Etwa 150 Pegida-Anhänger, Pegida-Gegner und Interessierte haben gestern Abend über die Frage „Warum (nicht) zu Pegida gehen?“ diskutiert. Es gab keine Sprechchöre, keine Transparente oder „Wir sind das Volk“-Rufe. Auch die oft skandierte Gegenlosung „Pegida Rassistenpack, wir haben euch zum Kotzen satt“ fand nicht statt. Es ging differenziert zu, alle konnten ausreden, es wurde zugehört. Frank Richter, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung und einfühlsamer Moderator, hatte die Regeln vorgegeben – „keiner hat Recht“ – und mit der fishbowl-Methode auch eine ganz besondere Art der Diskussionsführung festgelegt. Vier Stühle in der Mitte an einem Tisch. Wer diskutieren wollte, konnte hier Platz nehmen. Jeder durfte von weiteren Diskutierwilligen abgeklatscht werden. So wechselten sich etwa 15 Redner gegenseitig ab.
Ein Einwohner aus Perba erklärte, wie sich die 170 Einwohner von der Verwaltung überfahren fühlten, als ihnen die Unterbringung von 50 Asylbewerbern in einem leerstehenden Plattenbau angekündigt wurde. Keine Gaststätte, keine Einkaufsmöglichkeiten, keine Kulturangebote im Dorf. „Nicht einmal die CDU-Fraktion im Landtag hat auf unsere Anfragen reagiert“, beschreibt er den Unmut der Einwohner und damit eine Kritik an der Politik, die sich in vielen anderen Beiträgen wiederholt: „Sie hören nicht zu.“ In Neukirch, so schildert es CDU-Bürgermeister Gottfried Krause, habe man beschlossen, Asylbewerber aufzunehmen, aber nur Familien. Ob das am Ende so wird, weiß er nicht. „Noch keine Antwort aus dem Landratsamt“. Eine Irakerin versucht zu erklären, warum die Angst vor einer Islamisierung unbegründet ist. Ein anderer Redner macht es ganz grundsätzlich und stellt die Frage „Was macht das Geld mit den Menschen“. Das ist ein weiterer Tenor in den Meinungsäußerungen – nicht nur im fishbowl, sondern auch auf den Pegida-Demos. Die Frage nach den Gründen für die weltweit hohe Zahl der Flüchtlinge, der Verantwortung der internationalen Politik, insbesondere der USA.
Die „Lügenpresse“ wird zwar hier nicht mit diesen Worten beschimpft, aber heftig kritisiert. Zum Beispiel für die Berichterstattung über den Ukraine-Russland-Konflikt, über Putin, über die einseitige Einordnung der Pegidisten als „Rechte“ – zumindest aus der Zeit der ersten Pegida-Demos. Elke Noack zumindest hatte das auch so empfunden. Sie geht an den Tisch in der Mitte, um zu schildern, warum sie nicht (mehr) zu Pegida geht. Weil das, so ihr Eindruck, „ganz klare ausländerfeindliche Veranstaltungen waren“. Wer später dazu gekommen ist, habe sich einfach hinter die Wortführer gesellt, statt andere Wege zu suchen, seine Meinung zu äußern.
Keiner der Redner an dem Tisch in der Mitte hat Zeit oder Lust, sich mit der Einführung von Politikwissenschaftler Werner Patzelt, TU Dresden, auseinanderzusetzen. Jeder hatte sich vorbereitet und kleine oder größere Redezettel dabei. So kam nicht wirklich eine Diskussion untereinander zustande. Das wäre aber wohl zu viel an Erwartung.
Patzelt hatte in einem einführenden Beitrag die ganze Pegida-Debatte als von Anfang an „verkorkst“ bezeichnet. Medien und Politik hätten zu schnell von Rechtsradikalen gesprochen, auf der anderen Seite sei auch die Formulierung „Kampf gegen die Islamisierung“ nicht gut gewählt gewesen. Den Journalisten bescheinigte Patzelt inzwischen eine differenziertere Wahrnehmung. Die CDU kritisierte er dafür, dass sie „zu fein geworden ist, den rechten Rand zu repäsentieren“. Rechts, so Patzelt, sei nicht rechtsradikal. Ein „besonders dummes Argument“ nannte er den geringen Anteil an Muslimen in Dresden oder Sachsen und führte als Gegenbeispiel den Kampf für den Erhalt des Regenwaldes an. „Den gibt es hier gar nicht“.
Patzelt warf der Führung der Pegida-Bewegung erhebliche Fehler vor. Sie hätten zwar 19 Thesen formuliert, diese aber auf den Kundgebungen nie zur Debatte gestellt. Außerdem, so der Politikwissenschaftler, müsse auch Pegida lernen, sich neben der Versammlungsfreiheit weiterer Mittel der Demokratie zu bedienen – im Dialog Partner finden und für Mehrheiten werben. Allein der Ruf „Wir sind das Volk“ mache einen noch nicht zur Mehrheit.
Nach mehr als zwei Stunden ließ Richter noch eine finale Meinungsrunde zu. Dann war Schluss. Richter kündigte an, dass die Landeszentrale künftig jeden ersten Dienstag im Monat zum Dialog einladen werde. Dafür gab es Beifall. Der war, so hatte man den Eindruck, von allen Beteiligten sehr ehrlich gemeint.