Es dunkelt schon in Pieschen, aber im Nähstübchen Emily auf der Bürgerstraße leuchtet noch Licht. Hinter dem Tresen steht Edda Schuster und hält sich ein Telefon ans Ohr. Das Gespräch dreht sich um Bruno. Seit zwanzig Jahren, erzählt sie in den Hörer, sei er im Geschäft. Natürlich sei das manchmal schwer in dem Alter … Ich entscheide mich in der Wartezeit für einen Rundgang und muss feststellen, dass die Weitläufigkeit der Räume die Verniedlichungsform des Namens Lügen straft. Gang um Gang stapeln sich in hohen Regalen Stoffe, dass dem Besucher die Augen übergehen.
„Er liegt ja am liebsten im Schaufenster“, sagt Edda Schuster gerade und ich bin jetzt schon langsam neugierig, wer dieser Bruno in seinen Zwanzigern ist, der sich gern im Schaufenster präsentiert. Das Außenfoto schafft dann Klarheit: Bruno blinzelt mir zusammengerollt von seinem Kissen aus zu. Er sieht aus, als würde er schnurren. Und jetzt hat Edda Zeit: „Ah, da ist ja mein Termin!“ Der Termin bin ich.
Das Nähstübchen Emily ist ein Familienbetrieb. Eddas Kinder Emily und Benjamin arbeiten als Angestellte mit. Zum Team gehören zudem noch Madlen und Millenium-Findelkater Bruno. Auf stolzen 290 Quadratmetern kommen Nähbegeisterte an ihren Stoff. Die Familie blieb zugunsten des Wiedererkennungseffektes beim „-chen.“ Der Diminutiv zeugt zudem davon, dass das Nähstübchen einmal klein anfing.
Schon in früher Kindheit hatte Edda ein Faible für ausgefallene Klamotten. Sie war in der Klasse stets die Kleinste, erzählt sie, und trumpfte mit Muttis umgeschneiderten Unikaten auf. „Ich hatte immer die meisten und schönsten Klamotten“, erinnert sie sich. Aber „das mit dem Selbernähen“ fing erst mit der Geburt der Kinder Mitte der 80er an. Ihr Gesuch um eine Ausbildung wurde abgelehnt, also „wurstete sie in den eigenen vier Wäünden weiter.“ Auf eigene Faust. Aus Tschechien organisierte Edda Farbe, mit der sie Laken aus der DDR einfärbte und anschließend daraus Kleider schneiderte. Beim Auftrennen von Klamotten aus „dem Westen“ erlernte sie Handwerk und Techniken, sie verzierte mit Applikationen und nähte um. Ihre Folklore-Kleider standen hoch im Kurs: 100 Ostmark bekam Edda dafür. Sie verkaufte beispielsweise am Ostseestrand aus dick gepackten Koffern und erarbeitete sich so einen kleinen Luxus.
„In mir steckt ein Technologe“, sagt sie. „Ich arbeitete wie in einer Manufaktur.“ Außerhalb ihrer Freizeit arbeitete sie in der industriellen Schuhherstellung, später als Gruppenleiterin für Flansche und Ventile, im Kohle- und Transportwesen – ein Berufszweig, den sie mit der Wende verließ, ja, abschüttelte, möchte man sagen. Das Land war im Umbruch. Die Gewerbefreiheit winkte. Am 21. Januar 1990 stand Edda pünktlich um 9 Uhr vor dem Pieschener Rathaus und traf auf den so eben berufenen Gewerbebevollmächtigten. Einen jungen, mit dem übergeholfenen Amt überforderten Mann, dem kein Büro zur Verfügung stand. In einer Besenkammer schließlich fand sich ein Schreibtisch und der frisch gebackene Gewerbebevollmächtigte schrieb auf ein weißes Blatt Papier: „1. Schuster.“
So begann die offizielle Karriere von Edda Schuster als Selbstständige. Zu ihrem 33. Geburtstag bezog sie ein 14 Quadratmeter kleines Lädchen am Leisniger Platz, das seit 50 Jahren leer gestanden hatte. Weiter ging es sich stetig vergrößernd auf die Mohn- und die Torgauer Straße. Auf der Bürgerstraße schließlich war genug Platz für Verkauf und Stofflager in einem Raum. Und für Eddas bunte Kleiderkreationen. „Ich weigere mich zu glauben, dass meine Hirnmasse grau ist! Ich will die Welt bunter machen.“
- Nähstübchen Emily, Bürgerstraße 53
- Montag bis Donnerstag 10 bis 18 Uhr, Freitag 10 bis 22 Uhr, Sonnabend 10 bis 16 Uhr
- www.stoffladen-dresden.de
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