„Sie haben wohl eine Vollmeise“. Mit diesen Worten hatte gestern Abend im Stadtrat Finanzbürgermeister Hartmut Vorjohann (CDU) auf Vorwürfe von Linke-Fraktionschef André Schollbach reagiert. Vorangegangen waren folgende Ausführungen von Schollbach in der Debatte über einen Antrag der AfD, keine Asylbewerber in Turnhallen und Schulen unterzubringen.: „Mir ist bekannt, dass es durchaus Möglichkeiten gäbe, diese Turnhallen wieder für den Sport zur Verfügung zu stellen. Dass das allerdings durch Sie verhindert wird, weil es in Ihrem Interesse ist, diese sehr preiswerte Möglichkeit der Unterbringung aufrechtzuerhalten. Deshalb verhindern Sie genau das.“ Gleichzeitig, so Schollbach, fordere die CDU-Fraktion „hier gemeinsam populistisch mit der rechtsextremen AfD eine Ende der Unterbringung in Turnhallen“. Der Linke-Fraktionschef endete mit dem Satz „Ich wüßte gern, was Sie dazu sagen“ und ging zurück an seinen Platz.
>> Aufzeichnung Stadtratssitzung, Teil 2, ab 2:12:30)
Vorjohann antwortete vom Podest aus: „Ich sage einfach mal kurz was dazu. Sie haben wohl eine Vollmeise“. Nach einer kurzen und überraschten Stille im Sall, ertönte aus den Reihen von FDP, CDU und AfD Gelächter und Beifall. Vorjohanns Reaktion war sehr persönlich, weil er sich offenbar auch sehr persönlich angegriffen fühlte von der Unterstellung, er würde auf dem Rücken von Aylbewerbern die Stadtkasse schonen. In Richtung Schollbach erinnerte er daran, dass es Linke, Grüne und SPD gewesen seien, die im Dezember Wohncontainer und andere Unterbringungsalternativen abgelehnt hätten. „Mir vorzuwerfen, ich würde ein solches Spiel betreiben, ist ein bisschen happig, Herr Schollbach“, endete dann seinerseits der Finanzbürgermeister.
Schollbach ging zum Saalmikrofon und legte noch einmal nach: „Uns liegen diese Informationen vor und ich darf hier ankündigen, dass wir diesen Informationen genau nachgehen“. Schollbach setzte sich erneut und Vorjohann blickte in dessen Richtung und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.
Detlef Sittel (CDU), als Bürgermeister für Ordnung und Sicherheit zuständig und als 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters am Donnerstag der Leiter der Ratssitzung, stimmte Vorjohann in der Sache zu, fand aber das Wort „Vollmeise“ für den Disput nicht geeignet. Von der Bank der Bürgermeister aus sei dies „noch unangemessener, als wenn es aus dem Saal käme“, rüffelte Sittel seinen Kollegen.
Heute nun hat Linke-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Feske den Oberbürgermeister gebeten, „ein Disziplinarverfahren einzuleiten und disziplinarische Konsequenzen zu prüfen“. „CDU-Bürgermeister Vorjohann hat nicht nur das für Beamte geltende Sachlichkeitsgebot, das sich aus seiner Stellung als kommunaler Wahlbeamter ergibt, in grober Weise verletzt, sondern auch den Tatbestand der Beleidigung erfüllt“, so die Begründung des Fraktionsgeschäftsführers. Vielfach werde die allgemeine Verrohung der gesellschaftlichen Debatte beklagt. „Gerade deshalb muss ein Amtsträger Vorbild sein und darf sich nicht auf das Niveau von Pegida & Co. hinab begeben“, heißt es heute in einer entsprechenden Erklärung. Fakten, mit denen die gestern erhobenen Vorwürfen gegen Vorjohann untermauert würden, enthielt die Erklärung nicht. Diese würden zu gegebener Zeit öffentlich gemacht, hieß es aus der Fraktion.
Disziplinarische Konsequenzen werden wohl ausbleiben. „Der Oberbürgermeister hat wichtigeres zu tun, als sich um Vollmeisen zu kümmern“, erklärte Rathaussprecher Kai Schulz auf Anfrage.