethnokulturellen Nähe zwischen Völkern. Danach gibt es Ethnien, denen aus seiner Sicht die Integration – Kubitschek selbst spricht von Assimilation – in das deutsche Volk kaum gelingen werde. Und wenn überhaupt, dann wären sie immer Bürger zweiter Klasse, weil sie dem Verdacht unterliegen, in Krisenzeiten nicht die notwendige Identifikation mit der neuen Heimat aufbringen zu können.
Diese Position ist eng verbunden mit einer Vorverurteilung von Angehörigen der muslimischen Glaubensgemeinschaft. Sie seien als Muslime per se nicht in der Lage, hier friedlich zu leben. So wird an sie zwar die Forderung gestellt, sich an das eine deutsche Volk anzupassen. Diese Einheit gibt es so aber gar nicht. Die Anhänger solcher Thesen meinen zudem sehr genau zu wissen, was das deutsche Volk wirklich will.
Das wird bei den Demonstrationen auch immer deutlich gemacht und es ist mit klaren Forderungen an die Politik verbunden. Die direkte Demokratie ist zum großen Schlagwort geworden.
Ansichten, dass Politiker zuhören sollen und dann prompt liefern müssen, dass Politiker unsere Angestellten seien, offenbaren ein Demokratieverständnis, das in der politischen Theorie wohl noch am ehesten mit einem identitären Demokratieverständnis bezeichnet werden kann. Das heißt, dass zwischen Regierung und Regierten eine nahezu vollkommene Identität besteht, es zumindest aber in den Werten und Interessen keine substantiellen Differenzen zwischen Volk und Politikern gibt. Wenn das Volk auf der Straße sagt „Ich will“, dann ist das keine Artikulation von Interessen, die mit anderen, ebenfalls artikulierten Interessen in Kompromissen verschmolzen werden muss, sondern dann ist das eine ganz klare Weisung – ein Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber und abhängigem Auftragnehmer.
Wie funktioniert eine solche Gesellschaft?
Im Gesellschaftsvertrag von Jean-Jacques Rousseau funktioniert so etwas nur in kleinräumigen Gebieten mit einer überschaubaren Bevölkerung, die sich noch auf dem Marktplatz versammeln kann. Die Bevölkerung muss sehr homogen sein, die Kluft zwischen arm und reich darf nicht sehr groß sein, die politisch-kulturellen Ansichten dürfen nicht sehr weit auseinander gehen. Wenn aber nicht alle die gleiche Auffassung davon haben, was ein gutes Leben ist, mit welchen Werten man durch das Leben geht, wann und wen man zu heiraten hat, wie man seine Sexualität definiert, wie man sein Verhältnis zur Religion definiert – dann stößt das identitäre Demokratieverständnis schnell an seine Grenzen.
Gibt es im identitären Demokratieansatz einen Mechanismus zum Interessenausgleich?
Ja, gibt es. Aber diese Mechanismen sind viel weniger komplex. Bei Rousseau trifft sich das Volk auf dem Marktplatz. Jede Stimme darf nur als einzelne Stimme gleich viel gelten und trägt auch nur auf diese Weise zum Gemeinwohl bei. Keinesfalls dürfen sich in Willensbildungsprozessen Interessengruppen formieren, die Macht akkumulieren und damit die Erkenntnis des Gemeinwohls zu ihren Gunsten verfälschen. Aber er kannte auch die Grenzen dieses Modells.
Immer wieder wird die Schweiz als Demokratie-Vorbild bemüht. Zu recht?
Die hier verbreiteten Vorstellungen von der direkten Demokratie sind am Ende sehr plakativ. Auch darüber, wie direkte Demokratie in der Schweiz funktioniert, existieren oft nur schemenhafte, aber sehr positiv besetzte Vorstellungen. Vielleicht sind diese Vorstellungen sogar zu recht positiv besetzt. Die Schweiz ist jedoch auch eine repräsentative Demokratie, in der die parlamentarischen Willensbildungsprozesse durch direktdemokratische Instrumente ergänzt werden.
Aber auch in Deutschland werden Bürgerentscheide befürwortet.
Der Erfolg direkter Demokratie beruht auf einer sehr voraussetzungsreichen politischen Kultur. Direkte Demokratie kann sehr anstrengend sein. Politik besteht aus Streit. Aber auf einer gemeinsamen Grundlage. Man muss die Meinung des anderen aushalten. Man muss fundamental andere Positionen aushalten können. In der Dresdner Stadtgesellschaft aber wird der Gegner viel zu häufig dämonisiert, als der Feind betrachtet, mit dem es keine gemeinsame Grundlage gibt. Das ist ein Anhaltspunkt dafür, wie reif zumindest Dresden für direktdemokratische Elemente zu sein scheint. Wenn Meinungsunterschiede dazu führen, dass das politische Gegenüber als Mensch in Frage gestellt wird, als Person pauschalisierend als „links-grün-versifft“ oder als „Nazi“ bezeichnet wird, dann muss man diagnostizieren: Das wird wohl erst mal nichts mit direkter Demokratie.
Ist diese Aussicht nicht zu pessimistisch?
Unter solchen Voraussetzungen wird jedes einzelne Plebiszit immer gleich zu einem Test über den Zusammenhalt der politischen Gemeinschaft. Wenn sich die Stadtgesellschaft jedes Mal so polarisiert und Dresden an den Rand einer gewaltsamen Auseinandersetzung gedrängt wird, sollte man über die Forderung nach mehr direktdemokratischer Beteiligung noch einmal genauer nachdenken. Denn dann stärkt die direkte Demokratie nicht den Zusammenhalt, sondern bedroht ihn.
Vielen Dank für das Gespräch.