Die Frage nach dem Wer und Warum bei den Pegida-Demonstrationen in Dresden ist längst auch bei den Wissenschaftlern angekommen. Forscher aus Berlin, Göttingen und der TU Dresden versuchen vor Ort auf den Demonstrationen verwertbare empirische Daten zusammenzutragen. So war der Berliner Soziologe Dieter Rucht am vergangenen Montag mit 50 Mitarbeitern in Dresden. Wissenschaftler vom Göttinger Institut für Demokratieforschung führten Befragungen durch. Beide Forscherteams arbeiten parallel mit Onlineumfragen.
Diesen Weg ist ein Team um den Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer nicht gegangen. Sie haben ausschließlich auf Interviews vor Ort gesetzt und waren am vergangenen Montag bereits zum dritten Mal unterwegs. Nach rund 400 erfolgreichen Interviews haben sie heute die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentiert. Damit gibt es zum ersten Mal einen wissenschaftlichen Blick auf Pegida-Bewegung, der auf verlässlich erhobenen Daten beruht.
„Der „typische“ PEGIDA-Demonstrant entstammt der Mittelschicht, ist gut ausgebildet, berufstätig, verfügt über ein für sächsische Verhältnisse leicht überdurchschnittliches Nettoeinkommen, ist 48 Jahre alt, männlich, gehört keiner Konfession an, weist keine Parteiverbundenheit auf und stammt aus Dresden oder Sachsen.“
>> Die Ergebnisse der Studie (.pdf)
Vorländer bezeichnete die Ergebnisse „bemerkenswert“, weil sie mit der weit verbreiteten Auffassung aufräumen, dass in Dresden am Montag Abend die Verlierer und an den Rand Gedrängten unterwegs seien. Die Pegida-Demonstranten kommen aus der Mittelschicht, sind gut gebildet und überwiegend berufstätig. Es handele sich hier nicht um Rechtsextreme, Rentner und Arbeitslose, so Vorländer.
Ein Drittel Dresdner, ein Drittel aus Sachsen
Die Befragten haben, so ein weiteres Ergebnis der Untersuchung, ein Nettoeinkommen, das leicht über dem Sachsen-Durchschnitt liegt. Bemerkenswert sei der Anteil derjenigen, die mehr als 2500 Euro Netto in der Tasche haben – 20 Prozent unter den Befragten, während es sachsenweit nur 6 Prozent seien. Dies korrespondiere mit dem überdurchschnittlichen Anteil von Befragten mit Hochschulabschluss, hinzu kämen diejenigen mit Meisterabschluss, erläutert Steven Schäller, einer der beiden Untersuchungsleiter. „Wir haben hier richtig gut verdienende Selbständige getroffen“, meinte er.
Die Untersuchung bestätigte die Vermutung, dass sich die Landeshauptstadt zum Pegida-Sammelpunkt entwickle. Rund 36 Prozent der Demo-Teilnehmer kommen aus Dresden und der unmittelbaren Umgebung, weitere 38 Prozent reisen Montag Abend aus ganz Sachsen an. Neun Prozent der Demonstranten kommen aus Ostdeutschland und sechs aus Westdeutschland. Der Rest der Befragten hatte keine Angaben zur Herkunft gemacht.
Hauptmotiv der Pegida-Anhänger: Unzufriedenheit mit der Politik
Die Kernaussage ist eindeutig. Das Hauptmotiv für die Teilnahme an den Pegida-Demonstrationen ist eine generelle Unzufriedenheit mit der Politik. 52 Prozent äußerten dies. Für weitere 20 Prozent ist die Kritik an den Medien und der öffentlichen Meinung ein Grund, zu demonstrieren. An dritter Stelle folgen Ressentiments gegen Zuwanderer und Asylbewerber.
Insgesamt haben nur ein Viertel aller Befragten „Islam, Islamismus oder Islamisierung“ als Teilnahmegrund genannt.
„Auch wenn sich Pegida dem Namen nach gegen die Islamisierung des Abendlandes wendet, sind die Kundgebungen für die Mehrheit der Teilnehmer in erster Linie eine Möglichkeit, tief empfundene, bisher nicht öffentlich artikulierte Ressentiments gegenüber politischer und meinungsbildender Elite zum Ausdruck zu bringen“, so das Resümé der Wissenschaftler.
Rechtspopulistisch und ausländerfeindlich
Die Gegenüberstellung von „Die da oben“ und „Wir hier unten“ werde in Kombination mit fremdenfeindlichen Einstellungen traditionell zum rhetorischen Arsenal rechtspopulistischer Strömungen gerechnet. Die 15 Prozent der Befragten, deren Teilnahmemotiv grundlegende Vorbehalte gegenüber Zuwandern und Asylbewerbern sind, ordnet Schäller der klassischen ausländerfeindlichen Kategorie zu.
Bei den Teilnahme-Motiven, so erklärt er, habe es keine vorgefertigten Antwortmöglichkeiten gegeben. Die Befragten hätten hier ihre Gründe aufgezählt. Bei der Auswertung seien die Äußerungen dann klassifiziert worden. Sozialneid, Angst vor Überfremdung und die Vorbehalte gegen Muslime und Angst vor hoher Kriminalität von Asylbewerbern sind hier oft genannte Argumente.
Eine Fortsetzung der Befragungen von Pegida-Demonstranten sei derzeit nicht geplant, sagt Schäller. Ideal wären jetzt ausführliche Gespräche, sogenannte „qualitiative Interviews“ mit den Demo-Teilnehmern und vor allem den Mitgliedern des Orga-Teams. Auf jeden Fall würden die Wissenschaftler weiter vor Ort sein. Und dann kommt Schäller im Gespräch noch einmal auf die Befragungsmethode zurück. „Wir haben uns an die Zugänge gestellt und vor Beginn der Reden die Leute befragt. 1.200 wurden angesprochen, 400 haben geantwortet.“ Die Zahl erlaube verlässliche Schlussfolgerungen, betont er. Eine einzige mögliche Verzerrung räumt er ein. Aus dem „sogenannten schwarzen Block“ habe sich kaum einer für ein Interview gefunden. Das sei aber auch keine Mehrheit unter den Teilnehmern.
Mit Interesse wartet man nun auch in Dresden auf die Untersuchungsergebnisse der Forscher aus Berlin und Göttingen. Soziologe Rucht hatte bereits ein Ergebnis bekannt gegeben – ein Teil seiner Mitarbeiter hat gezählt und ist am Montag auf 17.000 gekommen. Die Polizei nannte 25.000 Teilnehmer, Pegida gar 40.000. Darüber hinaus seien Handzettel verteilt worden, um auf die Onlinebefragung aufmerksam zu machen.
Keine der Untersuchungen wird jedoch zum jetzigen Zeitpunkt eine genaue Prognose zur Zukunft der Pegida-Bewegung äußern. Das, so Politikwissenschaftler Vorländer, kann auch die heute vorgestellte Untersuchung nicht beantworten.
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