Eintausend Meter lang ist die Luftlinie zwischen der Kreuzung Leipziger Straße / Eisenbahnstraße und dem Großenhainer Platz mit der St. Petri-Kirche. Dazwischen liegt das linsenförmige Areal, auf dem künftig ein Globus SB-Markt mit einem Parkplatz für rund 1.000 Autos oder ein durchmischtes Quartier mit Wohnen, kleinem Gewerbe und Grün entstehen werden. Die Entscheidung fällt voraussichtlich in den nächsten zwei oder drei Monaten, wenn der Stadtrat über den Masterplan Leipziger Vorstadt abstimmt. Etwa 70 interessierte Anwohner, vor allem aus Pieschen und der Neustadt waren am Sonnabend der Einladung der Bürgerinitiative „Wohnen am Leipziger Bahnhof“ zu einem Ortstermin gefolgt.
Architekt Maximilian Kunze, der eine prämierte Diplomarbeit über das Areal und sein Potenzial geschrieben hat, hatte die Führung übernommen. „Ich möchte gern das Auge für die Feinheiten des Geländes schärfen. Zum Beispiel dafür, welche unglaubliche Tiefe es hat“, beschrieb er das Ziel der Exkursion und zeigt auf den Turm der St. Petri-Kirche. Als die Gruppe auf den langgestreckten überdachten Bahnsteigen des alten Bahnhofs steht, ist er gut zu hören. Weder von der Leipziger Straße noch von der Hansastraße oder der Großenhainer Straße dringt der Lärm bis hierhin. Es ist still. Vogelgezwitscher kommt aus den Birken, die über die Jahre entlang der Rampen gewachsen sind. „Die gehören zum Beispiel zu einer typischen Industriebrachenflora“, erläutert Kunze.
Auf der Tour über das Gelände – ausdrücklich von der Globus Holding genehmigt – zeigt Kunze, was seit dem Start der ersten deutschen Ferneisenbahn zwischen Leipzig und Dresden im Jahr 1839 überlebt hat. Zum Beispiel das 1847 eingeweihte Empfangsgebäude, weitere Verwaltungsbauten und Lagerhallen, der verfallene Lokschuppen, die langgestreckten Bahnsteige, die später Lager und Laderampen des Güterbahnhofs waren. Verstreut über das Gelände finden sich ein alter Rammbock, Lampen, Bahnschwellen. Ginge es nach ihm, sollte hier „ein Quartier von unten heraus wachsen“, sagte er später im Vortragsraum des CVJM und führt die ehemalige Baumwollspinnerei in Leipzig-Lindenau als Vorbild an. Er wünsche sich eine Entwicklung, von der alle Einwohner der Stadt und nicht nur ein kleiner Teil profitieren können. Wenn er alle sagt, meint er auch die Bewohner der Wagenburg, die sich vor der ehemaligen Empfangshalle befindet. „Wir brauchen auch Angebote für Menschen, die aus verschiedenen Gründen eine Alternative zum harten Immobilienmarkt suchen“, so der Architekt.
Christian Helms, Pieschener Ortsbeirat für die Grünen, hatte eine Karte mitgebracht, die die denkmalgeschützten Bauten auf dem Areal anschaulich zeigt und erinnerte an die Deportation der jüdischen Bevölkerung. Ein Eisenbahnfreund half zwischendurch mit seinem Detailwissen zur Geschichte des Bahnhofs weiter. Judith Brombacher von der Bürgerinitiative „Wohnen am Leipziger Bahnhof“ erinnerte daran, dass die Führung auch auf die Expertendiskussion am 16. Januar im Dresdner Rathaus einstimmen soll. Sie verwies auf die nach wie vor bestehende widersprüchliche Beschlusslage im Stadtrat – pro und contra Globus SB-Markt und unterstrich das Anliegen der Bürgerinitiative. „Wir wollen prüfen, welche Alternativen es für diese innerstädtische Perle der Stadtentwicklung gibt“.
Die Linke-Fraktion im Stadtrat, deren Spaltung in Befürworter und Gegner des Globus-SB Marktes am Leipziger Bahnhof die widersprüchliche Beschlusslage herbeigeführt hat, sieht sich „einer Lösung für die Problematik am Alten Leipziger Bahnhof nähergekommen“. Das erklärte heute deren Fraktionschef André Schollbach und fügte hinzu. „Wenn wir tatsächlich eine Lösung herbeiführen wollen, müssen wir einen Schritt nach dem anderen machen.“ Dazu würde die beauftragte Studie zu den Potentialen und Restriktionen für das Areal am Alten Leipziger genauso gehören wie die Suche nach einem alternative Standort für einen Globusmarkt. Die Studie soll bis Ende Februar 2018 vorliegen, die Standortsuche Ende 2017 abgeschlossen sein. Laut Schollbach habe Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) erklärt, dass noch „mehrere Standortvarianten in der Prüfung“ seien.
Martin Schulte-Wissermann, Pirat und Mitglied der Linke-Stadtratsfraktion, erläuterte gestern den Exkursionsteilnehmern die aktuelle Beschlusslage und hielt mit seiner Position nicht hinterm Berg. „Wir sollten uns gemeinsam für ein schönes Quartier am Leipziger Bahnhof engagieren“.
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