Thema: Wahlen 2015

Festerling Tatjana

OB-Kandidatin Tatjana Festerling: Ein gut zweistelliges Ergebnis wäre eine Überraschung

Nach drei Mailanfragen sagt Tatjana Festerling einen Interviewtermin zu. „Wahlkampfstress“, meinte sie. Wir treffen uns am Neumarkt, im Freiberger Schankhaus. Die OB-Kandidatin hat schon per Telefon angekündigt, dass sie sich um 30 Minuten verspätet, weil sie noch Plakate aufhängt. Dann fährt sie mit dem Kleintransporter mit der großen Festerling-Werbung vor.

Die Online-Journale menschen-in-dresden.de und neustadt-geflüster.de haben alle Bewerber zum Interview eingeladen. Alle sechs Kandidaten haben zugesagt.

Warum treten Sie als Einzelbewerberin an und nicht als von Pegida nominierte Kandidatin?

Pegida ist keine Wählervereinigung und keine Partei, also kann dort demokratisch kein Kandidat aufgestellt werden.

Festerling Tatjana

Zur OB-Wahl zugelassen: Tatjana Festerling nach der Sitzung des Gemeindewahlausschusses mit ihren Vertrauensleuten Norbert Mayer (l.) und Pegida-Chef Lutz Bachmann. Foto: W. Schenk

Stand die Gründung einer Wählervereinigung überhaupt nicht zur Debatte?

Nein, das war nicht gewollt. Und in der Kürze der Zeit auch nicht machbar. Es ist aber auch gerade das Gegenkonzept zu den von den Parteien nominierten Kandidaten, als freie und parteiunabhängige Kandidatin anzutreten.

Das sagen auch andere von sich und haben das „unabhängige“ auch im Vereinsnamen.

Ganz ehrlich, lässt Herr Hilbert seine Mitgliedschaft jetzt sieben Jahre lang ruhen?

Welchen Vorteil hat es, nicht zu einer Partei zu gehören?

Ich glaube, dass das Vertrauen der Menschen in die Parteien und die repräsentative Demokratie zutiefst erschüttert ist. Parteien sind aufgeblasene Organisationen, in denen parteipolitischer Proporz herrscht und Parteilinien befolgt werden müssen. Im Grund kann nur eine parteilose Einzelkandidatur das Gegenmodell bilden, als Kandidat aus dem Volk heraus. Das hat natürlich auch Nachteile. Das sieht man jetzt im Wahlkampf. Wir haben keinen Parteiapparat hinter uns. Dafür aber tausende Unterstützer.

Was heißt, aus dem Volk heraus?

Wenn eine Kandidatin 1002 Unterstützerunterschriften bekommt, dann finde ich schon, dass man das sagen kann. So schnell wurden in Dresden noch nie so viele Unterstützerunterschriften abgegeben. Das rege und erwachte Interesse an Politik ist doch total begrüßenswert.

Wenn Sie sagen, das Volk hat das Vertrauen in die repräsentative Demokratie verloren, wie ist es bei Ihnen. Glauben Sie selbst auch nicht mehr an die repräsentative Demokratie?

Ich glaube, es ist eine Riesengefahr, in der wir uns derzeit befinden. Wenn wir nicht aufwachen und zurückfinden zu echter Volksvertretung, dann ist es wirklich eine Gefahr für die repräsentative Demokratie. In Dresden werden sogar Bürgerbegehren vom Stadtrat ignoriert. In Hamburg wird versucht, Volksabstimmungen auszuhebeln. Die Stadt ist wegen Olympia tief gespalten.

Nochmal, ist die repräsentative Demokratie für Sie noch das Gesellschaftsmodell, dass Sie für vernünftig halten?

Ja, natürlich.

Festerling Tatjana

Kandidaten-Interview mit Tatjana Festerling im Freiberger Schankhaus am Neumarkt. Jan Fintert (r.) und Winfried Schenk. Foto: Frank Dehlis/Dehli News

Sie haben die Dresdner aufgerufen, am Sonntag als Wahlbeobachter zur Stimmenauszählung zu gehen. Befürchten Sie, dass die Wahlergebnisse gefälscht werden können?

Auf jeden Fall. Da können Sie jeden fragen, der zu den Pegida-Veranstaltungen kommt. Ich habe jetzt viele Wahlveranstaltungen besucht. Das Misstrauen ist riesengroß. Ich sehe die Gefahr ganz real. Es kommen Leute aus ganz Deutschland her, um uns als Wahlbeobachter zu unterstützen. Wichtig ist auch die Briefwahlauszählung.

