Seit dem Frühsommer 2015 stand das Gerücht im Raum, dass PEGIDA über eine Parteigründung nachdenkt. Von den eigenen Anhängern immer wieder thematisiert, war die Ankündigung spätestens seit dem relativen Erfolg von Tatjana Festerling bei der Wahl des Dresdner Oberbürgermeisters scheinbar unausweichlich. Nach einem träge sich dahin schleppenden Sommer mit teilweise sehr geringen Mobilisierungszahlen und der „sächsischen Städtetournee“ zwischen Chemnitz, Leipzig und Dresden verkündete Lutz Bachmann auf der PEGIDA-Kundgebung am 14. September 2015 die Entscheidung, eine Parteigründung in Angriff nehmen zu wollen. Was bedeutet diese Ankündigung für die anderen Parteien in Bund, Land und Kommunen? Müssen sie sich Sorgen machen um die neue Konkurrenz, die ihnen die Wähler reihenweise abziehen werde?
Konkurrenzen zwischen AfD, NPD und PEGIDA
Steven Schäller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der TU Dresden. Er ist Co-Autor der ersten Umfrage unter PEGIDA-Teilnehmern. In Kürze wird ein Buch mit dem Titel „PEGIDA. Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung“ im Verlag Springer VS erscheinen, das Steven Schäller zusammen mit Maik Herold und Hans Vorländer verfasst hat.
Zunächst einmal legen die von PEGIDA vertretenen Positionen in den Reden auf den Kundgebungen und den Positionspapieren nahe, dass sich die Bewegung als eine einmal gegründete Partei rechts von der CDU positionieren wird. Dort trifft sie in ihrem unmittelbaren Umfeld, also in Sachsen, auf eine vergleichsweise starke AfD und die ehemals im Sächsischen Landtag vertretenen Nationaldemokraten von der NPD. Zwischen diesen beiden Parteien sucht PEGIDA schon seit längerem eine Nische, die durch die jüngeren Entwicklungen in der AfD – Stichwort ist hier die Stärkung des nationalkonservativen Flügels nach dem Essener Parteitag im Juli 2015 – nicht gerade größer geworden ist. Denn auf der anderen Seite meinten sich auch die sächsische und die Dresdner NPD durch die zunehmenden Flüchtlingszahlen im Sommer 2015 wieder im Aufwind sehen zu können. Die Nationaldemokraten mobilisieren mit ähnlichen Themen wie jenen bei PEGIDA, zum Beispiel am 24. Juli 2015 in der Bremer Straße, und versuchen so, im Windschatten von PEGIDA öffentliche Präsenz zu erzielen.
Insbesondere Lutz Bachmann steuert in seinen Reden und auf seinem öffentlichen Facebook-Profil einen Kurs der Abgrenzung gegenüber AfD und NPD, der im Wesentlichen darin besteht, einerseits die AfD nicht als ‚echte‘ Alternative für eine von der Straße kommende Bürgerbewegung erscheinen zu lassen, da diese sich den Mechanismen einer Parteiendemokratie bereits allfällig angepasst habe: Machtkämpfe um Posten und Einfluss sowie das Lavieren in inhaltlichen Fragen ließen die AfD als Teil eines Systems erscheinen, gegen welches sich der Protest von PEGIDA richte. Andererseits sei die NPD auch kein angemessenes Vehikel der Interessen von PEGIDA als einer Bürgerbewegung, weil ja gerade die NPD eine „Verfassungsschutz-Partei“ sei, die ganz offenkundig von oben gesteuert werde. Praktisch äußert sich der Abgrenzungskurs dann darin, dass PEGIDA nicht – wie die NPD – vor Flüchtlingsheimen demonstriert, sondern den Protest gegen „Fehlpolitik“ friedlich auf die Straße und vor den Sächsischen Landtag tragen möchte. Und er äußert sich darin, dass sich PEGIDA – im Gegensatz zur AfD – als ‚echte‘ Vertreterin des Bürgerwillens inszeniert, die dort Klartext zu sprechen meint, wo Parteien und Medien dies nicht mehr könnten oder wollten. Wird nun aber dieser Abgrenzungskurs absehbaren Erfolg haben können?
