Heruntergewirtschaftet und unbewohnbar. Rund 1.100 Wohnungen konnten nicht genutzt werden oder befanden sich in Ruinen. So erging es auch dem Haus in der Torgauer Straße 34 zu Wendezeiten. Abreißen und einen Plattenbau hinstellen war eine gängige Alternative zu DDR-Zeiten. Für Pieschen sahen die Planungen zum Beispiel den sechsspurigen Ausbau der Moritzburger Straße vor, die Leipziger Straße sollte zu einem Autobahnzubringer mit einer Breite von bis zu sechzig Metern werden, für die Leisniger Straße in Höhe des Leisniger Platzes war die Neuanlage einer an die heutige Hauptstraße erinnernden Straße zur Elbe hin vorgesehen. Diesem Vorhaben wäre unter anderem die Robert-Matzke-Straße in ihrer jetzigen Gestalt vollständig zum Opfer gefallen, da auch hier enorme Straßenbreiten vorgesehen waren. Plattenbauten mit 20 Stockwerken und ein Hochhaus mit 35 Geschossen zeigen die Pläne des damaligen Rates der Stadt Dresden. Wer mehr wissen möchte, kann in der gerade erschienenen Broschüre „Sanierungsgebiet Dresden-Pieschen. Ein Stadtteil im Wandel“ nachlesen.
Mit derartigen Plänen war Dresden kein Einzelfall. Man erinnere sich nur an den historischen Jenaer Eichplatz, der in der Alfons-Zitterbacke-Verfilmung der Defa noch zu sehen ist. Die alten Häuser wurde allesamt abgerissen. Statt dessen wurden dort der Uni-Turm und eine große Betonfläche mit dem (damaligen) Namen Platz der Kosmomauten errichtet. Die schöne Altstadt in Erfurt ist diesem Schicksal gerade noch entronnen.
- Durchführungszeitraum: 1992 bis voraussichtlich 2024
- Gebietsgröße: 56,5 Hektar
- Gesamtkosten: 57,7 Millionen Euro (inkl. EFRE-Maßnahmen)
- Fördervolumen: 57,7 Millionen Euro (inkl. EFRE-Maßnahmen)
- davon 51 Prozent für Sicherung und die Modernisierung von Gebäuden
- davon 30 Prozent für Spielplätze, Grünflächen, Straßen
- Verdopplung der Einwohnerzahl von 4.000 auf 8.000
Wer heute durch die Torgauer Straße geht, wird das Haus mit der Nummer 34 nicht wiedererkennen. In der vergangenen Woche zeigten Stefan Szuggat, Leiter des Stadtplanungsamtes, Thomas Pieper, Abteilungsleiter Stadterneuerung, Achim Hofmann, Sachbearbeiter Stadterneuerung und Rainer Haase, Geschäftsführer der PSG Planungs- und Sanierungsträgergesellschaft mbH Dresden-Pieschen bei einem Rundgang durch den Stadtteil Pieschen anhand von vier Beispielen die Erfolge einer dreißigjährigen Sanierungsperiode.
Der Galvanohof mit der Kreativen Werkstatt
Wer den Galvanohof besuchen möchte, stößt schon im Torbogen der Bürgerstraße 50 auf eine erste Überraschung. Eine Fliesenstraße mit 1.597 bunten und individuell gestalteten Keramikfliesen zeugt von der wundersamen Wandlung des ehemaligen Werksgeländes im Innenhof. Von 2005 bis 2007 hatten mehr als eintausend Anwohner, Vereine und Unternehmen in einer Mitmachaktion die Fliesen entworfen. Sie wurden dann in der Kreativen Werkstatt gebrannt. Der Verein wurde dabei mit Mitteln aus dem EFRE-Fonds unterstützt. Er ist seit 1995 der neue Dreh- und Angelpunkt auf dem Areal. „Die alte Galvanik-Fabrik musste abgerissen werden. Die Mauern waren mit Chrom, Nickel, Zink und Cyanid stark belastet, in den Räumen roch es nach Benzol und Holzschutzmitteln“, erinnerte sich Thomas Pieper. Der Abriss sei unvermeidbar gewesen und erfolgte unter erheblichen Schutzmaßnahmen. Um die Jahrtausendwende seien dann die Räume für die Kreative Werkstatt – unter anderem eine ehemalige Schlosserei – rekonstruiert worden. 220.000 Euro an Fördermitteln flossen in die Sanierung.
Im Innenhof sind ein Spielplatz, Grünflächen und ein Freifläche mit Sonnensegel entstanden. „Der Platz ist beliebt für Bildhauerkurse und Kunstaktionen“, erklärte
Britta Sommermeyer, Leiterin der Kreativen Werkstatt und kündigte für den 11. Juni den nächsten Galvano-Kunsthof an. Der Spielplatz wird auch von Kindern der benachbarten Schule gern besucht.
Von der Brache zur Markus-Passage
Im Februar 2016 röhrten hinter dem Rathaus Pieschen – auf einem wilden Parkplatz zwischen Bürgerstraße und Leipziger Straße – die Motorsägen. Sie machten Platz für den Beginn der Bauarbeiten am Markus-Projekt. Hier entstanden innerhalb von zwei Jahren 114 Zwei- bis Fünfraumwohnungen. Inzwischen sind die begrünten Stufen mit ihren Sitzbänken vor dem Eiscafé an der Leipziger Straße ein beliebter Treffpunkt geworden. Ein Reisebüro, ein Tresor-Fachgeschäft und ein Friseurgeschäft haben sich in dem Areal etabliert.
