Eigentlich führt das exotische postsowjetische Usbekistan eher ein Nischendasein. Durch den Abzug der NATO ist das Nachbarland Afghanistans jetzt in den Fokus gerückt, das deutsche Verteidigungsministerium hat tausende Soldaten und Ortskräfte über die Luftbrücke der usbekischen Hauptstadt Taschkent evakuiert.
Was ist das für ein Land, das einst zur Sowjetunion gehörte und gleichzeitig mitten in Asien liegt? Die Journalistin und Fotografin Katrin Tominski hat Usbekistan vor zwei Jahren besucht. Eindrücke ihrer Reise zeigt sie in der Ausstellung „Usbekistan: 1001 Tag & Nacht“ in der Praxis der Allgemeinärztin Christina Grund in der Rehefelder Straße. Das Onlinejournal Pieschen Aktuell hat mit der Fotografin über das Land an der Seidenstraße gesprochen.
Frau Tominski, es gibt knapp 200 Länder auf der Erde. Warum Usbekistan?
Es ist wie mit vielen Entscheidungen. Meistens gibt es nicht den originären einzigen Grund. Es ist ja wie so oft im Leben, viele kleine Phänomene reihen sich perlenschnurartig aneinander – und plötzlich ist sie da, die Entscheidung für irgendwas. In diesem Fall für die Reise nach Usbekistan.
Sie sind also nicht schon vorher großer Fan der alten Sowjetrepubliken gewesen?
Wenn Sie das so zugespitzt formulieren, nein! Ich bin zur Wende zehn Jahre alt gewesen, habe noch nicht einmal russisch in der Schule gelernt. In meiner Wahrnehmung damals war alles andere spannender als der Osten. Alle wollten nach London und Paris, an das Mittelmeer und endlos lange Strände mit Palmen. In Ferienanlagen mit riesigen Pools und in Freizeitparks. Hauptsache es sieht nicht nach Osten aus.
Das hat sich aber dann geändert?
Ja. Das habe ich schon im Studium bemerkt. Damals sind die Freunde meiner WG-Bewohnerin schon wochenlang nach Rumänien zum Fotografieren gefahren. Hinzu kam natürlich die Nähe Sachsens zu Tschechien und nicht zuletzt eine Reise meines Großvaters zu seinen Wurzeln in Danzig. Wir besuchten Krakau im Studium und das damals noch stark vom Bürgerkrieg gezeichnete Kroatien. Die Sensibilität für den Osten stieg immer mehr, doch die entfernten Ex-Sowjetrepubliken blieben trotz allem immer weit entfernt. Lediglich ein paar Bilder aus Kinderbüchern existierten noch vage in der Erinnerung.
Trotzdem ist es dann Usbekistan geworden?
Ja, das ist eine Folge vieler kleiner Bausteine gewesen. Ein Freund schilderte mir beim Joggen detailreich die Erfahrungen seines Forschungsaufenthalts in Kasachstan. Kurz danach stieß eine Kirgisin zu unserer Laufgruppe. Meine Tante reiste in den Kaukasus und Freunde erzählten ständig Neuigkeiten von der Seidenstraße. Das alles weckte auch mein Interesse und kreiste den Zirkel geografisch immer weiter ein. Der Rest war Zufall: Neben Georgien, Tadschikistan und Usbekistian fiel nur die Reise nach Usbekistan in meinen Urlaubszeitraum.
Sie flogen dann direkt nach Taschkent?
Ja. Es gibt Direktflüge von Frankfurt/Main nach Taschkent, in die Hauptstadt Usbekistans. Tatsächlich hatte ich noch niemals etwas von dieser Stadt gehört. Umso erfreuter war ich aber, als mir gewahr wurde, dass auch Samarkand, Buchara und die Wüstenstadt Chiwa in Usbekistan liegen. Besonders Samarkand ist mit irgendeiner Assoziation von 1001 Nacht bei mir im Gedächtnis abgelagert, ich weiß jedoch nicht, woher diese kommt. Niemals in der Schule oder auch im Studium oder später haben wie über Usbekistan gesprochen. Doch der Name „Samarkand“ hatte sich irgendwie abgespeichert. Wir reisten von Taschkent mit dem Schnellzug dorthin, ein tolles Erlebnis. Mit 220 Kilometer pro Stunde sausten wir in dem neuen hochmodernen usbekischen ICE durch die Steppe und auf einmal waren wir in dieser Märchenstadt.