Umfragedaten und die Aussichten im Bund
Legt man bundesweite Umfragedaten zugrunde, so zeigt sich ein zwiespältiges Bild: Im Bund erscheinen die Aussichten von PEGIDA eher gering. Auf Ebene der Bundesländer darf sich PEGIDA im Osten zumindest einige Hoffnungen machen, insbesondere in Sachsen. Ergänzt wird dieses Bild durch punktuell mögliche Erfolge bei Kommunalwahlen dort, wo PEGIDA und ihr nahe stehende Bürgerinitiativen in den Gemeinden gut vernetzt sind.
Doch zunächst zu den Aussichten für PEGIDA im Bund: Seit die Bewegung im Oktober 2014 auf die Straße gegangen ist und bis zum Januar 2015 ein – auch in kritischer Hinsicht – außergewöhnliches Medienecho fand, hat sich einiges bewegt. So wurden mit der Zuwanderung und der Integration jene Kontroversen erneut auf die Agenda der Parteien gehoben, die wegen des großkoalitionären status quo lange Zeit nicht verhandelbar waren.
Des Weiteren sind die von PEGIDA seit dem Herbst 2014 dunkel-raunend angekündigten „Flüchtlingsmassen“ im Sommer 2015 in Europa eingetroffen und mit ihnen auch ein Teil jener Probleme, die PEGIDA ebenfalls vorhergesehen haben will: mangelnde Kapazitäten (aufgrund schlechter politischer Planung), bedrückende Enge in den Erstaufnahmelagern mit der Folge immer wieder aufflammender, kulturell und ethnisch grundierter gewaltsamer Konflikte. Es zeigte sich schließlich auch eine beispiellose Politisierung großer Teile der Bevölkerung, sowohl im Engagement für als auch gegen PEGIDA, die in ihrer Polarisierung auch in einer diskursiven Verschärfung mündete, die wiederum die Wahrnehmung eines in die Krise geratenen Gemeinwesens auf allen Seiten bestärkte.
Angesichts dieser Ereignisse wäre es plausibel anzunehmen, dass sich dies auch in den Wahlabsichten der Bevölkerung widerspiegelt. Dem ist jedoch nicht so (siehe Grafik). Mit Blick auf die regelmäßig gestellte „Sonntagsfrage“ der großen Umfrageinstitute (hier sind die Daten von TNS Emnid abgebildet), lässt sich zunächst vor allem eines feststellen: die Wahlabsichten der Bevölkerung für den Fall, dass am nächsten Sonntag der Bundestag neu gewählt würde, sind seit einem Jahr stabil. Die CDU/CSU schwankt zwischen 40 und 43 Prozent, die SPD liegt ebenfalls stabil bei 24 bis 25 Prozent. Ähnliches lässt sich über die kleineren Parteien sagen. Die AfD hat noch die größte Schwankungsbreite von fünf Punkten zwischen acht Prozent im Oktober 2014 und drei Prozent im August 2015 zu verzeichnen.
Es ist also vorerst nicht so, dass sich die Wähler in der Bundesrepublik in ihren Wahlabsichten durch PEGIDA verunsichern ließen. Die kommenden Monate jedoch könnten in dieser Hinsicht noch einige spannende Veränderungen bereit halten, zumal bereits jetzt die Beliebtheitswerte von Angela Merkel nach jüngsten Umfragen von TNS Infratest sinken.
Umfragedaten und die Aussichten in den Bundesländern
Auf der Ebene der Länder zeigt sich dagegen schon jetzt ein anderes Bild. Bereits bei der Wahl zum Sächsischen Landtag 2014 hat sowohl der Erfolg der AfD als auch das knappe Scheitern der NPD an der Sperrklausel vor allem eines verdeutlicht: In Sachsen gibt es rechts von der CDU ein Potential von etwa 15 Prozent plus X. Um dieses Wählerreservoir wird eine von PEGIDA ausgehende Parteigründung mit der AfD und der NPD in Sachsen konkurrieren. In anderen Bundesländern ist der von der AfD besetzte Raum rechts von der CDU deutlich kleiner, er ist sogar zum Teil auch wieder – mit Blick auf Umfragedaten aus Brandenburg – geschrumpft (siehe Grafik unten).