Mit wieviel Stimmen rechnen Sie?

Zahlenspiele will ich eigentlich nicht machen. Wenn es gelingt, die Nichtwähler und die Protestwähler der etablierten Parteien zu mobilisieren, kann ich mir schon vorstellen, dass es zu einer Überraschung kommt.

Was wäre für Sie eine Überraschung? Ein zweistelliges Ergebnis?

Gut zweistellig. Aber mehr sage ich nicht.

Was sagen Sie Ihren Wählern, wenn sie im zweiten Wahlgang nicht mehr antreten. Sollen sie dann zu Hause bleiben?

Dazu will ich jetzt noch nichts sagen. Wir werden das Ergebnis vom Sonntag auswerten und dann entscheiden.

Wie hoch ist jetzt ihr Spendentopf für den Wahlkampf?

Mehr als 30.000 Euro sind zusammengekommen. Das Geld wird nur für den Wahlkampf benutzt. Da wache ich drüber. Ich will mir hinterher keine Vorwürfe machen lassen.

Seit acht Monaten ist Pegida in Dresden unterwegs. Mehr direkte Demokratie wurde auf jeder Veranstaltung lautstark gefordert. Warum hat Pegida bis heute keine Taten folgen lassen und ein Bürgerbegehren in Dresden auf den Weg gebracht?

Es liefen ja zwei Bürgerbegehren, zur Königsbrücker und zu den verkaufsoffenen Sonntagen. Pegida ist nicht untätig gewesen. Es gibt ein Bürgerbegehren in Oberlungwitz, in Chemnitz wird eines vorbereitet. Und wir bereiten eine Oberbürgermeister-Kandidatur vor. Das ist doch wie ein Volksentscheid.

Wie erklären Sie sich, dass der Zulauf zu Pegida in Dresden so groß ist?

Ich glaube, dass es ein Riesenvorteil und eben kein Nachteil für die Dresdner war, dass sie hier kein Westfernsehen gesehen haben. Die Menschen hier haben darum gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen, das zu interpretieren, was berichtet wird. Das ist auch so geblieben. Das höre ich immer wieder, wenn ich mich mit Leute hier unterhalte. Die Antennen sind hier noch viel sensibler, wenn es um die Einschränkung von Freiheiten geht. Das ist im Westen fast verloren gegangen. In Leipzig war eine ganz andere Situation. Ich war Anfang Januar dort zur Legida-Demo. Dort ist uns ein irrationaler und ungehemmter Hass entgegen geschlagen. Das werde ich nicht vergessen.

Sie selbst teilen auch nicht gerade zaghaft aus. Politiker aus anderen Parteien werden, teilweise nicht jugendfrei, beschimpft und diffamiert. Sie benutzen auch ein Vokabular, das sehr aggressiv ist.

Ich gebe zu, dass ich in vielen Reden überspitze. Das ist klar. Aber gilt dieses Recht nur für die andere Seite? Ist es weniger aggressiv, wenn man pauschal als Nazi oder Rassist beschimpft wird? Das kann man mal auf Augenhöhe erwidern.

Was ist für Sie ausländerfeindlich?

Wenn ich alles ablehne, was aus dem Ausland kommt, wenn ich nicht mehr differenziere. Ich habe viel Zeit im Ausland verbracht, auch in Afrika und Indien. Ich habe ein großes Interesse an anderen Kulturen. Ich bin nicht ausländerfeindlich.

Meinen Sie, dass das auch für die Pegida-Anhänger gilt, die jeden Montag auf die Straße gehen? Gilt für sie auch, dass sie ein großes Interesse an anderen Kulturen haben?

Ein Interesse sicher. Aber wir müssen deshalb nicht alle Kulturen hierher einladen. Wir müssen deshalb nicht die Scheunentore aufmachen für die, die hier gar nicht hergehören.

Festerling Tatjana

Tatjana Festerling beim SZ-Wahlforum am 2. Juni. Wie Stefan Vogel und Lara Liqueur war sie nicht auf das Podium eingeladen worden. Da saßen Eva-Maria Stange, Markus Ulbig und Dirk Hilbert. Foto: W. Schenk

Wer gehört aus Ihrer Sicht nicht hier her?

