Die meisten haben ihn gar nicht erkannt. Mitten unter den 300 Teilnehmern der zweiten Diskussionsrunde „Warum (nicht) zu Pegida gehen?“ saß Sigmar Gabriel. Im blauen Sweatshirt, ohne weißes Hemd und Krawatte, fiel er nicht weiter auf. „Ich war privat in der Nähe“, erzählte ein sehr entspannter Bundeswirtschaftsminister. „Vor ein paar Wochen habe ich Frank Richter getroffen. Ich finde seine Idee gut, die Leute im Dialog zusammenzuführen“, meinte Gabriel. Heute wollte er zuhören. Das hielt er auch die gesamte Veranstaltung durch.
Danach gab es dann vor dem Saal eine extra Runde Pegida und Gabriel. Als Kickboxer Ingolf, der auch im Saal schon geredet hatte, zu Gabriel sagte, dass die Behörden in Berlin dafür gesorgt haben, dass die Weihnachtsmärkte in Wintermärkte umbenannt werden, widersprach Gabriel sehr volkstümlich und bot eine Wette an. „Ein Bier“, sagte er, „aber ich trinke ein Gr0ßes“. Die Geschichte stimmt nicht. Das Bier wird Gabriel gewinnen, mehrere Journalisten haben dieses auf Pegida-Demos in Dresden laut beklatschte Gerücht in Berlin recherchiert und widerlegt.
Die Polizei handelt doch sowieso nur um Auftrag der Politik, hält Kickboxer Ingolf dem SPD-Bundesvorsitzenden vor und erzählt von einem Maulkorb, der der Dresdner Kriminalpolizei bei den Ermittlungen zum Mord an dem Asylbewerber aus Eritrea verordnet worden sei. Nein, meint Gabriel, die Polizei handelt im Auftrag des Rechtsstaats. Sie hat den Täter ermittelt und dann die Öffentlichkeit informiert. Kickboxer Ingolf weiß es besser. Er habe schon am Dienstag gewusst, wer der Täter ist, nur habe die Polizei das verheimlicht. „Am Dienstag“, wirft ein Reporter in die Runde, „habe ich den noch bei meinen Recherchen in der Wohnung der Asylbewerber gesehen“. Erst am Donnerstag haben die Ermittler einen 26-jährigen Mitbewohner aus Eritrea festgenommen. Sie hatten ihn anhand von Spuren an der Tatwaffe überführt. Kurz danach gab es eine Pressemitteilung der Dresdner Staatsanwaltschaft. Kurz zuvor hatte bild.de schon vorab berichtet, dass der Täter gefasst sei, kurz danach mehrere Dresdner Medien online die Nachricht verbreitet und mit eigenen Rechercheergebnissen ergänzt.
Gabriel machte die wohl eher seltene Erfahrung, dass er kaum zu Wort kommt. „Sie sollten Politiker werden, die lassen die anderen auch nicht ausreden“, versuchte er Ingolfs Redefluss zu bremsen. Es sah auch am Ende des Gesprächs vor dem Saal im Dresdner Stadtmuseum nicht so aus, als hätte der eine den anderen überzeugt. Besonders nicht beim Thema, wie arabische Großfamilien ganze Stadtteile und Städte in Deutschland beherrschen. „Ich habe mehrere Jahre in Berlin gelebt“, versucht Ingolf den Vizekanzler zu überzeugen. Gabriel kennt das Problem. Aber, so argumentiert er, es ist keine deutschlandweite Gefahr und wir begegnen ihr mit den Mitteln unseres Rechtsstaates.
Das ist etwas, was ihn richtig gewurmt hat. Die Bundesrepublik wurde von mehreren Pegida-Sympathisanten mit dem DDR-System verglichen, mit Sätzen wie „das ist heute wie damals in der DDR“. Oder „damals bekam man wenigstens eine Antwort auf eine Staatsratseingabe“ – heute wird nicht mehr geantwortet. Das, so formuliert Gabriel zurückhaltend, findet er schon „sehr bemerkenswert“.
Die Dialogveranstaltung hat ihm gefallen. „Mit Menschen, die Sorgen haben, sollte man tabulos reden. Wir müssen ja nicht gleich den Argumenten folgen“, sagte Gabriel. Hinter dem Namen Pegida verbirgt sich für ihn schon ein Programm. Und er findet es gut, dass das in der Debatte auch in Frage gestellt wurde. „Ich bestreite, dass man aus einer Erfahrung heraus eine solche Formel wie Pegida ableiten kann“, sagte Gabriel. „Das stimmt mit meiner Lebenserfahrung nicht überein.“ Erstmals suchte mit Gabriel ein Bundespolitiker das direkte Gespräch mit Pegida-Anhängern.