Das Phänomen bleibt. Es geht nicht nur um Pegida. Mit dieser Feststellung machte Franziska Kunz heute deutlich, dass das Buch „Pegida. Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und „Wende“-Enttäuschung. Analysen im Überblick“ nicht nur eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme sein will, sondern auch ein Beitrag zum Verständnis der Entwicklung des Rechtspopulismus in Deutschland ist. Der Rückgang der Teilnehmerzahlen bei den montäglichen Pegida-Demonstrationen in Dresden sei nicht nur damit zu erklären, dass sich viele Anhänger inzwischen bei der AfD wiederfänden. „Ein Teil zieht sich zurück und versinkt in der Stille, in der er vorher war“, sagte die Wissenschaftlerin. Das latente Potenzial, das den Aufschwung der Pegida-Bewegung möglich gemacht habe, sei immer noch vorhanden.
Das heute vorgestellte Buch liefert ein Resümé des Forschungsstandes zum Phänomen Pegida und basiert auf dem Forum, zu dem die drei Herausgeber des Buches im November 2015 Wissenschaftler, Intellektuelle und Schriftsteller in die Schloßkapelle des Dresdner Residenzschlosses eingeladen hatten. „Das Buch liefert erstmals einen umfassenden und orientierenden Überblick zu aktuellen Untersuchungen und Deutungen der Pegida-Bewegung“, erklärte Karl-Siegbert Rehberg, Professor für Soziologie, bei der Präsentation.
Einen ähnlichen Anspruch hatten vor einigen Wochen auch Werner Patzelt und Joachim Klose für ihr Buch „Pegida. Warnsignale aus Dresden“ formuliert. Während dort die Forschungsergebnisse referiert werden, kommen in dem aktuellen Sammelband die Forscher selbst zu Wort – auch Patzelt mit seinen Thesen zu Pegida.
Das Verdienst der Dresdner Soziologen besteht vor allem darin, dass das Forum im November wie keine andere ähnliche Veranstaltung in Dresden Wissenschaftler und Pegida-Anhänger zusammen geführt hatte. Das findet sich sowohl in dem Abschnitt „Pegida-Gegenblick“ wieder, aber auch in dem Dialog, den Schriftsteller Ingo Schulze am Ende des Buches beisteuert. Ein Dialog über die „Millionen Subjekte, die illegal nach Deutschland kommen und unsere deutsche Kultur zersetzen“. Was genau der Pegida-Anhänger damit meint, bekommt Schulze trotz geduldiger Nachfragen allerdings nicht heraus.
Hervorzuheben wäre, dass auch die Forschungsgruppe durchgezählt zu Wort kommt. Es waren Mathias Schuh, Student der Forstwissenschaft, und seine Kommilitonen, die mit ihrem Einsatz und ihrer Hartnäckigkeit den Spekulationen um die Teilnehmerzahlen bei den Demonstrationen von Pegida und Nopegida mit wissenschaftlichen und transparent dargestellten Methoden ein Ende bereiteten. Der Zusammenschluss mit den Leipziger Soziologen war folgerichtig. Das Team lieferte Zahlen, die auch die Dresdner Polizei letztlich akzeptierte.
Auch nach diesem vorläufigen Resümé der Pegida-Forschung bleiben Fragen offen. Was fehlt, ist ein Blick auf die Positionierung der Bevölkerung insgesamt – deutschlandweit, in Sachsen oder in Dresden – zu den von Pegida vertretenen Thesen, meinte Franziska Kunz. Zu den von der Wissenschaft noch nicht beantworteten Fragen gehört auch die: „Warum gerade Dresden?“. Dazu gebe es einzelne Thesen, aber keine zusammenhängende Erklärung, so Rehberg.
>> Karl-Siegbert Rehberg / Franziska Kunz / Tino Schlinzig (Hg.): PEGIDA. Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und „Wende“-Enttäuschung. Analysen im Überblick. Bielefeld: transcript 2016