Einzig in Sachsen konnte die AfD ihre Unterstützung in der Wahlbevölkerung ausbauen. Dies wird unter anderem auch damit zu tun haben, dass die AfD in Sachsen von dem Erfolg Frauke Petrys auf dem Essener Bundesparteitag profitierte, aber auch von der besonderen politischen Polarisierung, die auf die wöchentlichen Demonstrationen von PEGIDA und LEGIDA maßgeblich zurückgeführt werden kann. Dass die langjährige Regierungspartei CDU unter Stanislaw Tillich, und insbesondere mit Innenminister Markus Ulbig, in dieser Konkurrenz um die besten Argumente und Positionen keine gute Figur gemacht hat, trägt dann ein Übriges zur nachlassenden Wählerbindung der CDU bei. In den anderen Bundesländern, insbesondere im Westen der Republik, dürfte es für PEGIDA deutlich schwerer werden, mit ihren Inhalten, aber auch mit organisatorischen Strukturen als erfolgreiche Parteigründung aufzutreten.
Die Zukunft: Inhalte und organisatorische Strukturen
Mit Blick auf die organisatorischen Strukturen scheint PEGIDA aus vergangenen Parteigründungen lernen zu wollen. Von den Grünen übernehmen sie augenscheinlich die Erkenntnis, dass politischer Erfolg nur durch eine Vertretung in den Parlamenten zu erreichen ist und dass dieser Weg – der vielbeschworene „Marsch durch die Institutionen“ – einen langen Atem benötigt. Von der AfD dagegen scheinen sie gelernt zu haben, dass eine erfolgreiche Parteigründung auf vorhandenen und zuverlässig arbeitenden organisatorischen Strukturen aufruhen muss. Die Vernetzungsaktivitäten der Organisatoren von PEGIDA erstens mit zahlreichen Initiativen gegen „Asylmissbrauch“ und gegen die Einrichtung von Unterkünften für Asylbewerber in Sachsen, zweitens mit den deutschlandweit verteilten PEGIDA-Ablegern und drittens auch die Versuche der Kontaktaufnahme mit den europäischen Parteien der Neuen Rechten (zum Beispiel mit der FPÖ, dem Front National und der Partij voor de Vrijheid) können als Beleg für einen planvollen Aufbau jener Strukturen gedeutet werden, die sich für eine Parteigründung als wertvolle Unterstützer, Multiplikatoren und Ideengeber erweisen.
Inhaltlich weisen die von PEGIDA vertretenen Positionen längst über den ursprünglichen und bislang immer noch namensgebenden Widerstand gegen eine „Islamisierung des Abendlandes“ hinaus. Zwar wird auch weiterhin der Islam, die Muslime und deren vermeintlich fehlende Passung zu den Grundwerten der Bundesrepublik in den Reden bei PEGIDA häufig thematisiert. Hinzugekommen sind aber mittlerweile Themen der Identitären Bewegung sowie eine Profilierung mit sozialen Themen.
So spricht Tatjana Festerling in ihren Reden in jüngerer Zeit unter anderem auch zentrale Begrifflichkeiten der Identitären Bewegung an, darunter die vermeintliche Absicht der politischen Eliten, die Deutschen „umvolken“, sprich austauschen zu wollen. Lutz Bachmann dagegen versucht für PEGIDA neue soziale Themen zu besetzen. Bereits im Winter 2014 war die Rede von prekär lebenden deutschen Rentnern, die im Gegensatz zu Asylbewerbern nicht mit staatlicher Hilfe rechnen dürften. Im September 2015 sah Bachmann, aber auch Festerling, den Mindestlohn, eine soziale Errungenschaft, durch jene Asylbewerber bedroht, denen der Arbeitsmarkt geöffnet werden soll.
Ob dies lediglich Themen sind, die tagesaktuell in den Zirkeln der PEGIDA-Organisatoren diskutiert werden, oder ob dahinter strategische Themenbesetzungen stehen, die die weitere programmatische Richtung vorgeben, muss bis auf Weiteres offen bleiben. Ebenfalls ist noch nicht klar, ob die Parteigründung tatsächlich kurz- bis mittelfristig vollzogen wird. Denn denkbar wäre ebenfalls, dass PEGIDA lediglich alle notwendigen Vorbereitungen trifft, um für vorgezogene Neuwahlen im Bund und in Sachsen gewappnet zu sein.
Eine Parteigründung könnte schließlich auch die Gelegenheit darstellen, sich vom sperrigen, wenngleich auch identitätsbildenden, Namen der Bewegung, also der „Islamisierung des Abendlandes“ zu trennen. Insbesondere die häufige Betonung des ‚Patriotismus‘ sowie die Anrufung der bei den Kundgebungen vertretenen ‚Patrioten‘ könnte hier ein Hinweis sein.