Direkt nebenan hat seit 2015 der Frankreichladen sein neues Quartier bezogen. Inhaber Uwe Sochor sanierte dafür das zweitälteste Haus in Pieschen, ein Bauernhaus aus dem Jahr 1805. Die Entwicklung des Areals zwischen Leipziger und Bürgerstraße war vor allem wegen der Vielzahl der Eigentümer schwierig. Flächen mussten neu geordnet und die Besitzer entschädigt werden. Außerdem gab es viele Einwände gegen den Bebauungsplan. Mehrfach hätten die Investoren gewechselt, erinnerte sich Achim Hofmann, für Pieschen zuständiger Stadtplaner. Die neu entstandene Hans-Fromm-Straße sei aus Mitteln der Städtebauförderung finanziert worden. Von dieser neuen Verbindung zur Elbe profitiere das gesamte Stadtviertel. Insgesamt 1,2 Millionen Euro flossen in die Entwicklung der ehemaligen Brache.
Erster Spielplatz-Neubau nach der Wende
Etwas versteckt liegt der Spielplatz in der Osterbergstraße. „Der Spielplatz war die erste Maßnahme im Sanierungskonzept für Pieschen“, erinnert sich Thomas Pieper. Insgesamt seien sechs Spielplätze im Sanierungsgebiet entstanden. Viele Hauseigentümer seien auf die Herausforderungen, die mit der Sanierung ihrer Häuser verbunden waren, nicht vorbereitet gewesen, meinte er.
So sei die Beratung und Unterstützung ein wichtiger Bestandteil der Verantwortlichen im Stadtplanungsamt und in der Sanierungsgesellschaft gewesen. „Viele Häuser seien einfach Ruinen gewesen“, bestätigt PSG-Geschäftsführer Rainer Hase und verwies als Beispiel auf die – inzwischen sanierten – Häuser neben dem Spielplatz. 51 Prozent der gesamten Fördersumme von 57,7 Millionen Euro flossen in die Sicherung und Modernisierung von Gebäuden, heißt es in der Bilanz zum Sanierungsgebiet Pieschen.
Die Pieschener Melodien
Völlig neu gestaltet ist auch das Areal zwischen Konkordienplatz und Moritzburger Straße. Auch hier mussten in einem langwierigen Flächen-Umlegungsverfahren die Eigentumsverhältnisse neu geordnet werden, betonte Hase. Mehr als zehn Jahre habe dies gedauert. 500.000 Euro wurden allein für den Ankauf der Flächen für die öffentliche Nutzung ausgegeben. Neben einem Spielplatz und der neu gestalteten Kleingartenanlage sind Bauplätze für weitere Wohnungen entstanden. Mehrfamilienhäuser an der Leipziger Straße, wo früher Gebrauchtwagen gehandelt wurden, und im Innenbereich sind bereits fertig oder gerade im Bau. Zuletzt zog die Baugemeinschaft „Rosa Melodie“ in ihr Mehrfamilienhaus mit zehn neuen Wohnungen an der Rosa-Steinhart-Straße ein. An drei weiteren Standorten sind noch Neubauten möglich. Auf dem Grundstück an der Moritzburger Straße will die WID Wohnen in Dresden zwei Neubauten mit 29 Wohnungen errichten. Der wilde Parkplatz hinter dem Haus Konkordienplatz 2 und das Areal hinter dem Neubau an der Leipziger Straße, parralel zum Lidl-Parkplatz sind die anderen beiden Bauplätze. Ob und wann hier gebaut werde, sei derzeit aber nicht bekannt, hieß es.
Für Stefan Szuggat, Leiter des Stadtplanungsamtes, ist die Entwicklung Pieschens in den vergangenen 30 Jahren eine „außergewöhnliche Geschichte“. Der vergleichsweise schlechte Ruf und der katastrophale Bauzustand der Wohnhäuser seien Geschichte. Die besondere Sozialstruktur konnte, auch dank des Bestandes an kommunalen Wohnungen, erhalten werden. Fördergelder flossen auch in die Schulstandorte. So konnten mit Geldern aus der Städtebauförderung benachbarte Grundstücke für Schulerweiterungen am Standort Makarenko-Schule und der Gemeinschaftsschule Pieschen erworben werden. Das Kinder- und Jugendhaus Emmers wurde mit rund einer Million Euro saniert.
Wermutstropfen Sachsenbad
Obwohl das Sanierungsgebiet Pieschen im Jahr 2000 extra erweitert wurde, um das Areal am Sachsenbad mit einzubeziehen, ist dessen Sanierung gescheitert. Fördermittel von Bund und EU standen zur Verfügung, wurden aber aus verschiedenen Gründen nicht abgerufen. Neben den erheblichen Kosten für die Sanierung seien es vor allem die jährlichen Betriebskosten ein Grund gewesen, schreiben die Autoren der Broschüre. Zu ergänzen wäre, dass es in den vergangenen 30 Jahren auch keine politischen Mehrheiten im Stadtrat für eine entsprechende Entscheidung gegeben hatte.
Im Mai 2021 wurde dann in einer denkbar knappen Abstimmung der Verkauf des Sachsenbades an einen privaten Investor beschlossen. Seit dem wartet die Öffentlichkeit auf die Einlösung von zwei Versprechen. Den Beginn der Sanierung des Sachsenbades und den Umbau zu einem Kombination aus modernen Arbeitswelt mit Coworking-Arealen dort, wo früher das Schwimmbecken war, Gastronomie und einem Saunabereich. Und auf die Entscheidung der Stadtverwaltung über den Standort für einen Schwimmbad-Neubau im näheren Umfeld des Sachsenbades. Das war Bestandteil der Entscheidung des Stadtrates über den Sachsenbad-Verkauf.
Broschüre Sanierungsgebiet Dresden-Pieschen. Ein Stadtteil im Wandel – lesen und herunterladen
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