Es gibt die Genfer Flüchtlingskonvention, die sagt, wer Flüchtling ist. Und es gibt den subsidiären Schutz, der erweitert diesen Flüchtlingsbegriff noch einmal. Damit ist klar, wer hierher kommen kann. Alles andere ist Zuwanderung. Und bei der dürfen wir als Hochleistungskultur auch Ansprüche stellen und nach einem qualitativen Punktesystem auswählen. Das ist nicht ausländerfeindlich, sondern einfach vernünftig. Dazu will ich auch noch folgendes sagen: Wie soll ich als Stadtrat hier Politik machen, wenn die Stadt von oben, von einem Bundesamt, vollkommen unkalkulierbar immer mehr Flüchtlinge zugewiesen bekommt. Da kann man weder langfristig noch mittelfristig planen. Da ist man als Stadt entmachtet und hat keinen Einfluss.

Sie haben in Pappritz eine Asylunterkunft besucht. Was haben sie gesehen?

Ja, ich habe mir das angeschaut. Da sind Menschen aus Serbien, aus dem Kosovo, aus Libanon, der Türkei, aus Marokko und Tunesien, ein Venezolaner lebt dort. Das sind sichere Drittländer. In vielen dieser Länder machen wir Urlaub. Was ist sozial kalt daran, wenn wir diese Menschen wie Einwanderer und nicht wie Flüchtlinge behandeln.

Wie soll die Stadt mit den Asylbewerbern, die jetzt hier sind, menschenwürdig umgehen? Sie haben den Ersten Bürgermeister Hilbert dafür kritisert, dass er Beschäftigungsmöglichkeiten für Flüchtlinge sucht und wurden mit Buhrufen der Demonstranten unterstützt.

Ich habe gefordert, dass Hilbert genau sagt, was das für Jobs sind, was die Menschen tun sollen. Zuvor sollen aber Sprachkurse stattfinden. Mit der Aufforderung an Dresdner Unternehmen, solche Kurse zu organisieren, hat er sich gleich ein Hintertürchen offengelassen. Es gibt in Deutschland nicht genug Jobs, besonders keine mit niedriger Qualifikation und im niedrigen Lohnsektor.

Was würden Sie tun, um Asylbewerber zu integrieren?

Erst einmal ist es die Frage, ober das immer nur eine Bringeschuld ist. Wir integrieren uns hier seit Jahren zu Tode. Wir haben keine Konzepte für die Integration. Das zweite ist, wir haben viel zu viele Asylbewerber hier. Wenn man das Asylrecht konsequent anwendet, dann haben wir ganz andere Kapazitäten für die echten Flüchtlinge. Die haben auch eine ganz andere Einstellung zur Integration.

Neben dem Misstrauen in Parteien und Demokratie und die Kritik am Umgang mit dem Asylrecht, welche Themen sind Ihnen im Wahlkampf noch begegnet?

Die Angst vor der Islamisierung. Die Menschen wollen nicht, dass wir hier ein Stadtbild haben wie in Berlin, Dortmund, Essen oder auch in Hamburg. Wir wollen nicht solange warten und uns dann erst wehren. Wir wollen keine Sonderrechte für den Islam. Wir wollen keine Muezzine, die mehrmals am Tag von Minaretten krähen.

Was geschieht nach dem 7. Juni. Wie geht es weiter mit Pegida?

Wir wollen jetzt keine Partei gründen. Warum auch. Es ist so viel im Fluss. Wir haben keine Eile.

Wie wollen Sie das Interesse ihrer Anhänger langfristig aufrecht erhalten?

Wir machen uns natürlich Gedanken darüber, wie die Montagskundgebungen weiterentwickelt werden. Der Montag ist für viele Menschen sehr wichtig. Für die, die an der heutigen Gesellschaft eher verzweifeln, ist der Montag wie eine Therapiestunde. Unsere Stärke war immer, Ruhe zu bewahren. Das werden wir jetzt nicht aufgeben – auch wenn  viele uns auf etwas festnageln wollen. Die weiteren Entwicklungsstufen werden wir uns im Pegida-Orgateam gemeinsam gründlich überlegen.

Sie kennen die Äußerungen von Pegida-Chef Lutz Bachmann über Asylbewerber und Flüchtlinge. Ist das auch Ihr Wortschatz?

Sie meinen „Gelumpe“ und „Viehzeug“? Er hat mir das erklärt und auf Stammtisch-Gespräche verwiesen. Das akzeptiere ich.

Ich habe solche Worte noch nicht benutzt.

Ich auch nicht. Das ist nicht mein Wortschatz. Ich würde mich so auch nicht ausdrücken.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview entstand in Kooperation mit Jan Frintert, Neustadt-Geflüster. Den Beitrag gibt es hier. Die Fotos macht Frank Dehlis von dehli-news.de