Wieso Märchenstadt?
Wissen Sie, ich wusste überhaupt nicht, dass ich diese Bilder im Kopf habe und woher sie kommen. Doch als ich dann dort stand, auf dem Registan-Platz, merkte ich, dass die Märchen aus 1001 Nacht nicht nur eine Fata Morgana sind, sondern tatsächlich einen realistischen Ursprung haben müssen. Der Registan-Platz gilt mit als einer der prächtigsten Plätze Mittelasiens und ist – wen überrascht es – Weltkulturerbe. Er ist umrundet von drei ehemaligen Medresen (Koranschulen), die in ihrer Farbigkeit, mit ihren Ornamenten und mit ihrer gesamten Prächtigkeit mehr als nur beeindrucken. Sie verzaubern, mit einer uns unbekannten Bildsprache. Sie wirken wir ein real gewordenes Märchen. Dieser Platz und daneben viele andere Plätze und Bauwerke haben meine Erwartungen mehr als übertroffen. Usbekistan ist ein schillerndes Land, dass viele schillernde Erinnerungen hinterlässt.
Was hat Sie am meisten überrascht?
Besonders prägend fand ich eigentlich drei Dinge. Erstens diese schillernde Bildgewaltigkeit, die den Märchen von 1001 Nacht entsprungen sein könnten. Gleichsam erinnerten mich in der Bild- und Formensprache des Alltags ganz viele Dinge an meine Kindheit. Vielleicht liegt es daran, dass die ehemalige DDR und die ehemalige Sowjetunion in ihrer Vergangenheit doch gemeinsame Kultur- und Alltagsräume hatten.
Wie meinen Sie das?
Ob es die alten Klettergerüste oder die Traktoren, die Tore zu Einfamilienhäusern oder auch schlichtweg das Angebot an Obst und Gemüse waren – vieles erinnerte mich an meine Kindheit. In Gärten und am Rand von Baumwollplantagen prangten auch oft Studentenblumen. Vielleicht sind es diese kleinen Dinge, die einem oft das Gefühl von Vertrautheit vermitteln.
Sie sprachen von drei Dingen…
Ja. Zweitens hat mich die völlig unverstellte, unmaskierte und offene Art der Menschen nicht nur überrascht, sondern völlig beeindruckt. Solche authentisch netten Leute habe ich vorher noch nie in einem Land getroffen. Es war ein bisschen als blickten auch die Erwachsenen wie Kinder in die Welt. Völlig unverdorben, positiv und lebenshungrig. Und: Die Menschen hatten nicht viel und haben teilweise sehr einfach gelebt.
Wie erklären Sie sich das?
Ich weiß nicht, ob es mit der Kraft des Geldes zusammenhängt und ich bin keine Usbekistan-Expertin. Doch in verschiedenen Artikeln vom Deutschlandfunk wird berichtet, dass der ehemalige usbekische Präsident Islom Karimov, Usbekistan wirtschaftlich abschottete. Entwicklungen haben ja immer verschiedene Seiten. Doch Usbekistan scheint durch die geschlossenen Märkte die harte turbokapitalistische Transformation der 90iger Jahre erspart geblieben zu sein.
Das ist eine steile These!
Ja, das ist eine Vermutung meinerseits. Fest steht, dass es dort noch immer keine Coca-Cola abseits der Städte gibt. Und das ist ein interessantes Indiz. Denn Coca Cola gibt es an fast allen Orten dieser Welt. Sogar in den ärmsten Dörfern in Nepal am Rande des Himalaja. Nach dem Tod des alten Präsidenten setzte eine neue Öffnung des Landes ein. Letztlich habe auch ich davon profitiert, weil ich kein Visum mehr brauchte.
