Nein, das ist nicht würdig. Wenn das Mikrofon automatisch ausgeht, muss der Redner seinen Satz zu Ende rufen statt sprechen. In der Videoaufzeichnung wird diese Passage zum Stummfilm. Die neue Konferenz- und Abstimmungsanlage im Plenarsaal des Rathauses offenbarte gestern ihre Tücken und sorgte für einige Misstimmung.
Die Tonqualität im Saal war miserabel. Zu leise die Redner, die Stimmen verzerrt. Und wenn das Mikro aus ist, kommt auf den 120 Gästeplätzen auf der Tribüne nichts mehr an. Bei strittigen Themen ist das dann besonders ärgerlich. Zumal der Oberbürgermeister von seinem Platz aus offenbar nicht hört, ob das Mikro an ist oder nicht. Und nicht eingreift. Zumindest gestern war dies mehrfach so.
Der Unmut der Stadträte begann schon in der Fragestunde. Standen sie früher an einem der drei Saalmikrofone, müssen sie jetzt entweder zum Rednerpult vorgehen oder vom Platz aus reden. Aber im Sitzen, weil das Mikro am Platz sonst zu weit weg ist. Das war Thomas Blümel (SPD) sichtlich unangenehm. Wie soll das erst bei den Bürger-Fragestunden werden, monierte er. Für die Gäste auf der Tribüne bleibt es ein Geheimnis, welcher der 70 Stadträte und Stadträtinnen unten im Saal gerade redet. Das gilt auch für andere Situationen – wenn Stadträte zur Geschäftsordnung oder zur Tagesordnung sprechen oder persönliche Erklärungen abgeben. Man sieht sie nicht mehr – auch nicht im Livestream oder in der Videoaufzeichnung. Dirk Hilbert verwies bei den fehlenden Saalmikros auf Brandschutzvorschriften. Es gebe aber mobile Saalmikrofone. Die allerdings nutzte keiner.
Auf ein weiteres Problem machte der fraktionslose Stadtrat Jan Kaboth aufmerksam. Er lehnte es ab, direkt neben den beiden NPD-Stadträten zu sitzen. Gestern gab ihm die CDU-Fraktion Asyl. Wenn alle da sind, geht das aber nicht mehr. Wer an der Abstimmung teilnehmen will, muss an einem entsprechenden Terminal sitzen. Diese sind in drei Sitzblöcken zu 20 – 30 – 20 Sitzplätzen angeordnet. Einen freien Platz ließe die Technik angeblich nicht zu, war zu hören. Zwischen den drei Blöcken sind Gänge. Das wiederum sorgt besonders bei der SPD für Unmut. Die neun Stadträte sitzen geteilt – vier auf der einen, fünf auf der anderen Seite eines Ganges. Eine schnelle und leise Verständigung untereinander ist so nicht möglich.
Tilo Kießling von der Linke-Fraktion ist die Abstimmungsanlage ein besonderer Dorn im Auge. In der Praxis sei es nicht möglich, dass jeder an allen Vorgesprächen beteiligt sei. Dann richte er sich bei der Abstimmung nach den „Wortführern“. Da diese nun aber nicht mehr die Hand heben, sondern einen Knopf vor sich auf dem Tisch drücken, funktioniere das nicht mehr. Außerdem, so Kießling, mache die Anlage jede Abstimmung zu einer namentlichen. Das sei in der Geschäftsordnung so nicht vorgesehen.
Die Stadträte sind besonders sauer auf die Abstimmungsanlage, weil sie diese eigentlich aus Kostengründen gestrichen hatten. Hilbert hat dann im Alleingang für deren Installation gesorgt. Per Hand abstimmen und Saal-Asstistenten auszählen lassen sei nicht zeitgemäß und der nachträgliche Einbau der Anlage zu teuer, so die Argumente. In Städten mit ähnlicher Größe hätten sich solche Anlagen bereits bewährt, sagte Rathaussprecher Kai Schulz.
„Der Automatismus ist gnadenlos“, war Hilberts Reaktion, als das Mikro zum ersten Mal am Ende einer Redezeit auf stumm schaltete. Na wenn das so ist, gibt es sicher auch einen Automatismus, um die Stummfilmpassagen mit ein bisschen Klaviermusik zu unterlegen.