Woran machen Sie die unverstellte Freundlichkeit der Menschen genau fest?
Ein Beispiel: Als wir in der Wüstenstadt Chiva unterwegs waren, stürzte sich eine Schulklasse auf uns. Sie umringten und und bombardierten uns mit Fragen. Dabei ging es nicht um Geld und Reichtum und darum, mehr über das „reiche Land“ Deutschland zu erfahren. Es war einfach Interesse an der Andersartigkeit und auch deutschen Empfindungen. Wir haben die Kinder auch direkt nach ihren Wünschen gefragt. Fast ausnahmslos wollten alle in Usbekistan bleiben, „weil es so ein schönes Land ist“.
Das klingt ja wie ein Schlaraffenland, ohne Probleme und Brüche…
Ganz so ist es natürlich nicht. Und bei einer solchen Reise bekommt man ohnehin immer nur einen kleinen Eindruck gespiegelt. Doch auch in Usbekistan zeichnen sich die Bruchkanten der aktuellen Entwicklungen ab. Vor allem viele junge Menschen wenden sich vermehrt der Religion zu und besuchen in Scharen die Moscheen. Usbekistan war schon immer muslimisch geprägt, in der Sowjetunion wurde wie im gesamten Ostblock der Einfluss der Religion zurückgedrängt. Nachdem Usbekistan unabhängig wurde, sprach sich Präsident Karimov für einen moderaten Islam als Staatsreligion aus. Religion sollte Privatsache bleiben. Auch heute noch gibt es überall Alkohol zu kaufen, das ist in muslimischen Ländern sonst nicht so einfach möglich. Vielleicht wirkt hier auch noch die starke russische Wodka-Kultur nach.
Usbekistan ist also nicht streng religiös?
Ein Journalist der Neuen Züricher Zeitung hat einmal einen Beitrag mit der sehr treffenden Überschrift formuliert „Usbekistan: Wo ‚Allah‘ auch ein Wort für Wein ist“. Doch auch in Usbekistan gewinnen konservative Kräfte an Einfluss, auch der IS soll sich zwischenzeitlich an der Grenze zu Afghanistan schon einmal niedergelassen haben. Und: Saudi Arabien investiert wohl in neue Imamschulen und Moscheen, erzählen die Menschen dort. Wie auch in vielen anderen Ländern liegt wohl die Herausforderung für Usbekistan im wahrsten Sinne des Wortes darin, in der Mitte zu bleiben und sich nicht durch Fundamentalisten spalten zu lassen.
Was war ihr schönstes Erlebnis?
Mein schönstes und fast unglaubliches Erlebnis: In Buchara auf dem Markt sprach mich ein alter Herr an, als ich nach einer Woche mal wieder einen richtigen Cappuccino trinken konnte (Usbekistan wird wohl zeitnah nicht zu den Kaffeeliebhaber-Länder gehören). Der Herr sprach in Englisch, neben ihm saßen seine Kumpels, für die übersetzte er. Sie fragten mich, wo ich herkomme. Ich nannte meine Heimatstadt Bad Langensalza in Thüringen. Plötzlich meinte einer: Ja, na klar, das kenne ich. Dort war ich bei der Armee. Er kannte tatsächlich die kleine Kurstadt, aus der ich stamme. Ein Zeichen, dass es immer noch Verbindungen zwischen Usbeken und Deutschen gibt.
Warum haben Sie sich für eine Ausstellung in der Arztpraxis entschieden?
Ich kenne Frau Grund als meine Hausärztin und habe sie als einen weltoffenen und vielseitig interessierten Menschen erlebt. Als wir uns einmal über die weite Welt und das Reisen unterhalten haben, kam ein Prozess zustande an dessen Ende jetzt diese Ausstellung steht. Ich danke Frau Grund für die tolle Möglichkeit und freue mich, wenn auch sie, ihre Kolleginnen und ihre Patienten sich wiederum an den Bildern erfreuen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Info:
Die Ausstellung in der Praxis von Christina Grund, Rehefelder Straße 12, ist noch bis zum 29. September zu sehen.
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